Personen:
VORSPIEL:
HAUSHOFMEISTER
MUSIKLEHRER
KOMPONIST
TENOR (Bacchus)
OFFIZIER
TANZMEISTER
PERÜCKENMACHER
LAKAI
ZERBINETTA
PRIMADONNA (Ariadne)
HARLEKIN
SCARAMUCCIO
TRUFFALDIN
BRIGHELLA
OPER:
ARIADNE
BACCHUS
NAJADE
DRYADE
ECHO
ZERBINETTA
HARLEKIN
SCARAMUCCIO
TRUFFALDIN
BRIGHELLA
Die Werke von Richard Strauss geniessen bis auf weiteres den Schutz des Copyrights
© 1916 Adolph Fürstner, Berlin
Die nachfolgende Wiedergabe des Librettos geschieht mit freundlicher Genehmigung
© 1987 Fürstner Musikverlag GmbH, Mainz
(für die Gebiete Deutschland, Danzig, Italien, Portugal und die Nachfolgestaaten der UdSSR ausser Estland, Lettland und Litauen)
for all other countries: © 1943 Boosey & Hawkes Music Publishers Ltd.
VORSPIEL
Ein tiefer, kaum möblierter und dürftig erleuchteter Raum im Hause eines grossen Herrn. Links und rechts je zwei Türen. In der Mitte ein runder Tisch. Im Hintergrund sieht man Zurichtungen zu einem Haustheater. Tapezierer und Arbeiter haben einen Prospekt aufgerichtet, dessen Rückseite sichtbar ist. Zwischen diesem Teil der Bühne und dem vorderen Raum läuft ein offener Gang querüber. Der Haushofmeister tritt auf.
MUSIKLEHRER
ihm entgegen
Mein Herr Haushofmeister! Sie suche ich im ganzen Hause
HAUSHOFMEISTER
Womit kann ich dienen? Muss allerdings bemerken, dass ich pressiert bin. Die Vorbereitungen zur heutigen grossen Assemblee im Hause des reichsten Mannes von Wien - wie ich meinen gnädigen Herrn wohl betiteln darf -
MUSIKLEHRER
Ein Wort nur! Ich höre soeben, was ich allerdings nicht begreifen kann -
HAUSHOFMEISTER
Und das wäre?
MUSIKLEHRER
und was mich in erklärliche Aufregung versetzt
HAUSHOFMEISTE
In Kürze, wenn ich bitten darf!
MUSIKLEHRER
dass bei der heutigen festlichen Veranstaltung hier im Palais - nach der Opera seria meines Schülers - kaum traue ich meinen Ohren - noch eine weitere, und zwar gleichfalls sozusagen musikalische Darbietung in Aussicht genommen ist - eine Art von Singspiel oder niedrige Posse in der italianischen Buffo-Manier! Das kann nicht geschehen!
HAUSHOFMEISTER
Kann nicht? Wieso?
MUSIKLEHRER
Darf nicht!
HAUSHOFMEISTER
Wie beliebt?
MUSIKLEHRER
Das wird der Komponist nie und nimmer gestatten!
HAUSHOFMEISTER
Wer wird? Ich höre: gestatten. Ich wüsste nicht, wer ausser meinem gnädigen Herrn, in dessen Palais Sie sich befinden und Ihre Kunstfertigkeiten heute zu produzieren die Ehre haben, etwas zu gestatten - geschweige denn anzuordnen hätte!
MUSIKLEHRER
Es ist wider die Verbredung. Die Opera seria Ariadne wurde eigens für diese festliche Veranstaltung komponiert.
HAUSHOFMEISTER
Und das ausbedungene Honorar wird nebst einer munifizenten Gratifikation durch meine Hand in die Ihrige gelangen.
MUSIKLEHRER
Ich zweifle nicht an der Zahlungsfahigkeit eines steinreichen Mannes.
HAUSHOFMEISTER
Für den Sie samt Ihrem Eleven Ihre Notenarbeit zu liefern die Auszeichnung hatten. - Was dann steht noch zu Diensten ?
MUSIKLEHRER
Diese Notenarbeit ist ein ernstes bedeutendes Werk. Es kann uns nicht gleichgültig sein, in welchem Rahmen dieses dargestellt wird!
HAUSHOFMEISTER
Jedennoch bleibt es meinem gnädigen Herrn summo et unico loco überlassen, welche Arten von Spektakel er seinen hochansehnlichen Gästen nach Vorsetzung einer feierliclien Kollation zu bieten gesonnen ist.
MUSIKLEHRER
Zu diesen die Verdauung fördernden Genüssen rechnen Sie demnach die heroische Oper Ariadne?
HAUSHOFMEISTER
Zuvörderst diese, danach das für Punkt neun Uhr anbefohlene Feuerwerk, und zwischen beiden die eingeschobene Opera buffa. Womit ich die Ehre habe, mich zu empfehlen.
geht ab
MUSIKLEHRER
Wie soll ich das meinem Schüler beibringen?
Geht ab. Ein junger Lakai führt einen Offizier herein.
DER LAKAI
Hier finden Euer Gnaden die Mamsell Zerbinetta. Sie ist bei der Toilette. Ich werde anklopfen.
horcht und klopft an die Tür rechts vorne
DER OFFIZIER
Lass Er das sein und geh' Er zum Teufel.
stösst den Lakai heftig weg und tritt ein
DER LAKAI
taumelt, rettet den Leuchter auf einen Wandtisch rechts zwischen den beiden Türen und klaubt sich zusammen
Das ist die Sprache der Leidenschaft, verbunden mit einem unrichtigen Objekt.
KOMPONIST
kommt eilig von rückwärts
Lieber Freund! Verschaffen Sie mir die Geigen. Richten Sie ihnen aus, dass sie sich hier versammeln sollen zu einer letzten, kurzen Verständigungsprobe.
DER LAKAI
Die Geigen werden schwerlich kommen, erstens weil's keine Füss nicht haben, und zweitens, weil's in der Hand sind!
KOMPONIST
naiv, belehrend, ohne sich verspottet zu glauben
Wenn ich sage: die Geigen, so meine ich die Spieler.
DER LAKAI
gemein, von oben herab
Ach so! Die sind aber jetzt dort, wo ich auch hin sollt'! und wo ich gleich sein werd' - anstatt mich da mit Ihnen aufzuhalten.
KOMPONIST
ganz naiv, zart
Wo ist das?
DER LAKAI
gemein plump
Bei der Tafel!
KOMPONIST
aufgeregt
Jetzt? Eine Viertelstunde vor Anfang meiner Oper beim Essen?
DER LAKAI
Wenn ich sag': bei der Tafel, so mein' ich natürlich bei der herrschaftlichen Tafel, nicht beim Musikantentisch.
KOMPONIST
Was soll das heissen?
DER LAKAI
Aufspielen tun sie. Capito? Sind also für Sie derzeit nicht zu sprechen.
KOMPONIST
aufgeregt, unruhig
So werde ich mit der Demoiselle die Arie der Ariadne repetieren -
will an die vordere Tür rechts
DER LAKAI
hält ihn ab
Hier ist nicht die Demoiselle darin, die Sie suchen, diejenige Demoiselle aber, die hier drin ist, ist für Sie ebenfalls nicht zu sprechen.
KOMPONIST
naiv, stolz
Weiss Er, wer ich bin? Wer in meiner Oper singt, ist für mich jederzeit zu sprechen!
DER LAKAI
lacht spöttisch
Hehehe!
winkt ihm herablassend, geht ab
KOMPONIST
klopft an die Tür, bekommt keine Antwort; dann, plötzlich zornrot, dem Lakai nach
Eselsgesicht! sehr unverschämter frecher Esel!
Der Eselskerl lässt mich allein hier vor der Tür -
Hier vor der Tür mich stehn und geht.
O, ich möcht' vieles ändern noch
In zwölfter Stund - und heut wird meine Oper -
O der Esel! Die Freud'! Du allmächtiger Gott!
O du mein zitterndes Herz! Du allmächtiger Gott!
sinnt der Melodie nach, rucht in seinen Rocktaschen nach einem Stück Notenpapier, findet eines, zerknittert's, schlägt sich an den Kopf
Dem Bacchus eintrichtern, dass er ein Gott ist!
