Libretto: Il Re pastore

from Wolfgang Amadeus Mozart


Der König als Hirte


Personen:
ALEXANDER, König vom Mazedonien (Alt oder Tenor)
AMINTAS, Hirte, Sohn des phönizischen Königs Alceus (Sopran)
ELISA, junge, vornehme Phönizierin, Geliebte des Amintas (Sopran)
TAMIRIS, Tochter des Thronräubers Straton, Geliebte des Agenor
AGENOR, vornehmer Phönizier, Alexanders Vertrauter

ERSTER AUFZUG

Nr. 1 - Ouvertüre

ERSTE SZENE

Arie

AMINTAS
Dein leises Murmeln,
mein Freund Bach, verstehe ich.
Du fragst in deiner Sprache,
wo unsere Liebste ist.

Rezitativ

AMINTAS
Schöne Elisa, meine Holde,
wohin?

ELISA
Zu dir, mein lieber Amintas.

AMINTAS
O Götter! Weisst du nicht,
dass Alexanders Lager
sich nicht weit von hier befindet,
und dass bewaffnete Mazedonier
durch die liebliche Umgebung streifen?

ELISA
Ich weiss.
Aber Alexanders Tugend
tust du Unrecht. Bewacher unserer Sicherheit
sind jene Scharen, die du fürchtest.
Sidon vom Tyrannen zu befreien, kam er her.
Für seine Gaben will er aber keinen Lohn.
Das Joch hat er zerbrochen,
den Thron jedoch weist er zurück.

AMINTAS
Wer wird also unser König sein?

ELISA
Man glaubt,
ass unkund seiner selbst und im Verborgenen
der rechtmässige Erbe lebt.

AMINTAS
Und wo?

ELISA
Ach,
Alexander soll ihn suchen.
Lebwohl!
Zur Mutter laufe ich und komme dann zu dir.
Dann werde ich dich niemals mehr verlassen.
Beisammen wird uns stets die Sonne sehen
im Sinken, im Wiederkehren.
O süsses Leben! O beglückte Tage.

Nr. 2 - Arie

ELISA
Zum Wald, zur Wiese und zum Quell
zieh ich mit der geliebten Herde hin.
Zum Wald, züm Quell, zur Wiese
Kommt mein Geliebter dann mit mir.

Unterm rohen, engen Dach,
das uns behüten wird,
soll mit der Freude, dem Entzücken,
Unschuld beherbergt sein.


ZWEITE SZENE

Rezitativ

AMINTAS
Verschwiegene Wälder, liebliche Gefährten,
was hab ich euch zu danken! Meinen
Frieden, Ruhe, heitere Tage, übervoll der
Wonnen und der wahren Freude.
Eines Thrones Pracht wiese ich zurück für
die Zufriedenheit und dieses Glück. All dies,
ich weiss, ist eure Gabe. Wenn ich allein bei
euch über meine liebe Herde wache, versüsse
ich die Weise mit den schlichten Tönen
meiner bescheidenen Schalmei. Trübsal vertreibe
ich, und ich singe froh. Ich singe von
der süssen Liebe meines holden Mädchens,
das nach mir seufzt, wenn ich nicht
bei ihm bin, und ganz in Flammen steht.
Als Phönix gehe ich in diesem Feuer unter und erstehe neu.
Sagt, ihr Hirten,
ob sich einer unter euch befindet,
der seliger und beglückter ist als ich.
Denn dem treuen Amintas ist die liebliche
Elisa treu. Jedes geschwätzige
Bächlein sagt es allen.
Die Wand des Berges ruft es fröhlich weiter,
und nickend bestätigt es jeder Zweig.
Auch die Vöglein eifern unserer Liebe nach.
Unter Küssen und Liebkosungen künden
sie es, an Elisas und Amintas Beispiel
als wahrhaftige Zeugen von Pol zu Pol,
dass die Ruhe und der Friede
und die wahre Liebe
in der Hirten Leben wohnen.

Nr. 3 - Arie

AMINTAS
Sanfte Lüfte, heitereTage,
grüne Wiesen, frischer Quell
sind das allerhöchste Glück
des Hirten und der Erde.

