Libretto: Iphigénie en Aulide

from Christoph Willibald Gluck


Iphigenie in Aulis



Personen:
AGAMEMNON (Bariton)
KLYTEMNESTRA, seine Gemahlin (Mezzosopran)
IPHIGENIA, beider Tochter (Sopran)
ACHILLES (Tenor)
PATROKLUS (Bass)
KALCHAS, oberster Priester (Bass)
ARKAS, Hauptmann (Tenor)
ARTEMIS (Diana) (Sopran)

CHOR
Griechen und Griechinnen, Leibwachen, Thessalische Krieger, Weiber und Jungfrauen aus Argos, Aulis und Lesbos

Die Szene ist in Aulis.


ERSTER AUFZUG
Das Theater zeigt im Hintergrunde, und auf der Einen
Seite, das Lager der Griechen; auf der andern eine
Façade von Agamemnons Pallaste



ERSTE SZENE

AGAMEMNON
allein
O Artemis, Erzürnte! umsonst gebeutst du mir
Dies grausenvolle Opfer;
Umsonst verheissest du uns deine volle Gnade,
Umsonst uns Wind zur Fahrt nach Phrygiens Gestade.
Nein! ob auch Griechenland beleidigt ist –
Um diesen Preis sey es an Troja nicht gerächt!
Entsagen will ich gern der mir verheissnen Ehre.
Und kost' es auch mein Leben:
Nie opfert Kalchas sie, die Tochter meines Herzens!
O Artemis, Erzürnte, umsonst gebeutst du es.
Zu der Sonne gewendet
O du, von ew'gem Glanz umgeben,
Kannst, ohn' Erbleichen, du der Frevel grössten sehn?
Wohlthät'ger Gott, beschütze du ihr Leben,
Erhöre du mein heisses Flehn!
Auf den Weg hin nach Mycene
Leite meines Arkas Fuss!
Täuschen mög' er Tochter, Gattin,
Dass sie wähnen, der Pelide achte nicht so vieler Reitze,
Wolle andre Fesseln tragen;
Und dass sie zurück dann gehn!
O du, von ew'gem Glanz umgeben,
Kannst, ohn' Erbleichen, du der Frevel grössten sehn?
Wohlthät'ger Gott, beschütze du ihr Leben,
Erhöre du mein heisses Flehn!
Kommt Iphigenia in Aulis an,
Ja, treibt verhängnissvoll das Schicksal sie hieher:
Nichts schützet sie alsdann vor wilder Blutbegier,
Vor Kalchas, vor den Griechen, vor den Göttern.


ZWEITE SZENE
Kalchas, Agamemnon, Griechen

CHOR VON GRIECHEN
Nein! du darfst nicht länger widerstreben!
Erfahren müssen wir noch heut
Durch dich, was Artemis gebeut!
Lass in Angst uns länger nicht schweben!

ANFÜHRER DER GRIECHEN
Sag' an, und stille der Tobenden Wuth:
Was fodert Artemis von uns für Blut?

KALCHAS
Warum mich so gewaltsam zwingen!

CHOR DER GRIECHEN
Nein! du darfst usw.

KALCHAS
Die Göttin will, dass ich euch jetzt belehren soll. –
Von heil'gem Schauder fühl' ich meine Seel' ergriffen.
Erhabne, mächt'ge Göttin Artemis,
Mich dränget mit Gewalt dein Sehergeist,
Und zitternd künd' ich an, was dein Befehl uns heisst.
Dass meine schwache Hand mit Beben
Das reinste Blut vergiess', ist dein Gebot! ....
Ach! kann sonst nichts uns deine Gnade geben,
Als solch' ein blut'ger Opfertod?
O, welche Klagen! welch ein Schmerz,
Du armer Vater, für dein Herz!
Die Ihr im Olympus wohnet,
Zürnet nicht so schwer, und schonet!