Ein seliger Knabe!
Kein selbstgefälliger Hanswurst mit einem Pantherfell!
Mir scheint, das ist seine Tür.
läuft an die zweite Tür links, klopft; hält indessen mit voller Stimme die gefundene Melodie fest
O du Knabe! Du Kind! Du allmächtiger Gott!
Die Tür geht auf, Perückenmacher taumelt heraus, empfängt soeben eine Ohrfeige vom Tenor, der als Bacchus, aber mit kahlem Kopf, die Lockenperücke in der Hand, nach ihm zornig heraustritt.
DER TENOR
Das! Für einen Bacchus! Das mir aufzusetzen, mutet Er zu. Da hat Er, Lump, für seinen Bacchuskopf!
gibt ihm einen Fusstritt
KOMPONIST
ist zurückgesprungen
Mein Wertester! Sie allerdringendst muss ich sprechen!
PERÜCKENMACHER
zum Tenor
Dero misshelliges Betragen kann ich belächelnd nur einer angenommenen Gemütsaufwallung zurechnen.
KOMPONIST
Mein Wertester!
Der Tenor schlägt die Tür zu.
PERÜCKENMACHER
schreiend gegen die geschlossene Tür
Habe meinerseits keine Ursache, wegen meiner Leistungen vor Ihnen zu erröten!
KOMPONIST
sich ihm nähernd, naiv-bescheiden
Hat der Herr leicht ein Stückerl Schreibpapier?
Hätt' mir gern was aufnotiert!
Ich vergess' nämlich gar so leicht.
PERÜCKENMACHER
Kann nicht dienen!
läuft ab
ZERBINETTA
noch sehr im Négligé, mit dem Offizier aus dem Zimmer rechts
Erst nach der Oper kommen wir daran. Es wird keine kleine Mühe kosten, die Herrschaften wieder lachen zu machen, wenn sie sich erst eine Weile gelangweilt haben.
kokett
Oder meinen Sie, es wird mir gelingen?
Der Offizier küsst ihr stumm die Hand. Die Primadonna und der Musiklehrer treten ein. Sie trägt über dem Ariadne-Kostüm den Frisiermantel. Der Musiklehrer will sich verabschieden.
PRIMADONNA
Schnell, lieber Freund! Einen Lakai zu mir! Ich muss unbedingt sofort den Grafen sprechen.
Schliesst ihre Tür; der Komponist hat sie gesehen, will hin.
MUSIKLEHRER
hält ihn auf
Du kannst jetzt nicht eintreten - sie ist beim Frisieren.
Tanzmeister kommt von rückwärts, tritt zu Zerbinetta und dem Offizier
KOMPONIST
gewahrt erst jetzt Zerbinetta, zum Musiklehrer
Wer ist dieses Mädchen?
TANZMEISTER
zu Zerbinetta
Sie werden leichtes Spiel haben, Mademoiselle. Die Oper ist langweilig über die Begriffe, und was die Einfälle anlangt, so steckt in meinem linken Schuhabsatz mehr Melodie als in dieser ganzen Ariadne auf Naxos.
MUSIKLEHRER
zum Komponisten
Sei sie wer immer!
KOMPONIST
drängender
Wer ist dieses entzückende Mädchen?
MUSIKLEHRER
Um so besser, wenn sie dir gefällt. Es ist die Zerbinetta. Sie singt und tanzt mit vier Partnern das lustige Nachspiel, das man nach deiner Oper gibt.
KOMPONIST
zurückprallend
Nach meiner Oper? Ein lustiges Nachspiel? Tänze und Triller, freche Gebärden und zweideutige Worte nach Ariadne! Sag' mir's!
MUSIKLEHRER
zaghaft
Ich bitte dich um alles. -
KOMPONIST
tritt von ihm weg; edel
Das Geheimnis des Lebens tritt an sie heran, nimmt sie bei der Hand, und sie bestellen sich eine Affenkomödie, um das Nachgefühl der Ewigkeit aus ihrem unsagbar leichtfertigen Schädel fortzuspülen!
lacht krampfhaft
O ich Esel!
MUSIKLEHRER
Beruhige dich!
KOMPONIST
wütend
Ich mag mich nicht beruhigen! Ein heiteres Nachspiel! Ein Übergang zu ihrer Gemeinheit! Dieses masslos ordinäre Volk will sich Brücken bauen aus meiner Welt hinüber in die seinige! 0 Mäzene! Das erlebt zu haben, vergiftet mir die Seele für immer. Es ist undenkbar, dass mir je wieder eine Melodie einfällt! In dieser Welt kann keine Melodie ihre Schwingen regen!
Pause, dann mit verändertem Ton, ganz gemütlich
Und gerade früher ist mir eine recht schöne eingefallen! Ich habe mich über einen frechen Lakaien erzürnt, da ist sie mir aufgeblitzt - dann hat der Tenor dem Perückenmacher eine Ohrfeige gegeben - da hab' ich sie gehabt! - Ein Liebesgefühl, ein süss bescheidenes, ein Vertrauen, wie diese Welt es nicht wert ist - da:
den Text improvisierend
Du, Venus' Sohn - gibst süssen Lohn
Für unser Sehnen und Schmachten!
Lalala - mein junges Herz
Und all mein Sinnen und Trachten:
O du Knabe, du Kind, du allmächtiger Gott!
eilig gemütlich
Hast' ein Stückerl Notenpapier?
Der Musiklehrer gibt ihm welches. Der Komponist notiert. Harlekin, Scaramuccio, Brighella und Truffaldin sind im Gänsemarsch aus Zerbinettas Zimmer herausgekommen.
ZERBINETTA
vorstellend
Meine Partner! Meine erprobten Freunde! jetzt meinen Spiegel, mein Rot! Meinen Crayon!
Die vier laufen ins Zimmer, kommen bald wieder, bringen ein Strohstühlchen, Spiegel, Dosen, Puderquasten.
KOMPONIST
mit einem Blick auf Zerbinetta, besinnt sich plötzlich; fast tragisch
Und du hast es gewusst! Du hast es gewusst!
MUSIKLEHRER
Mein Freund, ich bin halt dreissig Jahrl'n älter als wie du
und hab' halt gelernt, mich in die Welt zu schicken.
KOMPONIST
Wer so an mir handelt, der ist mein Freund gewesen,
gewesen, gewesen, Gewesen!
zerreisst wütend das Notierte, läuft auf und nieder, dann nach hinten
PRIMADONNA
öffnet ihre Türe
PRIMADONNA
winkt dem Musiklehrer
Haben Sie nach dem Grafen geschickt?
tritt ein wenig vor, bemerkt Zerbinetta und die übrigen
Pfui! Was gibt's denn dafür Erscheinungen!
Zerbinetta hat auf dem Strohstühlchen rechts im Vorder rund Platz genommen, schminkt sich zu Ende, von ihren Partnern bedient.
PRIMADONNA
zum Musiklehrer, nicht gerade leise
Uns mit dieser Sorte von Leuten in einen Topf! Weiss man hier nicht, wer ich bin? Wie konnte der Graf -
ZERBINETTA
mit einem frechen Blick auf die Sängerin und absichtlich laut
Wenn das Zeug so langweilig ist, dann hätte man doch uns zuerst auftreten lassen sollen, bevor sie übellaunig werden. Haben sie sich eine Stunde lang gelangweilt, so ist ist es doppelt schwer, sie lachen zu machen.
TANZMEISTER
zu Zerbinetta
Im Gegenteil. Man kommt vom Tisch, man ist beschwert und wenig aufgelegt, man macht unbemerkt ein Schläfchen, klatscht dann aus Höflichkeit und um sich wach zu machen. Indessen ist man ganz munter geworden: » Was kommt jetzt?«, sagt man sich.
Die ungetreue Zerbinetta und ihre vier Liebhaber, ein heiteres Nachspiel mit Tänzen, leichte, gefällige Melodien, ja! eine Handlung, klar wie der Tag, da weiss man, woran man ist, das ist unser Fall, sagt man sich, da wacht man auf, da ist man bei der Sache! - Und wenn sie in ihren Karossen sitzen, wissen sie überhaupt nichts mehr, als dass sie die unvergleichliche Zerbinetta haben tanzen sehen.