Gefiele es einst dem Schicksal,
meine Pflichten zu ändern,
sollen die Götter Sorge tragen,
mir zu wandeln Herz und Sinn.

Rezitativ

AMINTAS
Verzeiht mir, gütige Götter: Ich war zu ungerecht, wenn ich mit euch haderte. Glänzt mir am Himmel unter den Gestirnen, die mich leiten, nicht der schönste Stern? Wenn einer glücklich ist auf Erden, ist's Amintas.

AGENOR
(Hier ist der Hirte!)

AMINTAS
In meiner Freude vergesse ich
die arme Herde ...

ALEXANDER
Höre, Freund.

AMINTAS
(Ein Krieger!) was begehrst du?

ALEXANDER
Nur mit dir zu sprechen.

AMINTAS
(Was will er wohl von mir?)

ALEXANDER
Wie nennst du dich?

AMINTAS
Amintas.

ALEXANDER
Und der Vater?

AMINTAS
Alceos.

ALEXANDER
Lebt er noch?

AMINTAS
Nein. Fünf Jahre sind vergangen,
seit ich ihn verloren habe.

ALEXANDER
Was hattest du
als väterliches Erbe?

AMINTAS
Ein wenig Land, das mir die Nahrung gibt,
ein paar Schafe, eine Hütte und ein
zufriedenes Herz.

ALEXANDER
In bescheidenem Los lebst du.

AMINTAS
Unter guten Sternen scheint es mir
zu stehen. Kein schöneres Los begehre
ich für mich.

ALEXANDER
Mit so geringen Glückesgütern ...

AMINTAS
Meine Wünsche sind
noch viel geringer.

ALEXANDER
Was kann dich vor
umherstreifenden
Männern in Waffen schützen?

AMINTAS
Was ich so sehr achte, was du verachtest
und was der Himmel schützt: Das arme
Dasein im Verborgenen.

AGENOR
(Hast du noch Zweifel?)

ALEXANDER
(Die Worte erstaunen und bezaubern mich.)

AMINTAS
Wenn du nichts weiter willst, so lebe wohl!

ALEXANDER
Höre! Ich werde deine Schritte
zu Alexander leiten, wenn du willst.

AMINTAS
Nein.

ALEXANDER
Warum?

AMINTAS
Von meinen Pflichten hielte er mich ab.
Kostbare Augenblicke nähme ich ihm
weg, die er auf Erden dem Wohle aller
widmen kann. Jedweder schuldet seinem
Stand das seine. Amintas hat andere
Pflichten als Alexander. Die Erde
ist für ihn zu eng. Für mich ist eine Hütte
weit genug. Ich gehöre meinen Schafen. Er
ist Feldherr seiner Krieger. Ein kleines Feld
bestelle ich, er gründet Reiche.

ALEXANDER
Der Himmel kann jedoch mit einem Schlag
deines Schicksals Lauf verändern.

AMINTAS
Ja! Doch will er mich bislang als Hirte.


DRITTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Nun, was sagst du, Alexander?

ALEXANDER
Gewiss verbirgt sich hinter jenem Hirten
der unbekannte Erbe des Throns von Sidon.
Die Beweise waren schon gewichtig, doch
dieses Antlitz, diese Worte sind es noch
mehr. Welch edles Herz! Welch reine,
heitere Tugend! Folge mir! Wir wollen nun
das grosse Werk beginnen!
Dieses ist mein schönster Ruhm. Mauern
einzureissen, Heere in die Flucht zu schlagen,
im Kriegsgetümmel Reiche zu erschüttern,
das sind Freuden von Helden hier auf Erden.
Doch Unterdrückte aufzurichten,
den Völkern Glück zu bringen,
Tugend zu krönen, und hinwegzunehmen, was
sie beleidigen und trüben könnte, das ist
Freude, die des Himmels Götter fühlen.

Nr. 4 - Arie

ALEXANDER
Vor der Sonne Angesicht
ziehen manchmal Wolken auf.
Sie dräuen, und Blitze zucken
hinab zur dürren Erde.