AGAMEMNON UND KALCHAS
Die Ihr im Olympus wohnet,
Zürnet nicht so schwer und schonet.

KALCHAS
Ihr Griechen! könntet ihr das grause Opfer bringen?

DIE GRIECHEN
Nenn' uns nur seinen Nahmen!
Und fliessen soll noch heut
An Artemis Altar sein Blut, wie sie gebeut! –
O Artemis, erhabne Göttin,
Leit' uns zu Troja's Mauern hin!
Und erst in dem Blut seines letzten Bewohners
Sey unser Durst nach Rache gestillt!

KALCHAS
Beruhigt euch, und geht! Noch heute wird
Das Opfer am Altar, was Ihr verlangt, erfüllen.


DRITTE SZENE
Agamemnon und Kalchas

KALCHAS
Du siehst, wie laut das Heer schon wüthet,
Und weisst, was Artemis durch ihren Spruch gebietet.

AGAMEMNON
O, nenne mir sie nicht, die Göttin, die ich hasse!

KALCHAS
Verwegener, halt ein, und fürchte ihre Rache!
Wenn ohne Säumen du gehorchest,
Dann hemmest du vielleicht den schon erhobnen Arm!
Erfüll' ohn' allen Widerstand,
Was sie unwiderruflich dir geboten!

AGAMEMNON
Kann vom Vater das die Göttin fodern?
Er, mit eigner Hand, soll zum Altar
Führen, die von je ihm theuer war!
Sie, sein Stolz, sein Glück, sollt' in Flammen lodern?
Kann die Göttin das auch fodern?
Nein! ich gehorche nicht dem grässlichen Befehl!
Schon vernehm' ich – und die Brust fühl' ich zernagt –
Klage der Natur, voll banger Schmerzen;
Und sie spricht viel lauter zu dem Herzen,
Als was dein Orakel sagt.
Nein! ich gehorche nicht dem grässlichen Befehl!

KALCHAS
Du wolltest deinen Eid nicht halten?
Den Göttern schworst du ihn!

AGAMEMNON
Ich weiss, was mir die Pflicht gebeut.
Folgt Iphigenia dem Ruf nach dieser Unglücksküste,
Dann duld' ich, sträubend zwar, dass sie geopfert wird.

KALCHAS
Man täuscht die Götter nicht
Durch Worte voller Trug;
Selbst in des Herzens Grund
Lies't doch ihr scharfer Blick.
Ist Iphigenia dem Tod geweihet,
So suchest du umsonst, ihr Leben zu erhalten.
Die Götter bringen sie, trotz dir, zu dem Altar:
Sie lenken ihren Fuss schon hin.


VIERTE SZENE

DIE VORIGEN. GRIECHEN
die über den Schauplatz hin laufen
Klytemnestra! die Tochter! Ihr Götter, welche Freude!
Auf! seht, und bewundert sie Beide!


FÜNFTE SZENE

AGAMEMNON
Was hör' ich! Götter!
Welch ein Schmerz! die holde Tochter!

KALCHAS
Ihr Könige, so hoch und so gebieterisch!
Der Moira Spielwerk seyd Ihr doch nur!
Ihr, denen sich ein Jeder beugt,
Beugt Euch nur selber vor den Göttern!

AGAMEMNON
Ihr Grausamen! so soll die Unschuld doch erliegen!
Gedrückt von eurer Göttermacht,
Muss ich zum Staube mich vor eurem Willen beugen. man hört hinter dem Theater Gesang

AGAMEMNON
zwischen der noch entfernten Musik
O, meine Tochter! wie ich bebe!

KALCHAS
Das Opfer nahet sich.

AGAMEMNON
Ach, Kalchas, lass geheim den
Namen jetzt noch bleiben;
Die Mutter wird der Schmerz
Sonst zur Verzweiflung treiben!