MUSIKLEHRER
beruhigend zur Primadonna
Erzürnen Sie sich nicht um nichts und wieder nichts. Ariadne ist das Ereignis des Abends, um Ariadne zu hören, versammeln sich Kenner und vornehme Personen im Hause eines reichen Mäzens, Ariadne ist das Losungswort, Sie sind Ariadne, morgen wird überhaupt niemand mehr wissen, dass es ausser Ariadne noch etwas gegeben hat.
DER JUNGE LAKAI
läuft rückwärts vorüber
Die Herrschaften stehen vom Tisch auf! Man sollte sich hier beeilen.
MUSIKLEHRER
Meine Damen und Herren, an Ihre Plätze.
Alles kommt in Bewegung, die Arbeiter rückwärts sind fertig. Der Tenor, als Bacchus, sowie Najade, Dryade und Echo sind eingetreten. Der Haushofmeister tritt auf den Musiklehrer zu; mit Wichtigkeit.
DER HAUSHOFMEISTER
Ihnen allen habe ich eine plötzliche Anordnung meines gnädigen Herrn auszurichten.
MUSIKLEHRER
Ist schon geschehen, wir sind bereit, in drei Minuten mit der Oper Ariadne anzufangen.
HAUSHOFMEISTER
mit Grandezza
Der gnädige Herr haben sich nunmehr wiederum anders besonnen.
MUSIKLEHRER
Es soll also nicht mit der Oper begonnen werden?
PRIMADONNA
Was ist das?
HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung. Wo ist der Herr Tanzmeister? Ich habe einen Auftrag meines gnädigen Herrn an Sie beide.
TANZMEISTER
tritt herzu
Was wünscht man von mir?
HAUSHOFMEISTER
Mein gnädiger Herr belieben das von ihm selbst genehmigte Programm umzustossen.
MUSIKLEHRER
Jetzt im letzten Moment! Ah, das ist doch ein starkes Stückl!
HAUSHOFMEISTER
- umzustossen und folgendermassen abzuändern.
TANZME1STER
Das Nachspiel wird Vorspiel, wir geben zuerst Die ungetreue Zerbinetta, dann Ariadne. Sehr vernünftig.
HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung. Die Tanzmaskerade wird weder als Nachspiel noch als Vorspiel aufgeführt, sondern mit dem Trauerstück Ariadne gleichzeitig.
TENOR
Ha, ist dieser reiche Herr besessen?
MUSIKLEHRER
Will man sich über uns lustig machen?
PRIMADONNA
Sind die Leute wahnsinnig? Ich muss augenblicklich den Grafen sprechen!
Komponist nähert sich erschrocken. Zerbinetta horcht von rechts.
HAUSHOFMEISTER
mit hochmütiger Ironie
Es ist genau so, wie ich es sage. Wie Sie es machen werden, das ist natürlich Ihre Sache.
MUSIKLEHRER
dumpf
Unsere Sache!
HAUSHOFMEISTER
Mein gnädiger Herr ist der für Sie schmeichelhaften Meinung, dass Sie beide Ihr Handwerk genug verstehen, um eine solche kleine Abänderung auf eins, zwei durchzuführen; und es ist nun einmal der Wille meines gnädigen Herrn, die beiden Stücke, das lustige und das traurige, mit allen Personen und der richtigen Musik, so wie er sie bestellt und bezahlt hat, gleichzeitig auf seiner Bühne serviert zu bekommen.
MUSIKLEHRER
Warum gleichzeitig?
ZERBINETTA
leichtfertig
Da muss ich mich ja beeilen!
läuft in ihr Zimmer
HAUSHOFMEISTER
Und'zwar so, dass die ganze Vorstellung deswegen auch nicht einen Moment länger dauert. Denn für Punkt neun Uhr ist ein Feuerwerk im Garten anbefohlen.
MUSIKLEHRER
Ja, wie um aller Götter willen stellt sich denn Seine Gnaden das vor?
KOMPONIST
vor sich, ganz für sich leise
Eine innere Stimme hat mir von der Wiege an etwas Derartiges vorausgesagt.
HAUSHOFMEISTER
Es ist wohl nicht die Sache meines gnädigen Herrn, wenn er ein Spektakel bezahlt, sich auch noch damit abzugeben, wie es ausgeführt werden soll. Seine Gnaden ist gewohnt, anzuordnen und seine Anordnungen befolgt zu sehen.
nach einer Pause, nochmals umkehrend, herablassend
Zudem ist mein gnädiger Herr schon seit drei Tagen ungehalten darüber, dass in einem so wohlausgestatteten Hause wie dem seinigen ein so jämmerlicher Schauplatz wie eine wüste Insel ihm vorgestellt werden soll, und ist eben, um dem abzuhelfen, auf den sublimen Gedanken gekommen, diese wüste Insel durch das Personal aus dem anderen Stück einigermassen anständig staffieren zu lassen.
TANZMEISTER
Das finde ich sehr richtig. Es gibt nichts Geschmackloseres als eine wüste Insel.
KOMPONIST
Ariadne auf Naxos, Herr. Sie ist das Sinnbild der menschlichen Einsamkeit.
TANZMEISTER
Eben darum braucht sie Gesellschaft.
KOMPONIST
Nichts um sich als das Meer, die Steine, die Bäume, das fühllose Echo. Sieht sie ein menschliches Gesicht, wird meine Musik sinnlos.
TANZMEISTER
Aber der Zuhörer unterhält sich. So wie es jetzt ist, ist es, um stehend einzuschlafen.
Pirouette
HAUSHOFMEISTER
Um Vergebung, aber ich bitte sich höchlich zu beeilen, die Herrschaften werden sogleich eintreten.
ab
MUSIKLEHRER
Ich weiss nicht, wo mir der Kopf steht. Wenn man zwei Stunden Zeit hätte, um über die Lösung nachzudenken.
KOMPONIST
Darüber willst du, nachdenken? Wo menschliche Gemeinheit, stier wie die Meduse, einem entgegengrinst. Fort, was haben wir hier verloren?
MUSIKLEHRER
Was wir hier verloren haben? Die fünzig Dukaten unter anderem, von denen du das nächste halbe Jahr zu leben gedachtest.
KOMPONIST
vor sich
Ich habe nichts mit dieser Welt gemein! Wozu leben in ihr?
TANZMEISTER
nimmt den Musiklehrer beiseite
Ich weiss wirklich nicht, warum Sie beide einem so vernünftigen Vorschlag solch übertriebene Schwierigkeiten entgegensetzen.
MUSIKLEHRER
Meinen Sie denn irn Ernst, es liesse sich machen?
TANZMEISTER
Nichts leichter als das, Die Oper enthält Längen
leiser
gefährliche Längen. Man lässt sie weg. Diese Leute wissen zu improvisieren, finden sich in jede Situation.
MUSIKLEHRER
Still, wenn er uns hört, begeht er Selbstmord.
TANZMEISTER
Fragen Sie ihn, ob er seine Oper lieber heute ein wenig verstümmelt hören will, oder ob er sie niemals hören will. Schaffen Sie ihm Tinte, Feder, einen Rotstift, was immer!
zum Komponisten
Es handelt sich darum, Ihr Werk zu retten!
KOMPONIST
drückt die ihm von allen Seiten gereichten Noten leidenschaftlich an die Brust
Lieber ins Feuer!
Man bringt Tinte, - Feder, ein Licht dazu.
TANZME1STER
Hundert grosse Meister, die wir auf den Knien bewundern, haben ihre erste Aufführung mit noch ganz anderen Opfern erkauft.
KOMPONIST
rührend, hilflos
Meinen Sie? Hat er recht, du? Darf ich denn? Muss ich denn?
TANZMEISTER
drückt ihn sanft an den Tisch, wo man die Noten ausbreitet und das Licht danebenstellt; zum Musiklehrer
Sehen Sie zu, dass er genug streicht. Ich rufe indessen Zerbinetta, wir erklären ihr in zwei Worten die Handlung! Sie ist eine Meisterin im Improvisieren; da sie immer nur sich selber spielt, findet sie sich in jeder Situation zurecht, die anderen sind auf sie eingespielt, es geht alles wie am Schnürchen.
Er holt sich Zerbinetta aus dem Zimmer, spricht zu ihr. Komponist fängt an, beim Schein der Kerze zu streichen.