Wenn sich auf diese Weise
der Gewittergroll zusammenbraut,
löst alles sich in Regen auf
und labt die Brust.


VIERTE SZENE

Rezitativ

TAMIRIS
Agenor? Verweile, höre ...

AGENOR
Verzeih, anmutige Hirtin.
Alexanders Schritten muss ich folgen…
(O Götter! Tamiris ist es.)
Prinzessin ...

TAMIRIS
Ach, mein Liebster!

AGENOR
Bist du es?

TAMIRIS
Ich bin's.

AGENOR
Du hier, du in diesen Hüllen?

TAMIRIS
Ihnen verdanke ich das einzige Gut,
das mir geblieben ist: die Freiheit,
da Alexander mir den Vater
und die Krone genommen hat.

AGENOR
Prinzessin, willst du einem klügeren Rate
folgen? Zu Alexander
komm mit mir.

TAMIRIS
Zum Mörder meines Vaters?

AGENOR
Straton hat sich selbst getötet. Er kam damit
der Gnade eines Siegers zuvor.

TAMIRIS
Ich selbst soll meine Hand in Bande legen?
Soll Beleidigung ertragen,
so wie die Frauen der Griechen?

AGENOR
Du täuschst dich. Alexander
kennst du nicht, und die Täuschung kann ich
jetzt nicht von dir nehmen.
Lebewohl! Bald komme ich zu dir.

TAMIRIS
Sieh dort
Elisas Haus ...

AGENOR
Es ist mir schon bekannt.

TAMIRIS
Höre!

AGENOR
Was willst du?

TAMIRIS
Welchen Platz habe ich in deinem Herzen?

AGENOR
Ach! siehst du's nicht?
Frage deine schönen Augen, Prinzessin.

Nr. 5 - Arie

AGENOR
Gib mir Antwort,
reizendes Gestirn der Liebe.
Wenn du es nicht kannst,
wer sollte es dann können?

Dir waren alle Wege
meines Herzens wohl bekannt;
über meine Freiheit hast
du den Sieg errungen.


FÜNFTE SZENE

Rezitativ

TAMIRIS
Nein. So umbarmherzig, wie ich glaubte,
seid ihr nicht, o Götter.
Gewiss. In eine Hütte
habt ihr meinen Thron verwandelt,
in grobes Tuch das königliche Kleid.
In Treue fand ich doch den Liebsten wieder.
Barmherzige Götter, mir bleibt noch genug.

Nr. 6 - Arie

TAMIRIS
All ihre vielen Stürme
hat diese Seele nun vergessen.
Die Ruhe fand sie wieder
in des Geliebten Blick.

Wenn ich vor dem Zorn der Sterne
auch schauderte und bebte,
so schlägt das Herz nun doch
zufrieden in der Brust.


SECHSTE SZENE

Rezitativ

AMINTAS
Wohin so schnell, Elisa?

ELISA
Bist du endlich zurückgekommen! Gehen wir.

AMINTAS
Und wohin?

ELISA
Zum Vater.

AMINTAS
Also stimmt er zu?

ELISA
Das Herz
hat mich nicht getäuscht. Mein
Gatte wirst du sein, noch eh die Sonne sinkt.
Der Vater ist ungeduldig wie wir, stolz und
glücklich über den liebenswerten Sohn. Am
Empfang und seiner Rede wirst du's merken.

AMINTAS
Ach! Liebe, lass mich doch zu Atem kommen.
Hab Mitleid mit einem Herzen
in seinem höchsten Glück.

ELISA
Doch zaudre nicht; zu Atem können wir
gemeinsam kommen.


SIEBENTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Vom treuesten Vasallen empfange diese
erste Huldigung, erhabener König.

ELISA
Was sagt er?

AMINTAS
Zu wem spricht er?

AGENOR
Herr, zu dir,

AMINTAS
Lass mich in Frieden und treibe mit anderen
deinen Spott. Ich bin frei geboren, doch nicht
König. Wenn mir auch Huldigung nicht zusteht, so
duldet mein Herz keine Beleidigung.

AGENOR
Der edle Zorn zeigt, wer du bist und entschuldigt
mich. Höre und erlaube, dass dir meine Worte
offenbaren, wer du bist.