Beide gehen ab


SECHSTE SZENE
Klytemnestra, Iphigenia, Griechen und Griechinnen
in ihrem Gefolge, Einwohner von Aulis beiderlei
Geschlechts.
Klytemnestra und Iphigenia kommen in einem
antiken Wagen auf das Theater, und sind von einem
weiblichen Gefolge begleitet. Vor und hinter dem
Wagen eine prächtig gekleidete Leibwache. Ihn
umgiebt zahlreiches Volk, singend und tanzend


ALLGEMEINER CHOR
Welche Schönheit! welche Majestät!
Welche Anmuth! seht, o seht!
O, wie werth muss sie den edlen Eltern seyn!
Hochbeglückt Atreus grosser Sohn!
Glücklich durch die Vaterfreuden,
Glücklich in der Gattin Armen, herrlich auf Mycene's Thron!

KLYTEMNESTRA
nachdem sie von dem Wagen gestiegen ist, sich dem Vordergrunde des Theaters nähernd
Wie gerne hört mein Ohr dies schmeichelhafte Lob,
Das unser Volk dir froh ertheilet!
Süss ist es ja der Mutterliebe,
O, süsser noch, als das, was einst sie selbst erhob!
Geliebte Tochter, weile hier! Geniess' allein
Der Ehre, welche uns gewidmet ist.
Zum König will ich geh'n und meinen Wunsch ihm sagen;
Vielleicht genehmigt er gern unsre Huldigung.

Sie geht mit einem Theile der Leibwache ab

Tanz

CHOR DER GRIECHEN
Nein, Paris selber hat auf seines Ida's Höh'n,
Als drei Göttinnen ihn erkohren
Zum Richter ihres Streits,
Sie schöner nicht geseh'n,
War auch sein trunkner Blick in süsse Lust verloren.

EINE GRIECHIN
An edler, hoher Majestät,
Gleicht die Atride, wenn sie geht,
Der Herrlichen so ganz, die der Olympus verehret.

EINE ANDRE
An Würd' ist sie der Göttin gleich,
Die sich mit Helm und Schild bewehret.

EINE DRITTE
Sie ist, wie Cypria, an süssem Lächeln reich;
An Geist, an Tugend ist sie gleich
Der Tochter Zeus, dess Blitz mit Allgewalt verheeret.

CHOR
Nein, Paris selber hat auf seines Ida's Höh'n,
Als drei Göttinnen ihn erkohren
Zum Richter ihres Streits, sie schöner nicht geseh'n,
War auch sein trunkner Blick in süsse Lust verloren.

IPHIGENIA
Die Liebe, mit der das Volk mich ehret,
Hat meine Unruh nur vermehret.
Achill! – so ruft mein Geist ihm zu –
Achill! Achill! was zögerst du?

Tanz


SIEBENTE SZENE
Iphigenia, Klytemnestra, Volk

KLYTEMNESTRA
zu dem Volke
Entfernt euch! –
zu Iphigenien
Lass die tief gekränkte Ehr' uns rächen!
Komm, Tochter! Hier ist nicht für uns noch längres
Weilen!

IPHIGENIA
Nicht seh'n soll ich Achill? O, Götter!
Ihn, dessen heisse Liebe ...

KLYTEMNESTRA
Verhasst sey dir Achill, so lange du noch lebest!
Denn unwerth ist er ganz der ihm bestimmten Ehre;
In neuen Banden hält ihn andre Liebe fest.

IPHIGENIA
Was hör' ich!

KLYTEMNESTRA
Dein Vater war besorgt, vor Griechenland
Dich ausgesetzt dem Hohn, Achill'ens Spott, zu seh'n.
Darum befahl er dir, du solltest Aulis meiden,
Nach Argos wieder gehn, vergessen den Verräther.
Er sandte Arkas uns mit dem Geheiss entgegen;
Doch wir verfehlten ihn, und täuschten seine Sorgfalt.
Er kam erst diesen Augenblick,
Gab Rechenschaft von dem, was ihm geboten war.
Nun kann ich länger nicht Achill's Verrath bezweifeln.