PRIMADONNA
zum Musiklehrer, leise
Sehen Sie zu, dass er dem Bacchus einiges wegnimmt; man erträgt es nicht, diesen Mann soviel singen zu hören.
TENOR
tritt verstohlen zum Komponisten, beugt sich zu ihm
Der Ariadne müssen Sie streichen. Niemand hält es aus, wenn diese Frau unaufhörlich auf der Bühne steht.
MUSIKLEHRER
flüsternd, nimmt den Tenor beiseite
Er nimmt ihr zwei Arien weg, Ihnen keine Note. Verraten Sie mich nicht.
tritt ebenso zur Primadonna hinüber
Sie behalten alles. Er nimmt dem Bacchus die halbe Rolle, lassen Sie sich nichts merken.
TANZMEISTER
zu Zerbinetta, lustig geistreich
Diese Ariadne ist eine Königstochter. Sie ist mit einem gewissen Theseus entflohen, dem sie vorher das Leben gerettet hat.
ZERB1NETTA
zwischen Tür und Angel
So etwas geht selten gut aus.
TANZMEISTER
Theseus wird ihrer überdrüssig und lässt sie bei Nacht auf einer wüsten Insel zurück!
MUSIKLEHRER
zum Komponisten
Noch das, es muss sein!
ZERBINETTA
verständnisvoll
Kleiner Schuft!
TANZMEISTER
Sie verzehrt sich in Sehnsucht und wünscht den Tod herbei.
ZERBINETTA
Den Tod! Das sagt man so. Natürlich meint sie einen anderen Verehrer.
TANZMEISTER
Natürlich, so kommt's ja auch!
KOMPONIST
hat aufgehorcht, kommt näher
Nein, Herr, so kommt es nicht! Denn, Herr! sie ist eine von den Frauen, die nur einem im Leben gehören und danach keinem mehr.
ZERBINETTA
Ha!
KOMPONIST
verwirrt, starrt sie an
- keinem mehr als dem Tod.
ZERBINETTA
Der Tod kommt aber nicht. Wetten wir. Sondern ganz das Gegenteil. Vielleicht auch. ein blasser, dunkeläugiger Bursche, wie du einer bist.
MUSIKLEHRER
Sie vermuten ganz recht. Es ist der jugendliche Gott Bacchus, der zu ihr kommt!
ZERBINETTA
fröhlich, spöttisch
Als ob man das nicht wüsste! Nun hat sie ja fürs nächste,
was sie braucht.
KOMPONIST
sehr feierlich
Sie hält ihn für den Todesgott. In ihren Augen, in ihrer Seele ist er es, und darum, einzig nur darum -
ZERBINETTA
aus der Tür
Das will sie dir weismachen.
KOMPONIST
Einzig nur darum geht sie mit ihm - auf sein Schiff! Sie meint zu sterben! Nein, sie stirbt wirklich.
ZERBINETTA
Tata. Du wirst mich meinesgleichen kennen lehren!
KOMPONIST
Sie ist nicht Ihresgleichen!
schreiend
Ich weiss es, dass sie stirbt.
leise
Ariadne ist die eine unter Millionen, sie ist die Frau, die nicht vergisst.
ZERBINETTA
Kindskopf.
Sie kehrt ihm den Rücken; zu ihren vier Partnern, die herangetreten sind.
Merkt auf, wir spielen mit in dem Stück Ariadne auf Naxos. Das Stück geht so: eine Prinzessin ist von ihrem Bräutigam sitzen gelassen, und ihr nächster Verehrer ist vorerst noch nicht angekommen. Die Bühne stellt eine wüste Insel dar. Wir sind eine muntere Gesellschaft, die sich zufällig auf dieser wüsten Insel befindet. Ihr richtet euch nach mir, und, sobald sich eine Gelegenheit bietet, treten wir auf und mischen uns in die Handlung!
KOMPONIST
während sie spricht, vor sich
Sie gibt sich dem Tod hin - ist nicht mehr da - weggewischt - Stürzt sich hinein ins Geheimnis der Verwandlung - wird neu geboren - entsteht wieder in seinen Armen! - Daran wird er zum Gott. Worüber in der Welt könnte eins zum Gott werden als über diesem Erlebnis?
ZERBINETTA
sieht ihm in die Augen
Courage! jetzt kommt Vernunft in die Verstiegenheit!
KOMPONIST
Lebendig war's! Stand da - so!
malt's mit den Händen in die Luft
ZERBINETTA
Und wenn ich hineinkomme, wird's schlechter?
KOMPONIST
vor sich
Ich überlebe diese Stunde nicht!
ZERBINETTA
Du wirst noch ganz andere überleben.
KOMPONIST
verloren
Was wollen Sie - in diesem Augenblick - damit sagen?
ZERBINETTA
mit äusserster Koketterie, scheinbar ganz schlicht
Ein Augenblick ist wenig - ein Blick ist viel. Viele meinen, dass sie mich kennen, aber ihr Auge ist stumpf. Auf dem Theater spiele ich die Kokette, wer sagt, dass mein Herz dabei im Spiele ist? Ich scheine munter und bin doch traurig, gelte für gesellig und bin doch so einsam.
KOMPONIST
naiv entzückt
Süsses, unbegreifliches Mädchen!
ZERBINETTA
Törichtes Mädchen, musst du sagen, das sich manchmal zu sehnen verstünde nach dem einen, dem sie treu sein könnte, treu bis ans Ende.
KOMPONIST
Wer es sein dürfte, den du ersehnest! Du bist wie ich - das lrdische unvorhanden in deiner Seele.
ZERBINETTA
zart
Du spricht, was ich fühle. - Ich muss fort. Vergisst du gleich wieder diesen einen Augenblick?
KOMPONIST
Vergisst sich in Äonen ein einziger Augenblick?
Zerbinetta macht sich los, läuft schnell in ihr Zimmer nach rechts. Der Musiklehrer, als Regisseur der Oper, hat die übrigen Figuren, den Tenor, dann die drei Nymphen nach rückwärts, wo die Bühne angenommen ist, dirigiert und kommt jetzt eilfertig nach vorne, die Primadonna abzuholen, die noch einmal in ihr Garderobezimmer verschwunden war.
MUSIKLEHRER
An Ihre Plätze, meine Damen und Herren! Ariadne! Zerbinetta! Scaramuccio, Harlekin! Auf die Szene, wenn ich bitten darf!
PRIMADONNA
Ich soll mit dieser Person auf einer Szene stehen! Woran denken Sie!
MUSIKLEHRER
Seien Sie barmherzig! Bin ich nicht Ihr alter Lehrer?
PRIMADONNA
Jagen Sie mir die Kreatur von der Bühne - oder ich weiss nicht, was ich tue!
MUSIKLEHRER
Wo hätten Sie eine schönere Gelegenheit als auf der Bühne, ihr zu zeigen, welch unermesslicher Abstand zwischen Ihnen befestigt ist!
PRIMADONNA
Abstand! Ha! Eine Welt, hoffe ich.
MUSIKLEHRER
Legen Sie diese Welt in jede Gebärde und - man wird Ihnen anbetend zu Füssen sinken.
küsst ihr die Hand, fährt sie ein paar Schritte nach rückwärts, kommt dann sogleich wieder, den Komponisten zu holen
KOMPONIST
umarmt den Musiklehrer stürmisch
Seien wir wieder gut! Ich sehe jetzt alles mit anderen Augen! Die Tiefen des Daseins sind unermesslich! - Mein lieber Freund, es gibt manches auf der Welt, das lässt sich nicht sagen. Die Dichter unterlegen ja recht gute Worte,
Jubel in der Stimme
jedoch, jedoch, jedoch, jedoch, jedoch! - Mut ist in mir, Freund. - Die Welt ist lieblich und nicht fürchterlich dem Mutigen - und was ist denn Musik?
mit fast trunkener Feierlichkeit
Musik ist eine heilige Kunst, zu versammeln alle Arten von Mut wie Cherubim um einen strahlenden Thron! Und darum ist Musik die heilige unter den Künsten!
Zerbinetta erscheint rückwärts, mit einem frechen Pfiff ihre Partner auf die Bühne zu rufen. Harlekin kommt eilfertig aus dem Zimmer rechts, läuft, seinen Gurt schnallend, auf die Bühne.