ELISA
Wie? Er ist nicht Amintas?

AGENOR
Nein!

AMINTAS
Und wer bin ich?

AGENOR
Du bist Abdolonimus, der einzige Erbe des
Thrones von Sidon.

AMINTAS
Ich?

AGENOR
Ja. Verjagt vom schurkischen Straton,
übergab dich dein Vater als Kind dem
meinen. Sterbend vertraute dich mein
Vater mir an, dein Geheimnis
und auch die Beweise.

ELISA
Und der alte Alceos?

AGENOR
Zog dich unerkannt auf.

AMINTAS
Und du bisher ...

AGENOR
Ich gehorchte schweigend dem Gebot des Vaters.
Bis dir der Götter Hilfe irgendeinen Weg zum
Thron eröffnen sollte, war mir das Reden
verboten. Ich suchte und fand Hilfe im
grossmütigen Herzen Alexanders.

ELISA
O Jubel! o Freude!
Mein Liebster ist mein König!

AMINTAS
Also Alexander ...

AGENOR
Erwartet dich. Er wird dein Haupt mit eigner
Hand dann krönen. Das Gewand des Königs
schickt er dir. Jene, die du siehst, sind deine
Diener und Wachen. Komm, lange
habe ich diesen Tag ersehnt.


ACHTE SZENE

Rezitativ

AMINTAS
Elisa?

ELISA
Amintas?

AMINTAS
Träume ich?

ELISA
Ach nein!

AMINTAS
Du glaubst also ...

ELISA
Ja. Mir scheint diese Wendung nicht so
seltsam, wenn auch unvermutet. Ich sah
in deinem Antlitz stets ein königliches Herz.

AMINTAS
Es sei. Doch jetzt lass uns
zu deinem Vater gehen.

ELISA
Nein. Höhere Pflichten verlangen die Götter
nun von dir. Geh hin, herrsche, und dann ...

AMINTAS
Wie? Du drängst mich, dich zu lassen?
Denkst du nicht, dass der Vater,
dem wir, ihr Götter,
unser Glück verdanken, an dieser
unvermuteten Freude teilhaben soll?
Verzeih, Elisa, ich kann dir nicht gehorchen.
Das verbieten mir die Liebe,
die Freude und die Pflicht.
Ehe er sie von anderen erfährt,
soll er aus meinem Munde die frohe Kunde hören.
Dann werde ich zu Alexander
und zum Herrscheramte gehen.
Also wird dein treuer Hirte
bald als König wiederkommen.
Erlaube, dass ich gehe ...
Ach! wüsstest du, o Liebste,
wie nur ein einziger Augenblick
fern von dir mein Herz betrübt ...

ELISA
Ach, sähest du, wie es diesem Herzen geht!
Vor Freude jubelt es und doch?
Nein, nein … so schweigt, ihr lästigen Ängste.
Nun will ich an nichts anderes denken,
als dass Amintas König ist.
Geh! Alexander könnte zürnen.

AMINTAS
Gütige Götter.
Ich bin für eure Gaben dankbar, doch
allzu hoch ist dieser Preis für einen Thron.

Nr. 7 - Duett

ELISA
Gehe hin und herrsche, mein Geliebter;
bewahre aber in deinem Herzen, wenn du
kannst, Treue für deine Geliebte.

AMINTAS
Liebe. Wenn ich herrschen muss,
werde ich auch auf dem Thron
dein treuer Hirte sein.

ELISA
Ach, dass du mein König bist!

AMINTAS
Ach, welch schlimmen Ängste!

ELISA, AMINTAS
Ach, schützt, o Götter,
diese reine Liebe.

ZWEITER AUFZUG

ERSTE SZENE

Rezitativ

ELISA
Dieses ist das grösste Zelt im griechischen Lager.
Hier finde ich meinen Liebsten sicher wieder.

AGENOR
Wohin so eilig,
holdes Mädchen?

ELISA
Zum König will ich gehen.

AGENOR
Verzeih!
Du darfst ihn nicht sehen.

ELISA
Aus welchem Grund?