IPHIGENIA
O Schmerz!

KLYTEMNESTRA
Auf! durchglühet von zürnenden Flammen,
Dränge muthig die Seufzer des Schmerzes zurück!
Ihm nur Rach'! er verschmähet sein Glück!
Mög' ihn die Nemesis verdammen!
Sey von dem Vater am Frevler gerächt!
Du bist, wie Er, von der Götter Geschlecht!
Schon siehet mein zürnender
Geist den Donnerer dort oben!
Schon ist zur Rache sein Arm erhoben.
Ja, ihn ereilt die Nemesis!
Auf! durchglühet von zürnenden Flammen,
Dränge muthig die Seufzer des Schmerzes zurück!
Ihm nur Rach'! er verschmähet sein Glück!
Mög' ihn die Nemesis verdammen!

Geht ab


ACHTE SZENE

IPHIGENIA
Vernahm ich wirklich recht? Ihr Götter! muss ich's glauben?
Vergessen könnt' Achill die Pflicht?
Vergessen, was die Ehre fodert?
Verschmähen dieses Herz, das ihm so ganz gehört?
Mein armes Herz, noch nicht belehret,
Entzog sich, sanft und fromm,
dem jungen Helden nicht.
Ihn lieben – das gebot mir Ehre ja und Pflicht;
Und hätt' ich nun mit Recht der Liebe wohl gewehret?
Verräther! nun täuschest du mich!
Ein andrer Arm soll dich umfassen?
Ich muss, fürwahr! ich muss dich hassen,
Und spräche lauter auch mein Herz für dich!
Ach, immer werd' ich doch nach ihm mich sehnen!
Wie ich durch ihn so glücklich war!
Stark wollt' ich seyn; und da –
da fliessen meine Thränen! –
Verdient er Thränen denn? Er ist ja undankbar!
Verräther! nun täuschest du mich!
Ein andrer Arm soll dich umfassen?
Ich muss, fürwahr! ich muss dich hassen,
Und spräche lauter auch mein Herz für dich!


NEUNTE SZENE
Iphigenia, Achilles

ACHILLES
Täuscht mich ein Traum auch nicht?
O Himmel! Du in Aulis, Iphigenia?

IPHIGENIA
Was auch an diesen Ort mich brachte –
Ich sage dir mit Stolz: mein Herz wirft mir nicht vor,
Dass es Achilles war, den ich zu sehen wünschte.

ACHILLES
Was hör' ich! welch ein Wort!
Sprichst du so kalt mit mir?

IPHIGENIA
Thu nach Gefallen nur, was dir
Die neue Leidenschaft gebietet!
Ob du auch untreu bist, das soll mich wenig kümmern!
Gieb immerhin die Hand der Andern, die du liebst!

ACHILLES
Der Andern, die ich lieb'?
Ein schändliches Verbrechen –
er zeihet dessen mich?

IPHIGENIA
Ich, ich! die du betrogest!

ACHILLES
Betrügen könnt' Achill?

IPHIGENIA
So viel du Eid' auch schworest –

ACHILLES
Ich, Iphigenien nicht mehr lieben?

IPHIGENIA
Du brachst die Ketten, die uns banden!

ACHILL.
Zerbrechen, was so werth mir ist?

IPHIGENIA
Nun, dich verlanget ja,
Mich nicht mehr hier zu seh'n.
Sei ruhig nur! Sehr bald werd' ich,
Wie du es wünschest,
Zur väterlichen Burg, nach Argos, wiederkehren,
Auf dass du vollen Raum für neue Liebe hast.

ACHILLES
Ha! allzu viel! Zwar kann Achill,
Besänftiget von deinem holden Reitz
Wohl Ungerechtigkeit mit Ruh' ertragen;
Doch nimmer wird sein Herz
Hohn und Verachtung dulden!