KOMPONIST
Was ist das? Wohin?
Scaramuccio, wie Harlekin, gleichfalls seine Toilette im Laufen beendend
Diese Kreaturen!
Truffaldin, Brighella, den gleichen Weg wie die vorigen
In mein Heiligtum hinein ihre Bocksprünge!
Ah!
MUSIKLEHRER
Du hast es erlaubt!
KOMPONIST
rasend
Ich durfte es nicht erlauben! Du durftest mir nicht erlauben, es zu erlauben! Wer hiess dich mich zerren, mich! in diese Welt hinein? Lass mich erfrieren, verhungern, versteinen in der meinigen!
Stürzt verzweifelt davon. Der Musiklehrer sieht ihm nach, schüttelt den Kopf.
OPER
Ariane vor der Höhle auf dem Boden, regungslos. Najade links. Dryade rechts. Echo rückwärts an der Wand der Grotte.
NAJADE
Schläft sie?
DRYADE
Schläft sie?
NAJADE
Nein! sie weinet!
DRYADE
Weint im Schlafe! horch! sie stöhnet.
ZU ZWEIEN
Ach! so sind wir sie gewöhnet.
NAJADE
Tag um Tag in starrer Trauer.
DRYADE
Ewig neue bittre Klagen.
NAJADE
Neuen Krampf und Fieberschauer.
DRYADE
Wundes Herz auf ewig, ewig
ECHO
Ewig! Ewig!
DRYADE
Unversöhnet!
ZU DREIEN
Ach, wir sind es eingewöhnet.
Wie der Blätter leichtes Schaukeln,
Wie der Wellen sanftes Gaukeln
Gleitets' über uns dahin. -
Ihre Tränen, ihre Klagen,
Ach, seit wieviel, wieviel Tagen,
Sie beschweren kaum den Sinn!
ARIADNE
an der Erde
Wo war ich? tot? und lebe, lebe wieder
Und lebe noch?
Und ist ja doch kein Leben, das ich lebe!
Zerstückelt Herz, willst ewig weiter schlagen?
richtet sich halb auf
Was hab' ich denn geträumt? Weh! schon vergessen
Mein Kopf behält nichts mehr;
Nur Schatten streichen
Durch einen Schatten hin.
Und dennoch, etwas zuckt dann auf und tut so weh!
Ach!
ECHO
in der Kulisse
Ach!
HARLEKIN
Wie jung und schön und masslos traurig!
ZERB1NETTA
Von vorne wie ein Kind, doch unterm Aug' wie dunkel!
BRIGHELLA, TRUFFALDIN
Und schwer, sehr schwer zu trösten, fürchte ich!
ARIADNE
ohne ihrer irgendwie zu achten; vor sich, monologisch
Ein Schönes war, hiess Theseus - Ariadne
Und ging im Licht und freute sich des Lebens!
Warum weiss ich davon? ich will vergessen!
Dies muss ich nur noch finden: es ist Schmach
Zerrüttet sein, wie ich!
Man muss sich schütteln: ja, dies muss ich finden:
Das Mädchen, das ich war!
Jetzt hab' ich's - Götter! dass ich's nur behalte!
Den Namen nicht - der Name ist verwachsen
Mit einem anderen Namen, ein Ding wächst
So leicht ins andere, wehe!
NAJADE, DRYADE, ECHO
als wollten sie sie erinnern, wachrufen
Ariadne!
ARIADNE
abwinkend
Nicht noch einmal! Sie lebt hier ganz allein,
Sie atmet leicht, sie geht so leicht,
Kein Halm bewegt sich, wo sie geht,
Ihr Schlaf ist rein, ihr Sinn ist klar,
Ihr Herz ist lauter wie der Quell:
Sie hält sich gut, drum kommt auch bald der Tag,
Da darf sie sich in ihren Mantel wickeln
Darf ihr Gesicht mit einem Tuch bedecken
Und darf da drinnen liegen
Und eine Tote sein!
Sie träumt vor sich hin.
HARLEKIN
in der Kulisse
Ich fürchte, grosser Schmerz hat ihren Sinn verwirrt.
ZERBINETTA
Versucht es mit Musik!
BRIGHELLA; TRUFFALDIN
Ganz sicher, sie ist toll!
ARIADNE
ohne den Kopfzu wenden, vor sich; als hätte sie die letzten Worte in ihren Traum hinein gehört
Toll, aber weise, ja! - Ich weiss, was gut ist,
Wenn man es fern hält von dem armen Herzen.
ZERBINETTA
in der Kulisse
Ach, so versuchet doch ein kleines Lied!
HARLEKIN
in der Kulisse, singt
Lieben, Hassen, Hoffen, Zagen,
Alle Lust und alle Qual,
Alles kann ein Herz ertragen
Einmal um das andere Mal.
Aber weder Lust noch Schmerzen,
Abgestorben auch der Pein,
Das ist tödlich deinem Herzen,
Und so musst du mir nicht sein!
Musst dich aus dem Dunkel heben,
Wär' es auch um neue Qual,
Leben musst du, liebes Leben,
Leben noch dies eine Mal!
Echo wiederholt seelenlos wie ein Vogel die Melodie von Harlekins Lied. Ariadne, unbewegt, träumt vor sich hin.
ZERBINETTA
Sie hebt auch nicht einmal den Kopf.
HARLEKIN
Es ist alles vergebens. Ich fühlte es während des Singens.
Echo wiederholt nochmals die Melodie.
ZERBINETTA
Du bist ja ganz aus der Fassung.
HARLEKIN
Nie hat ein menschliches Wesen mich so gerührt.
ZERBINETTA
So geht es dir mit jeder Frau.
HARLEKIN
Und dir vielleicht nicht mit jedem Mann?
ARIADNE
vor sich
Es gibt ein Reich, wo alles rein ist:
Es hat auch einen Namen: Totenreich.
hebt sich im Sprechen vom Boden
Hier ist nichts rein!
Hier kam alles zu allem!
Bald aber nahet ein Bote,
Hermes heissen sie ihn.
Mit seinem Stab
Regiert er die Seelen:
Wie leichte Vögel,
Wie welke Blätter
Treibt er sie hin.
Du schöner, stiller Gott!
Sieh! Ariadne wartet!
Ach, von allen wilden Schmerzen
Muss das Herz gereinigt sein,
Dann wird dein Gesicht mir nicken,
Wird dein Schritt vor meiner Höhle.
Dunkel wird auf meinen Augen,
Deine Hand auf meinem Herzen sein.
In den schönen Feierkleidern,
Die mir meine Mutter gab,
Diese Glieder werden bleiben,
Stille Höhle wird mein Grab.
Aber lautlos meine Seele
Folget ihrem neuen Herrn,
Wie ein leichtes Blatt im Winde
Folgt hinunter, folgt so gern.
Dunkel wird auf meinen Augen
Und in meinem Herzen sein,
Diese Glieder werden bleiben,
Schön geschmückt und ganz allein.
Du wirst mich befreien,
Mir selber mich geben,
Dies lastende Leben,
Du, nimm es von mir.
An dich werd' ich mich ganz verlieren,
Bei dir wird Ariadne sein.
Harlekin (verwegen); Brighella(jung, tölpelhaft); Scaramuccio (Gauner, 50jährig); Truffaldin (alberner Alter); hinter ihnen Zerbineita. Kommen von vorne auf die Bühne, schicken sich an, Ariadne durch einen Tanz zu erheitern. Zerbinetta bleibt seitwärts an der Kulisse.
DIE VIER
Die Dame gibt mit trübem Sinn
Sich allzusehr der Trauer hin.
Was immer Böses widerfuhr,
Die Zeit geht hin und tilgt die Spur.
Wir wissen zu achten
Der Liebe Leiden,
Doch trübes Schmachten,
Das wollen wir meiden.
Sie aufzuheitern,
Naht sich bescheiden
Mit den Begleitern
Dies hübsche Kind.
Sie tanzen.
Es gilt, ob Tanzen,
Ob Singen tauge,
Von Tränen zu trocknen
Ein schönes Auge.
Es trocknet Tränen
Die schmeichelnde Sonne,
Es trocknet Tränen
Der lose Wind:
Sie aufzuheitern,
Befahl den Begleitern,
O traurige Dame,
Dies hübsche Kind.