AGENOR
Er sitzt beim Rat
mit seinen Griechen.

ELISA
Mit seinen Griechen?

AGENOR
Ja.

ELISA
Dann kann ich gehen,
denn er ist nicht mein König.

AGENOR
Bleib hier: Auch zu deinem König
darfst du nicht gehen.

ELISA
Warum?

AGENOR
Er soll auf Alexander warten.

ELISA
Er soll ihn erwarten.
Ich möchte ihn nur sehen.

AGENOR
Nein, es ist dir nicht erlaubt,
hier einzudringen.

ELISA
Es wird mir aber wohl erlaubt sein,
ihn hier zu erwarten?

AGENOR
Elisa, Freundin,
gehe und glaube mir.

ELISA
Ich gehe, zürne nicht. Doch du bist grausam!

Nr. 8 - Arie

ELISA
Grausamer! Du siehst mich von meinem
Geliebten, o Gott, getrennt
und lässt nicht zu, Barbar,
dass ich ihn sehen kann.

Kann dich so grosse Liebe
nicht zu Mitleid rühren?
Du hast doch in der Brust ein Herz,
hast doch im Busen eine Seele.


ZWEITE SZENE

Rezitativ

AMINTAS
Die schöne Elisa habe ich von ferne erblickt.
Warum verbirgt sie sich?
Wo ist sie?

AGENOR
Sie ist fortgegangen.

AMINTAS
Ohne mich zu sehen? Undankbare!
Ach, ich will zu ihr.

AGENOR
Bleib, Herr!

AMINTAS
Warum?

AGENOR
Du kannst nicht.

AMINTAS
Ich kann nicht?
Wer gebietet einem König?

AGENOR
Seine Grösse, die Gerechtigkeit, das Ansehen,
das Wohl der anderen, die Vernunft
und auch die Pflicht.

AMINTAS
Als Hirte war ich also
weniger Knecht?


DRITTE SZENE

Rezitativ

ALEXANDER
Aus welchem Grund bleibt der König
von Sidon noch immer in sein altes,
wollenes Gewand gehüllt?

AMINTAS
Jenen Ruhm, o Götter,
werde ich ihn zu verdienen wissen,
wenn ich bisher nur eine Herde zu leiten lernte?

ALEXANDER
Als guter Hirte wirst du ein guter König sein.

AMINTAS
Ja.
Aber wie kann ein Hirte hoffen,
so hohe Einsicht zu erlangen?

ALEXANDER
Vom Himmel, der erleuchtet, wen er
zum Herrschen ausersehen hat. Geh nur …
Lege die ländlichen Gewänder ab.
Nimm andere und kehre dann zu mir zurück.
Es ist Zeit, den treuen Untertanen sich zu zeigen,

AMINTAS
Ach! gebt, o Götter,
dass Amintas dem Throne Ehre macht,
dem Spender und der Gabe.


VIERTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
(Nun ist es Zeit, dass ich für Tamiris spreche.)

ALEXANDER
Agenor! Mein Ruhm
duldet nun kein längeres Verweilen mehr.
Sidon gebe ich noch heute seinem König.
Mit dem neuen Tag breche ich dann auf.
Aber (ich gestehe) nicht voll zufrieden
geh ich von hier fort. Mein Name,
o Götter, wenn ihn Tamiris trüben könnte.
Was wird man dort von mir sagen,
wo sie auf der Flucht umherirrt?
Dass ich ruchlos und grausam bin, ein Barbar.

AGENOR
(Mut!)

ALEXANDER
Wäre Tamiris nicht geflohen,
hätte ich allen zeigen können,
dass ich Schuldige von Unschuldigen
zu unterscheiden weiss.

AGENOR
Hadere nicht, du wirst es können.

ALEXANDER
Wie?

AGENOR
Sie ist hier.

ALEXANDER
Wer?

AGENOR
Tamiris.

ALEXANDER
Du hast es mir verschwiegen?

AGENOR
Ich erfuhr es eben,
als ich zu dir kam: und jetzt will ich?

ALEXANDER
Laufe, beeile dich,
folge mir.

AGENOR
Ich gehe und komme wieder.