IPHIGENIA
Ach, nur zu hell liess ich in meine Brust dich sehen,
Zu hell für meine Ruh', mein Glück!
Denn Achtung – Lieb', um alles zu gestehen,
Sprach ja zu dir mein froher Blick.

ACHILLES
Wär' es also: dein Herz und meine Ehre
Erlaubten dann dir nicht den kränkenden Verdacht.
Achill verriethe dich? Ihr Götter!
O, um dir zu verzeih'n,
Dass du dies von mir glaubtest,
Muss man so heiss, wie ich, dich lieben!
Tyrannin! niemals ward dein kaltes Herz gerührt,
Erwärmt von meiner glühend-heissen Liebe.
Wenn starr es nicht bei meiner Flamme bliebe,
Dann hätte Argwohn dich
Zu Zweifeln nicht verführt.
Du kränkst so tief ein Herz,
Das, Göttern gleich, dich ehret,
Durch harten schimpflichen Verdacht!
Du hast zur Höllenqual ein Feuer angefacht,
Das ewig meine Brust verzehret.
Tyrannin! niemals ward dein kaltes Herz gerührt,
Erwärmt, von meiner glühend-heissen Liebe.
Wenn starr es nicht bei meiner Flamme bliebe,
Dann hätte Argwohn dich zu Zweifeln nicht verführt.

IPHIGENIA
Mein Bangen, mein Verdacht,
Selbst mein Verdruss, mein Schmerz,
Dies alles zeigt dir meine Liebe.
Ach! wie so leicht kannst du
Das schwache Mädchen täuschen!
Nur allzu gern glaubt dir mein liebevolles Herz.

ACHILLES
Schone mein! Denn solche Schmerzen,
Wie dein Zweifeln gab, vernichten ganz mein Glück.

IPHIGENIA
Glaub mir, es entschwand dem Herzen,
Und ich fühl', es kehret nie zurück.

ACHILLES
Wie konntest du, mein Stolz,
Dir ungetreu mich glauben!
Fühlst du nun selbst,
Wie sehr du mich verkannt?

IPHIGENIA
Nie wird mir solch ein Wahn
Die Ruhe wieder rauben;
Gewiss, mich strafte schon der Schmerz,
Den ich empfand.

Beide

IPHIGENIA
Durch Liebe giebst du meinem Herzen Freuden.

ACHILLES
Dein holdes Wort giebt meinem Herzen Freuden.
Gott Hymen! sichr' uns ganz vor Leiden!
O du, der Erde Glück, komm! eine denn noch heut
Ein Paar, das Amor selbst für deinen Tempel weih't!


ZWEITER AUFZUG
Das Theater stellt eine grosse Säulenhalle in Agamemnons Pallaste vor


ERSTE SZENE
Iphigenia, Jungfrauen in ihrem Gefolge

CHOR DER JUNGFRAUEN
Lass deine Brust in Freude wallen;
Der junge Held ist bald nun dein.
Entzückt wirst du in seine Arme fallen;
Achill ragt hoch hervor, und von den Griechen allen
Verdient dich Er allein.

IPHIGENIA
Ihr suchet nur umsonst mein Sorgen zu verbannen.
Achill weiss, dass mein Vater
Von ihm geglaubt, er könne mich verachten
Und seine Treue brechen.
Beleidigt fühlt er seine Ehre;
Der Argwohn scheinet ihm
Die kränkendste Beschimpfung.
Ich sah in seinem Blick des Zornes Funken sprühen;
Und jetzt – Ihr kennet ja
Den Stolz des guten Vaters –
Und Beide seh'n sich eben jetzt.

CHOR DER JUNGFRAUEN
Lass deine Brust in Freude wallen;
Der junge Held ist bald nun dein.
Entzückt wirst du in seine Arme fallen;
Achill ragt hoch hervor, und von den Griechen allen
Verdient dich Er allein.