ZERBINETTA
indes die vier weitertanzen
Wie sie sich schwingen,
Tanzen und singen,
Der eine oder der andere
Gefiele mir schon.
Doch die Prinzessin
Verschliesst ihre Augen,
Sie mag nicht die Weise,
Sie liebt nicht den Ton.
indem sie zwischen die vier Tänzer tritt
Geht doch! Lasst's doch! Ihr fallet zur Last!
DIE VIER
indem sie weitertanzen
Sie aufzuheitern,
Befahl den Begleitern,
O traurige Dame,
Das hübsche Kind!
Doch wie wir tanzen,
Doch wie wir singen,
Was wir auch bringen,
Wir haben kein Glück.
ZERBINETTA
indem sie sie mit Gewalt fortdrängt
Drum lasset das Tanzen,
Lasset das Singen,
Zieht euch zurück!
Zurück! Versteht ihr nicht! Ihr seid nur lästig!
Sie schafft sie weg. Dann mit einer tiefen Verneigung vor Ariadne
Grossmächtige Prinzessin, wer verstünde nicht,
Dass so erlauchter und erhabener Personen Traurigkeit
Mit einem anderen Mass gemessen werden muss
Als der gemeinen Sterblichen. - Jedoch
Einen Schritt nähertretend, doch Ariadne achtet in keiner Weise auf sie.
Sind wir nicht Frauen unter uns, und schlägt denn nicht
In jeder Brust ein unbegreiflich, unbegreiflich Herz?
Abermals näher, mit einem Knicks, Ariadne, ihrer nicht zu achten, verhüllt ihr Gesicht.
Von unserer Schwachheit sprechen,
Sie uns selber eingestehen,
Ist es nicht schmerzlich süss ?
Und zuckt uns nicht der Sinn danach?
Sie wollen mich nicht hören -
Schön und stolz und regungslos,
Als wären Sie die Statue auf Ihrer eigenen Gruft -
Sie wollen keine andere Vertraute
Als diesen Fels und diese Wellen haben?
Ariadne tritt an den Eingang ihrer Höhle zurück.
Prinzessin, hören Sie mich an - nicht Sie allein,
Wir alle - ach, wir alle - was Ihr Herz erstarrt,
Wer ist die Frau, die es nicht durchgelitten hätte?
Verlassen! in Verzweiflung! ausgesetzt!
Ach, solcher wüsten Inseln ~ind unzählige
Auch mitten unter Menschen, ich - ich selber
Ich habe ihrer mehrere bewohnt
Und habe nicht gelernt, die Männer zu verfluchen.
Ariadne tritt vollends in die Höhle zurück, Zerbinetta richtet ihre weiteren Tröstungen an die Unsichtbargewordene.
Treulos - sie sinds!
Ungeheuer, ohne Grenzen!
Eine kurze Nacht,
Ein hastiger Tag,
Ein Wehen der Luft,
Ein fliessender Blick
Verwandelt ihr Herz!
Aber sind wir denn gefeit
Gegen die grausamen - entzückenden,
Die unbegreiflichen Verwandlungen?
Noch glaub' ich dem einen ganz mich gehörend,
Noch mein' ich mir selber so sicher zu sein,
Da mischt sich im Herzen leise betörend
Schon einer nie gekosteten Freiheit,
Schon einer neuen verstohlenen Liebe
Schweifendes freches Gefühle sich ein!
Noch bin ich wahr, und doch ist es gelogen,
Ich halte mich treu und bin schon schlecht,
Mit falschen Gewichte wird alles gewogen -
Und halb mich wissend und halb im Taumel
Betrüg' ich ihn endlich und lieb' ihn noch recht!
So war es mit Pagliazzo
Und mit Mezzetin!
Dann war es Cavicchio,
Dann Burattin,
Dann Pasquariello !
Ach, und zuweilen,
Will es mir scheinen,
Waren es zwei!
Doch niemals Launen,
Immer ein Müssen!
Immer ein neues
Beklommenes Staunen.
Dass ein Herz so gar sich selber,
Gar sich selber nicht versteht!
Als ein Gott kam jeder gegangen,
Und sein Schritt schon machte mich stumm,
Küsste er mir Stirn und Wangen,
War ich von dem Gott gefangen
Und gewandelt um und um!
Als ein Gott kam jeder gegangen,
Jeder wandelte mich um,
Küsste er mir Mund und Wangen,
Hingegeben war ich stumm!
Kam der neue Gott gegangen,
Hingegeben war ich stumm!
Echo, unsichtbar, wiederholt das Rondo, aber ohne Text, ad libitum. Harlekin springt aus der Kulisse.
HARLEKIN
Hübsch gepredigt! Aber tauben Ohren!
ZERBINETTA
Ja, es scheint, die Dame und ich sprechen verschiedene Sprachen.
HARLEKIN
Es scheint so.
ZERBINETTA
Es ist die Frage, ob sie nicht schliesslich lernt, sich in der meinigen auszudrücken.
HARLEKIN
Wir wollen's abwarten. Was wir aber nicht abwarten wollen -
Er ist mit einem Sprung dicht bei ihr, sucht sie zu umarmen.
ZERBINETTA
macht sich los
Wofür hältst du mich?
HARLEKIN
Für ein entzückendes Mädchen, dessen Beziehungen zu mir dringend einer Belebung bedürfen
ZERBINETTA
Unverschämter! und ausserdem: hier! Zwei Schritte von der Wohnung der Prinzessin!
HARLEKIN
Pah! Wohnung, es ist eine Höhle.
ZERBINETTA
Was ändert das?
HARLEKIN
Sehr viel, sie hat keine Fenster.
versucht abermals sie zu küssen
ZERBINETTA
macht sich energisch los
Ich glaube, du wärest wirklich fähig!
HARLEKIN
Zweifle nicht, zu allem!
ZERBINETTA
misst ihn mit dem Blick, halbfür sich
Zu denken, dass es Frauen gibt, denen er ebendarum gefiele -
HARLEKIN
Und zu denken, dass du von oben bis unten eine solche Frau bist!
BRIGHELLA, SCARAMUCCIO, TRUFFALDIN
stecken links und rechts ihre Köpfe aus der Kulisse
Pst! Pst! Zerbinettal
ZERBINETTA
hat sich Harlekin entzogen, läuft nach vorn, vor sich, beinahe ad spectatores
Männer! Lieber Gott, wenn du wirklich wolltest, dass wir ihnen widerstehen sollten, warum hast du sie so verschieden geschaffen?
DIE VIER
Eine Störrische zu trösten,
Lasst das peinliche Geschäft!
Will sie sich nicht trösten lassen,
Lass sie weinen, sie hat recht!
Zerbinetta tanzt von einem zum anderen, weis jedem zu schmeicheln.
BRIGHELLA
mit albernem Ton
Doch ich bin störrisch nicht,
Gibst du ein gut Gesicht.
Ach, ich verlang' nicht mehr,
Freu' mich so sehr.
SCARAMUCCIO
mit schlauem Ausdruck
Auf dieser Insel
Gibt's hübsche Plätze.
Komm', lass dich führen,
Ich weiss Bescheid!
TRUFFALDIN
täppisch lüstern
Wär' nur ein Wagen,
Ein Pferdchen nur mein,
Hätt' ich die Kleine
Bald wo allein!
HARLEKIN
diskret im Hintergrund
Was sie vergeudet Augen und Hände,
Laur' ich im stillen Hier auf das Ende!
ZERBINETTA
von einem zum anderen tanzend
Immer ein Müssen,
Niemals Launen,
Immer ein neues
Unsägliches Staunen!
DIE VIER, MIT ZERBINETTA
in beliebiger Verschränkung
BRIGHELLA
Ich bin nicht störrisch.
HARLEKIN
Ich laure im stillen.
ZERBINETTA
im Tanzen
So war's mit Pasquariello
Und so mit Mezzetin!
SCARAMUCCIO
Hätt' ich das Mädchen
TRUFFALDIN
Ich wüsste Bescheid!
ZERBINETTA
im Tanzen
Dann mit Cavicchio
Und mit Burattin!
ZWEI
Komm', lass dich führen,
Ich laure im stillen!