ALEXANDER
Warte! (Die Liebe schlang noch nie ein schöneres Band.)
Nun kann ich ganz zufrieden von hier gehen.
Flieg ihr entgegen, sag Tamiris, dass ich
dem neuen Herrscher heute die Krone reichen werde
und sie ihm ihre Hand.

AGENOR
Die Hand?

ALEXANDER
Ja, Freund. Mit einem einzigen Diadem
kröne ich die Tugend zweier schöner Seelen.
Er steige auf zum Thron. Sie steige nicht herab.
Euch gebe ich den Frieden,
meinem Namen Ruhm
und allen Sicherheit.

AGENOR
(O Gott!)

ALEXANDER
Du erbleichst und schweigst?
Stimmst du meinem Rat nicht zu?
Tamiris ist doch ...

AGENOR
Für den Thron die Würdigste …

ALEXANDER
Und dieser Gedanke …

AGENOR
Deiner würdig.

ALEXANDER
Welche Empfindungen deuten
dieses Schweigen und dein Erbleichen an?

AGENOR
Freude, Ehrfurcht und Erstaunen.

Nr. 9 - Arie

ALEXANDER
Wenn mein Sieg euch glücklich macht,
und lasse ich beim Abschied keinen Feind
zurück, welch schöner Tag ist das für mich!
Für allen Schweiss, den ich im Kampf vergoss,
verlang ich keinen schöneren Lohn.


FÜNFTE SZENE

Rezitativ

AMINTAS
Ach! Die Sonne neigt sich schon.
Die Zeit, die Agenor mir für meiner Zweifel Qualen
zugestanden hat, ist vergangen.
Im Zwiespalt, feige zu erscheinen
oder mich als untreu zu erweisen,
zittere und wanke ich.
Ich bin voll Kummer, habe nicht entschieden.
Ist das das Herrschen?
So gut lebt man in Purpur und in Gold?
Ich Unseliger. Agenor kommt schon.
Was soll ich sagen? O Gott!


SECHSTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Mein König, finde ich dich
noch unentschlossen?

AMINTAS
Nein.

AGENOR
Hast du dich entschieden?

AMINTAS
Ja.

AGENOR
Wie?

AMINTAS
Ich bin bereit
meine Pflichten zu erfüllen.

AGENOR
Du lehnst es also nicht mehr ab,
Alexander aufzusuchen?

AMINTAS
Zu ihm bin ich
bereits auf dem Weg.

AGENOR
Dass Elisa und der Thron
nicht zu vereinen sind, siehst du.

AMINTAS
Gewiss. Den wohltätigen Plänen eines Helden
soll sich nicht widersetzen,
wer einen Thron von ihm erhält.

AGENOR
O glücklicher Amintas! O welche Gefährtin
bestimmen dir die Sterne! Liebe sie!
Sie ist der Liebe eines Königs wert.

AMINTAS
Freund, mein ganzes Glück verstehe ich.
Du brauchst mir nicht zu sagen, dass ich
meine Gattin lieben soll. Schon liebe ich sie so,
dass ich nicht herrschen wollte ohne sie.

Nr. 10 - Rondo

AMINTAS
Lieben werde ich sie und beständig sein.
Als Gatte und Geliebter treu,
seufze ich um sie allein.

In dem lieben, holden Wesen,
werde ich die Freude finden,
meine Wonne, meinen Frieden


SIEBENTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Hervor! Endlich hervor,
verhaltene Seufzer!
O Gott! schöne Tamiris! o Gott ...


ACHTE SZENE

ELISA
Höre doch,
Agenor, welchen Unsinn man erfindet,
um mich zu quälen. Es wird ausgestreut,
dass Amintas noch heute
Tamiris die Hand als Gatte reichen wird.

AGENOR
Du irrst dich nicht und wirst nicht getäuscht.

ELISA
Bist auch du
so leichtgläubig?

AGENOR
Ich wüsste nicht,
wieso ich daran zweifeln sollte.

ELISA
Und mich verlässt also Amintas …
Woher hast du diese liebenswürdige Nachricht?

AGENOR
Von ihm.

ELISA
Von ihm?