IPHIGENIA
Ihr suchet nur umsonst mein Sorgen zu verbannen.
Die Lieb' ist länger nicht allmächtig,
Wenn sich gekränkt des Helden Seele fühlt.
Bald von Furcht und bald von Hoffen
Wird so sehr gequält mein armes Herz.
Allen Leiden steht es offen,
Und kaum trägt es länger diesen heissen Schmerz.
Gott Eros sieh mich knieend flehen:
Hauch' in des Vaters Brust für Stolz nur Sanftheit ein,
Lass den Geliebten nur sich deinem Dienste weih'n!
Der du der Welt gebeutst, versöhnt lass mich sie sehen!
O, dann ist reine Freude mein!
Hold von Furcht, und bald von Hoffen
Wird so sehr gequält mein armes Herz.
Allen Leiden steht es offen,
Und kaum trägt es länger diesen heissen Schmerz.


ZWEITE SZENE
Klytemnestra und die Vorigen

KLYTEMNESTRA
Bald, Tochter, macht dich Hymen glücklich;
Im Tempel ordnet schon das Fest dein Vater an.
Für dich, welch ein Triumph!
Und welch ein Ruhm für mich!
Bald höret Griechenland, dass einer Göttin Sohn
Mich seine Mutter nennt, und dir sein Leben weiht.

IPHIGENIA
O nun, nun leb' ich wieder auf!

KLYTEMNESTRA
Schon kommt Achill, ganz Lieb'
Und Zärtlichkeit.


DRITTE SZENE
Die Vorigen. Achilles und Patroklus, mit einem
Gefolge von Thessaliern beiderlei Geschlechts


ACHILLES
Sie, deren Stolz du bist,
Sie wollen, dass dich mir Gott Hymen nun vereine.
Bald darf ich Götter nicht beneiden,
Du Holde; denn mein Glück ist gross und dauerhaft. Die Thessalier kommen in einem kriegerischen
Aufzuge; ihnen folgen Sklaven mit der Beute, die
Achilles in Lesbos erobert hat


ACHILLES
zu den Thessaliern
Singt laut, preiset hoch die erhabne Königin!
Der Gott, dem sich mein Leben weihet,
Macht bald auf ewig mein Volk beglückt.

DER CHOR
Wir singen, wir erheben unsre Königin.
Der Gott, dem sich dein Leben weihet,
Macht nun auf ewig auch uns beglückt.

Tanz

EINE THESSALIERIN
Der Nike Hand wird dich,
Achill, noch öfter schmücken;
Mit Hymen kränzet dich Gott Eros wechselsweis.
Gar hoch mag freilich wohl der Lorberkranz entzücken;
Doch höher das Myrtenreis.

CHOR
Der Freunde Freund, doch der Feinde Schrecken,
Wird er, ein Ares, uns schirmend bedecken.
Ha! wagt es nimmer, den Löwen zu wecken;
Denn wer ist wohl, der kühn ihm widersteht!
Ja, ihr Trojaner, vor ihm sollt ihr zittern;
Das Liebste raubt er den Bräuten, den Müttern,
Er drohet fürchterlich euch, gleich Gewittern!
Er schrecket euch schon, wenn ihr ihn auch nur seht.

Fortsetzung des Tanzes

SKLAVINNEN AUS LESBOS
Sieh Töchter Lesbos sich,
Auf sein Geheiss, dir nahen!
Sie beugen sich vor dir; du hörst gewiss ihr Flehn.

EINE SKLAVIN
Er kämpfte ja für dich; gross war sein Sieg, und schön.
O, dass wir Lesbier als Feind ihn sahen!

DIE SKLAVINNEN
Huldreich und liebevoll seh'n wir dein Angesicht,
Und klagen weinend länger nicht.