ZERBINETTA
im Tanzen
Ach, und zuweilen
Waren es zwei!
ZWEI
Es gibt hübsche Plätze:
Ich weiss Bescheid!
ZERBINETTA
Ach, und zuweilen
Waren es zwei!
Unterm Tanzen scheint sie einen Schuh zu verlieren. Scaramuccio , flink, erfasst den Schuh und küsst ihn. Sie lässt sich ihn von ihm anziehen, wobei sie sich auf Truffaldin stützt, der ihr von der anderen Seite zu Füssen gefallen ist.
ZERBINETTA
zu Truffaldin
Wie er feurig sich erniedert!
ZERBINETTA
aufs neue tanzend
Mach' ich ihn auf diese neidig
Wird der steife - wie geschmeidig,
Wird der steife Bursch sich drehn!
BRIGHELLA
steif tanzend und singend
Macht sie mich auf diese neidig,
Ach, wie will ich mich geschmeidig
Um die hübsche Puppe drehn!
SCARAMUCCIO
gleichfalls tanzend
Macht sie uns auf diesen neidig,
Hei, wie alle sich geschmeidig,
Hui, um ihre Gunst sich drehn!
TRUFFALDIN
ebenso
Wie sie jeden sich geschmeidig,
Einen auf den anderen neidig,
Ohne Pause weiss zu drehn!
Während die drei sich drehen, wirft sich Zerbinetta rückwärts Harlekin in die Arme und eilt, mit ihm zu verschwinden.
SCARAMUCCIO, BR1GHELLA, TRUFFALD1N
finden sich allein
Mir der Schuh!
Mir der Blick!
Mir die Hand!
Das war das Zeichen,
Schlau aus dem Kreise muss ich mich schleichen!
Mich erwartet das himmlische Wesen,
Mich zum Freunde hat sie erlesen!
Alle drei schleichen verstohlen in die Kulisse, gleich darauf erscheint zuerst Scaramuccio, von rechts kommend, vor der Bühne, verlarvt.
SCARAMUCC10
Pst, wo ist sie? Wo mag sie sein?
späht herum, geht rechts um die Bühne herum
BRIGHELLA
verlarvt, von links kommend, leise, dummschlau
Pst, wo ist sie? Wo mag sie sein?
wendet sich nach rechts, stösst dort mit dem zurückkehrenden Scaramuccio zusammen
TRUFFALDIN
verlarvt, von links, an der linken Ecke in eben dem Augenblick hervorkommend, als Brighella nach rechts den ersten Schrtt tut
Pst! wo ist sie? Wo mag sie sein?
Stösst mit den beiden zusammen; alle drei taumeln sie in die Mitte.
ALLE DREI
jeder für sich
Verdammter Zufall! Aber man erkennt mich nicht!
Zerbinetta und Harlekin sind links vorne wieder erschienen.
ZERBINETTA
Dass ein Herz so gar sich selber,
Gar sich selber nicht versteht!
Brighella, Scaramuccio, Truffaldin sehen einander an.
HARLEKIN
Ach, wie reizend, fein gegliedert!
ZERB1NETTA
Hand und Lippe, Mund und Hand!
DIE DREI GESELLEN
Ai! Ai!
HARLEKIN UND ZERBINETTA
Hand und Lippe, Mund und Hand,
Welch ein zuckend Zauberband.
DIE DREI GESELLEN
Ai! ai! ai! ai! Der Dieb! Der Dieb!
Der nieder-, niederträchtige Dieb!
Die Bühne bleibt nach AbgaiZg derfünf Masken (Zerbinetta, Harlekin usw.) leer. Zwischenspiel des Orchesters, auf Bacchus bezüglich, durchausftemdarlig, geheimnisvoll; sodann Najade, Dryade, Echo treten, fast zugleich, hastig auf von rechts, links und rückwärts.
DRYADE
aufgeregt
Ein schönes Wunder!
NAJADE
Ein reizender Knabe!
DRYADE
Ein junger Gott!
ECHO
Ein junger Gott, ein junger Gott!
DRYADE
So wisst ihr - ?
NAJADE
Den Namen?
DRYADE
Bacchus!
NAJADE
Mich höret.
ECHO
Mich höret doch an!
DRYADE
Die Mutter starb bei der Geburt.
NAJADE
Königstochter.
DRYADE
Eines Gottes Liebste!
NAJADE
Was für eines Gottes?
ECHO
enthusiastisch
Eines Gottes Liebste!
NAJADE
eifrig
Was für eines Gottes?
DRYADE
Aber den Kleinen - hört doch! - Nymphen,
Nymphen zogen ihn auf!
ECHO
begeistert
Nymphen zogen ihn auf!
NAJADE, DRYADE
Nymphen! das zarte, göttliche Kind!
ZU DREIEN
Ach, dass nicht wir es gewesen sind.
ECHO
vogelhaft
Ach, dass nicht wir es gewesen sind.
DRYADE
Es wächst wie die Flamme unter dem Wind.
NAJADE
Ist schon kein Kind mehr - Knabe und Mann!
DRYADE
Schnell zu Schiffe mit wilden Gefährten!
NAJADE
Nächtig im Wind die Segel gestellt!
DRYADE
Er am Steuer, er am Steuer.
NAJADE
Kühn! der Knabe!
ECHO
vogelhaft
Er am Steuer.
DRYADE, NAJADE
Heil dem ersten Abenteuer!
ECHO
Er am Steuer!
DRYADE
Das erste! Ihr wisst, was es war?
NAJADE
Circe! Circe! an ihrer Insel
Landet das Schiff, zu ihrem Palast
Schweift der Fuss, nächtlich mit Fackeln -
DRYADE
An der Schwelle empfängt sie ihn,
An den Tisch zieht sie ihn hin,
Reicht die Speise, reicht den Trank
NAJADE
eifrigst
Den Zaubertrank-! Die Zauberlippen!
Allzu süsse Liebesgabei
ECHO
Allzu süsse Liebesgabe!
DRYADE
Triumph im Ton
Doch der Knabe - doch der Knabe!
Wie sie frech und überheblich
Ihn zu ihren Füssen winkt
Ihre Künste sind vergeblich,
Weil kein Tier zur Erde sinkt!
ZU DREIEN
Alle Künste sind vergeblich,
Weil kein Tier zur Erde sinkt!
DRYADE
Aus den Armen ihr entwunden
Blass und staunend, ohne Spott -
Nicht verwandelt, nicht gebunden
Steht vor ihr ein junger Gott!
ZU DRE1EN
Nicht verwandelt, nicht gebunden
Steht vor ihr ein junger Gott!
ECHO
vogelhaft entzückt
Nicht verwandelt!
NAJADE, DRYADE
am Eingang der Höhle
Ariadne!
NAJADE
Schläft sie?
DRYADE
Schläft sie?
NAJADE
Nein! sie hört uns!
ECHO
Nicht verwandelt!
DRYADE
der Ariadne meldend
Ein schönes Wunder!
NAJADE
Ein Knabe! Ein Gott!
DRYADE
immer gegen die Höhle hin
Gestern noch der Gast der Circe,
Mit ihr liegend bei dem Mahle
Nippend von dem Zaubertrank -
ECHO
Nicht verwandelt!
NAJADE
Heute ist er hier bei uns!
DRYADE
Hörst du?
NAJADE
Hörst du?
ZU ZWEIEN
Ariadne!
Bacchus' Stimme wird hörbar. Im gleichen Augenblick, wie von Magie hervorgezogen, tritt Ariadne lauschend aus der Höhle. Die drei Nymphen, lauschend, treten seit- und rückwärts zurück.
BACCHUS
erscheint auf einem Felsen, Ariadne und den Nymphen unsichtbar
Circe, kannst du mich hören?
Du hast mir fast nichts getan
Doch die dir ganz gehören,
Was tust du denen an?
Circe, ich konnte fliehen,
Sieh, ich kann lächeln und ruhn -
Circe, was war dein Wille,
An mir zu tun?
ARIADNE
in sein Singen hinein, vor sich, leisest
Es greift durch alle Schmerzen,
Auflösend alte Qual: ans Herz im Herzen greift's.