AGENOR
Ja, von Amintas selbst.

ELISA
Wo?

AGENOR
Hier.

ELISA
Wann?

AGENOR
Soeben.

ELISA
Er sagte?

AGENOR
Dass sich dem Willen Alexanders nicht widersetzen soll,
wer einen Thron von ihm erhält.

ELISA
Heilige Götter im Himmel! Wie?
Tamiris reicht er seine Hand?

AGENOR
Hand und Herz.

ELISA
Dass mich Amintas
so verraten könnte?

AGENOR
Ach, ändere
auch du den Sinn, Elisa.
Schicke dich in dein Los!

ELISA
Nein, nimmermehr!

AGENOR
Doch, wenn er dir nicht mehr gehört,
was können dann Klagen noch bewirken?

ELISA
Was kann ich tun? Von Alexander, von den Menschen und Göttern
Mitleid und Gerechtigkeit verlangen.
Ich will, dass Amintas es vor aller Welt bekennt:
Mir hat er sein Herz geschenkt.
Wenn der Grausame verlangt, dass er es einer anderen gibt,
will ich vor Kummer sterben und will, dass er es sieht.


NEUNTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Armes Mädchen! Wie tust du mir leid.
In meiner Qual verstehe ich die deine.
Am besten fliehe ich Tamiris,
in meiner Schwachheit kann ich sonst nicht hoffen,
dass mir ein anderer Ausweg bleibt.

TAMIRIS
Agenor, bleibe hier!

AGENOR
(O Götter! steht mir bei!)

TAMIRIS
Einen Thron
verdankt Tamiris also
ihrem grossmütigen Geliebten?

AGENOR
Dank schuldig ist der Thron.

TAMIRIS
Warum hast du diese Nachricht
mir nicht selbst gebracht?

AGENOR
Gewiss.
Vielleicht wäre der Begriff von meiner Pflicht dir gegenüber …
Schöne Königin, lebe wohl!

TAMIRIS
Hör mich an. Wohin läufst du?

AGENOR
Mich zu erinnern,
dass du meine Herrin bist.

TAMIRIS
Bei meiner Hochzeit sollst du dabei sein.

AGENOR
Ach nein! Verzeih!
Das ist das letzte Lebewohl.

TAMIRIS
Gehorsam verlange ich
von einem treuen Untertanen.

AGENOR
(O Gott!)

TAMIRIS
Hast du es gehört?

AGENOR
Ich gehorche, Grausame!

Nr. 11 - Arie

TAMIRIS
Wenn du es bist, der mich verschenkt,
wenn du es willst, dass ich einem anderen
gehöre, weshalb gibst du mir die Schuld?
Weshalb nennst du mich grausam?

Meine Sanftmut soll dein Beispiel sein.
Ich bin die Verlassene.
Und ich beleidige dich nicht
und sag nicht, dass du untreu bist.


ZEHNTE SZENE

Rezitativ

AGENOR
Armseliges Herz! Du hast geglaubt,
dass du alle Qualen der Liebe
schon durchlitten hast. Es ist nicht wahr.
Die schlimmste, armes Herz,
musst du noch erdulden.

Nr. 12 - Arie

AGENOR
Wie sich in dieser Lage
ein Liebender fühlt,
das kann nur ein Unglücklicher sagen,
der das erlebte, so wie ich.

Qualen sind es, die ich fühle,
grausamer als jeder andere Schmerz,
der Verzweiflung Folterqualen,
die nicht zu ertragen sind.


ELFTE SZENE

Nr. 13 - Arie

ALEXANDER
Ihr, die stets glückverheissend
neuen Lorbeer für mich spriessen lasst,
gütige Götter, steht auch den Gefühlen
meines Herzens bei.

Rezitativ

ALEXANDER
Nun, weshalb säumt man noch? Die Sonne sinkt.
Warum ist der König nicht zu sehen?
Wo ist Tamiris?

TAMIRIS
Zu Alexanders Füssen.

ALEXANDER
Bist du die Prinzessin?

TAMIRIS
Ich bin's.

AGENOR
Herr, zweifle nicht daran, sie ist es.