IPHIGENIA
So kommt, und werdet mir,
Was die schon sind, Freundinnen.
Ich war des Unglücks Schuld;
Drum muss durch Wohlthun ich
Den schmerzlichen Verlust mit Recht ersetzen.
Vergessen sollt ihr ganz, was ihr gelitten habt.

Fortsetzung des Tanzes

ACHILLES, KLYTEMNESTRA, IPHIGENIA, PATROKLUS
Hat wohl dein Tempel je, am heiligsten Altar,
Du holder Gott der Ehen,
Ein Paar schon beten sehen,
Das liebevoller noch, und noch beglückter war!


VIERTE SZENE
Die Vorigen. Arkas, der zu Ende des Tanzes gekommen ist

ACHILLES
Verzeih, Geliebte, mir die Ungeduld des Herzens.
An dem Altar erwartet uns dein Vater;
So komm, und mache mich
Zum seligsten der Menschen!

ARKAS
stürzet hervor
Nein, schwieg' ich länger noch, so wär' ich strafbar.
Wo eilt, getäuscht, ihr hin, ihr Unglückseligen!
Nein, nimmer gehet ihr zu dem Altar des Grauens.

ACHILLES
Was, Arkas, sagest du?

KLYTEMNESTRA
Du siehest, wie ich bebe.

ARKAS
Dein Gatte – denn so will's
Der Zorn der grossen Göttin –
Harrt am Altare schon;
Er soll – die Tochter opfern.

KLYTEMNESTRA
Wie! mein Gemahl?

IPHIGENIA UND ACHILLES
Mein Vater? / Ihr Vater?

KLYTEMNESTRA
Entsetzlich! welch Verbrechen!

ALLE MIT DEM CHOR
Erbebt die Erde nicht bei dem grausen Gedanken?

ARKAS
Ja, Iphigenia – sie selber ist das Opfer,
Das blutend sterben soll.

DIE THESSALIER
in einem Tumulte vordringend
Nimmer dulden wir das, und wär' es unser Verderben!
Nein, unser König wird ihr Gemahl noch heut!
Zu dem Tode für ihn sind wir alle bereit,
Und wollen auch für seine Braut gern sterben!

KLYTEMNESTRA
dem Achill zu Füssen fallend
Achill, sieh mich im Staube knieen!
Erbarme du dich meiner armen Tochter!
In dieses Unglücksland hab' ich sie selbst gebracht,
Dass sie die Deine würde.
Ach, ihr eigner Vater kann bis zum Tode sie hassen,
Und die Götter auch wollen sie verlassen!
Was bleibt nun ihr übrig? Du, Achill, allein:
Du musst ihr, Vater denn, Asyl und Schutzgott seyn.
Man wird zum Tode sie nicht verdammen:
Das hoff' ich fest; denn sie gehöret dir!
Das glaub' ich, das weiss ich, das sagen sie mir,
Die Augen, die schon flammen!
Ach, ihr eigner Vater kann bis zum Tode sie hassen,
Und die Götter auch wollen sie verlassen!
Was bleibt nun ihr übrig? Du, Achill, allein:
Du musst ihr, Vater denn, Asyl und Schutzgott seyn.

ACHILLES
Sei ruhig, Königin, und gänzlich unbesorgt,
Dass sie des Vaters Hass der Mutterlieb' entreisse!
Du gehst; ich will ihn hier erwarten.

IPHIGENIA
Ich weiche nicht von dir, Achill; du sollst mich hören!

ACHILLES
Tyrann! ... Er giebt den Tod
In meinem Nahmen dir!
Vor meinem Zorne kann ihn jetzt
Nichts mehr beschützen.

IPHIGENIA
Er ist – in aller Götter Namen! – ist mein Vater!

ACHILLES
Dein Vater, dieser Unmensch?

IPHIGENIA
Er ist mein Vater doch, und theuer meinem Herzen.

KLYTEMNESTRA
Dein Vater? und er höhnt die Rechte der Natur?