NAJADE, DRYADE, ECHO
leise, zaghaft
Töne, töne, süsse Stimme,
Fremder Vogel, singe wieder,
Deine Klagen, sie beleben,
Uns entzücken solche Lieder!
BACCHUS
schwermütig, lieblich
Doch da ich unverwandelt
Von dir gegangen bin,
Was haften die schwülen Gefühle
An dem benommenen Sinn?
Als wär' ich von schläfernden Kräutern
Betäubt, ein Waldestier! -
Circe, was du nicht durftest,
Geschieht es doch an mir?
ARIADNE
wie oben
O Todesbote, süss ist deine Stimme!
Balsam ins Blut, und Schlummer in die Seele!
NAJADE, DRYADE, ECHO
nachdem die Stimme zu verstummen scheint, leise
Töne, töne, süsse Stimme,
Süsse Stimme, töne wieder!
Deine Klagen, sie beleben!
Uns entzücken deine Lieder!
BACCHUS
fröhlich, mit etwas wie graziösem Spott
Circe, ich konnte fliehen!
Circe, du hast mir fast nichts getan!
Sieh, ich kann lächeln und ruhn!
Circe - was war dein Wille,
An mir zu tun?
ARIADNE
zugleich mit ihm, die Augen geschlossen, die Händegehoben nach der Richtung, von der die Stimme tönt, leise
Belade nicht zu üppig
Mit nächtlichem Entzücken
Voraus den schwachen Sinn!
Die deiner lange harret,
Nimm sie dahin!
Bacchus tritt hervor, steht vor Ariadne.
ARIADNE
in jähem Schreck, schlägt die Hände vors Gesicht
Theseus!
dann schnell sich neigend
Nein! nein! es ist der schöne stille Gott!
Ich grüsse dich, du Bote aller Boten!
Najade, Dryade, Echo haben sich unter tiefer Verneigug zurückgezogen.
BACCHUS
ganz jung, zartest im Ton
Du schönes Wesen? Bist du die Göttin dieser Insel?
Ist diese Höhle dein Palast? sind diese deine Dienerinnen?
Singst du am Webstuhl Zauberlieder?
Nimmst du den Fremdling da hinein
Und liegst mit ihm beim Mahl,
Und tränkest du ihn da mit einem Zaubertrank?
Und ach, wer dir sich gibt, verwandelst du ihn auch?
Weh! Bist du auch solch eine Zauberin?
ARIADNE
Ich weiss nicht, was du redest.
Ist es, Herr, dass du mich prüfen willst?
Mein Sinn ist wirr von vielem Liegen ohne Trost!
Ich lebe hier und harre deiner, deiner harre ich
Seit Nächten, Tagen, seit wievielen,
Ach, ich weiss es nicht mehr!
BACCHUS
Wie? kennest du mich denn?
Du hast mit einem Namen mich gegrüsst.
ARIADNE
Nein! nein! Der bist du nicht,
Mein Sinn ist leicht verwirrt!
BACCHUS
Wer bin ich denn?
ARIADNE
neigt sich
Du bist der Herr über ein dunkles Schiff,
Das fährt den dunklen Pfad.
BACCHUS
nickt
ich bin der Herr über ein Schiff.
ARIADNE
jäh
Nimm mich! Hinüber!
Fort von hier mit diesem Herzen!
Es ist zu nichts mehr nütze auf der Welt.
BACCHUS
sanft
So willst du mit mir gehen auf mein Schiff?
ARIADNE
Ich bin bereit. Du fragst? Ist es, dass du mich prüfen willst?
Bacchus schüttelt den Kopf. Ariadne mit unterdrückter Angst
Wie schaffst du die Verwandlung? mit den Händen?
Mit deinem Stab? Wie, oder ist's ein Trank,
Den du zu trinken gibst? Du sprachst von einem Trank!
BACCHUS
verträumt in ihrem Anblick
Sprach ich von einem Trank, ich weiss nichts mehr.
ARIADNE
nickt
Ich weiss, so ist es dort, wohin du mich führest!
Wer dort verweilet, der vergisst gar schnell!
Das Wort, der Atemzug ist gleich dahin!
Man ruht und ruht vom Ruhen wieder aus;
Denn dort ist keiner matt vom Weinen -
Er hat vergessen, was ihn schmerzen sollte:
Nichts gilt, was hier gegolten hat, ich weiss -
Sie schliesst die Augen.
BACCHUS
tieferregt, unbewusst feierlich
Bin ich ein Gott, schuf mich ein Gott,
Starb meine Mutter in Flammen dahin,
Als sich in Flammen mein Vater ihr zeigte,
Versagte der Circe Zauber an mir,
Weil ich gefeit bin, Balsam und Äther
Für sterbliches Blut in den Adern mir fliesst.
Hör' mich, Wesen, das vor mir steht,
Hör' mich, du, die sterben will:
Dann sterben eher die ewigen Sterne,
Als dass du stürbest aus meinen Armen!
ARIADNE
ängstlich zurückweichend vor der Gewalt seines Tones
Das waren Zauberworte! Weh! So schnell!
Nun gibt es kein Zurück. Gibst du Vergessenheit
So zwischen Blick und Blick?
Entfernt sich alles,
Alles von mir?
Die Sonne? Die Sterne?
Ich mir selber?
Sind meine Schmerzen mir auf immer, immer
Genommen? Ach!
verhauchend
Bleibt nichts von Ariadne als ein Hauch?
Sie sinkt, er hält sie. Alles versinkt, ein Sternenhimmel spannt sich über den zweien.
BACCHUS
mehr ergriffen als laut
Ich sage dir, nun hebt sich erst das Leben an
Für dich und mich!
Er küsst sie.
ARIADNE
entwindet sich ihm, unbewusst, sieht mit bangem Staunen um sich
Lag nicht die Welt auf meiner Brust? hast du,
Hast du sie fortgeblasen?
Da innen lag die arme Hündin
An' Boden gedrückt, auf kalten Nesseln
Mit Wurm und Assel und ärmer als sie -
BACCHUS
Nun steigt deiner Schmerzen innerste Lust
In dein' und meinem Herzen auf!
ARIADNE
Du Zauberer, du! Verwandler, du!
Blickt nicht aus dem Schatten deines Mantels
Der Mutter Auge auf mich her?
Ist so dein Schattenland! also gesegnet!
So unbedürftig der irdischen Welt?
BACCHUS
Du selber! du bist unbedürftig,
Du meine Zauberin!
AR1ADNE
Gibt es kein Hinüber?
Sind wir schon da?
Wie konnt' es geschehen?
Auch meine Höhle, schön gewölbt
Über ein seliges Lager,
Einen heiligen Altar!
Wie wunder-, wunderbar verwandelst du!
BACCHUS
Du! Alles du!
Ich bin ein anderer, als ich war!
Der Sinn des Gottes ist wach in mir,
Dein herrlich Wesen ganz zu fassen!
Die Glieder reg' ich in göttlicher Lust!
Die Höhle da! Lass mich, die Höhle deiner Schmerzen
Zieh' ich zur tiefsten Lust um dich und mich!
Ein Baldachin senki sich von oben langsam über beide, sie einschliessend
NAJADE, DRYADE, ECHO
hinter der Bühne, unsichtbar
Töne, töne, süsse Stimme
Fremder Vogel, singe wieder
Deine Klagen, sie beleben,
Uns entzücken solche Lieder.
ARIADNE
an seinem Arm hängend
Was hängt von mir in deinem Arm?
O, was von mir, die ich vergehe.
Fingest du Geheimes
Mit deines Mundes Hauch?
Was bleibt, was bleibt von Ariadne?
Lass meine Schmerzen nicht verloren sein!
Bei dir lass Ariadne sein!
ZERBINETTA
tritt aus der Kulisse, weist mit dem Fächer über die Schulter auf Bacchus und Ariadne zurück und wiederholt mit spöttischem Triumph ihr Rondo
Kommt der neue Gott gegangen,
Hingegeben sind wir stumm!
BACCHUS' STIMME
Deiner hab' ich um alles bedurft!
Nun bin ich ein anderer, als ich war,
Durch deine Schmerzen bin ich reich,
Nun reg' ich die Glieder in göttlicher Lust!
Und eher sterben die ewigen Sterne,
Eh' denn du stürbest aus meinen Armen
Der Baldachin hat sich geschlossen.