TAMIRIS
Höre! Agenor, mein Geliebter,
stellt meinen Rang über seine Liebe.
Prüfe, Alexander, und entscheide,
ob ich den Rang höher schätzen soll
als diese treue Seele.

ALEXANDER
Götter, welche Tugend! welche Treue!


ZWÖLFTE SZENE

ELISA
Ach, Gerechtigkeit, Herr, und Erbarmen!

ALEXANDER
Wer bist du? Was begehrst du?

ELISA
Ich bin Elisa. Ich flehe
um die Hilfe Alexanders
für ein Herz, das ungerecht behandelt wird.

ALEXANDER
Von wem?

ELISA
Von Alexander selbst.

ALEXANDER
Was hat Alexander dir getan?

ELISA
Er hat mir jeden Frieden, jedes Glück genommen.
Vor Kummer will er mich noch sterben sehen.
Für Amintas lebe ich
und Amintas raubt er mir.

ALEXANDER
Amintas? Welches Recht
hast du auf ihn?

ELISA
Welches! Von Kind auf
hat er mir sein Herz geschenkt.

ALEXANDER
Der dir sein Herz gab, holdes Mädchen,
war der Hirte Amintas. Doch Abdolonimus,
der König, gab dir niemals sein Herz.


DREIZEHNTE SZENE

AMINTAS
Herr, ich bin Amintas und bin Hirte.

ALEXANDER
Wie?

AMINTAS
Das Gewand des Königs hier zu deinen Füssen.
In meinem wollenen Gewand kehre ich zurück
zu meiner Herde und zum Frieden.

AGENOR
Was höre ich?

ALEXANDER
Wo bin ich?

ELISA
Agenor, ich habe dir gesagt,
dass Amintas mein ist.

ALEXANDER
So treue Liebe
trennt Alexander nicht.
Hier, Amintas, nimm die liebliche Elisa.
Hier, Tamiris, nimm deinen treuen Agenor.
Über Sidon seid ihr nun Herrscher.
Ihr sollt nicht Untertanen bleiben.
Mein Glück setze ich daran,
euch einen Thron zu errichten.
Soviel Tugend soll ein Reich zum Herrschen haben.

ELISA, AMINTAS, TAMIRIS, AGENOR
O Grosser! o Gerechter!

ALEXANDER
Ach! gekrönt soll Sidon
endlich seinen König sehen.

AMINTAS
In diesen Hüllen aber …

ALEXANDER
In diesen Hüllen führte dich der Himmel
nicht aus Zufall her.
Dem Reich verheisst der Himmel Glück.
Sie sind Ausdruck für des Reiches schönes Los:
ist der Hirte König.

Nr. 14 - Finale

ALLE
Siegreicher Herrscher, lebe hoch!
Es lebe hoch des Himmels Gabe,
die unserem Herzen teuer ist.

ELISA, AMINTAS
Glück verheissend
strahlen heute am Himmel
schöner noch die Sterne,
heiterer lacht der Himmel.

ALLE
Es lebe hoch des Himmels Gabe,
die unserem Herzen teuer ist.

ELISA
Verehr ich dich zu jeder Stunde,
Geliebter, wird mein Herz
der Liebe Glück erkennen.

AMINTAS
Liebt mich dein Herz,
Geliebte,
gibt es keine süssere Liebesglut.

ALEXANDER
Freude ist all das für mich.

AGENOR
Freude fühlt mein Herz.

ELISA, TAMIRIS, AMINTAS, AGENOR
Nein. Der Liebe kann kein
Herz widerstehen.

ELISA
Seh ich deine Augen lieblich strahlen,
Liebster, so fang ich
süss zu seufzen an.

AMINTAS
Süsse Worte meiner Liebsten.
Wenn ich sie sehe,
fange ich süss zu seufzen an.

TAMIRIS, ALEXANDER
Frohe Seelen, liebe Seelen,
ja, geniesst der Liebe Glück.

ELISA, TAMIRIS, AMINTAS, AGENOR
Ja, der Liebe kann kein
Herz widerstehen.

ALLE
Siegreicher Herrscher, lebe hoch, etc.