IPHIGENIA
Sein Unglück will es so;
Gross sind auch seine Schmerzen.

ACHILLES
Ich seh' in ihm sonst nichts, als einen Mörder nur!

KLYTEMNESTRA
Göttin, lass mich nicht erliegen;
Ich hoffe nur auf dich!

IPHIGENIA
Götter, lasst die Nacht verschwinden;
Von Angst befreiet mich!

ACHILLES
Götter, lasst mein Schwert ihn finden;
Dann Lohn dem Wütherich!

ALLE DREI.
O, Ihr! erhöret mich!


FÜNFTE SZENE
Achilles. Patroklus

ACHILLES
Mir nach, Patroklus!

PATROKLUS
Und was willst du thun?
Hörst du allein den Ruf der wilden Leidenschaft?
Du kannst sie, grausam wie ihr harter Vater,
Mit eigner Hand dem Tode weihn?

ACHILLES
Wie! ich? Geh sag' ihr denn: »sie dürfe nichts besorgen.
Zwar gekränkt, und empört, doch von Liebe gerührt,
Hab' ich tief meinen Zorn in dem Herzen verborgen,
Und schone willig Dess, dem Dank von ihr gebührt.«


SECHSTE SZENE
Agamemnon, mit seiner Leibwache, Arkas, Achilles

ACHILLES
Er kommt! ... Ihr Götter,
Dämpft den Zorn, der mich entflammet!
Verweil'!

AGAMEMNON
bei Seite
Es ist Achill! Wär' er schon unterrichtet?

ACHILLES
Ich weiss, du denkst auf ein Verbrechen.
Ja, treulos und unmenschlich
Willst eine Unthat du in meinem Nahmen thun,
Die ich nur schaudernd denke.
Trotz dir, werd' ich die Gräuelthat verhindern!
O du, der du so schwer, so schrecklich mich beleidigst,
Der Liebe dank' es nur, wenn ich, von dir empört,
Nicht mit dem Schwert mich räche!

AGAMEMNON
Voll Dünkels, und mit Trotz, wagst du,
Verwegner Jüngling, es, mich zu beleidigen?
Vergisst du ganz, dass ich der Griechen Fürst hier bin?
Dass ich die Götter nur als Richter anerkenne?
Dass zwanzig Könige mir unterworfen sind?
Dass ohne Murren sie, und dass auch du, Achilles,
Mit Ehrfurcht harren musst, was mein Befehl gebeut?

ACHILLES
Wie! sollt' ich länger noch die stolze Sprache dulden?
Mein, mein ist sie; dein Eid versprach sie mir.
Du schworst ihn mir zum Pfande meines Glückes,
Und musst nun tun, was du versprachst!

AGAMEMNON
Hör' auf, noch länger mich zu reitzen!
Was für ein Schicksal auch bestimmt ihr sey,
Mit Ehrfurcht, schweigend, musst du harren,
Was mein, und was der Götter Wort befiehlt.

ACHILLES
So redest du mit mir?
Wer hielt' es nur für möglich!
Du wähnst, ich fühlte nicht,
Was Lieb' und Ehre fordern?
Ich liesse ruhig dich die edle Tochter opfern,
Und sähe kalt die grösste Unthat an?

AGAMEMNON
Verwegner, meinest du,
Ich könne ganz vergessen,
Was meine Würde heischt?
Dein Schmähen länger dulden?
Gerechte Ahndung dir, dem Frechen,
So wahr ich König bin!

ACHILLES
Den frevelnden Mordsinn zu brechen,
Geb' ich mein Leben dahin!

AGAMEMNON
Frecher Empörer!

ACHILLES
Grausamster der Väter!
Die ich so heiss verehre –
Eh' ich das deiner Wut nicht wehre,
Muss erst mein Herz durchbohret sein!

Geht ab


SIEBENTE SZENE
Agamemnon, Arkas, Leibwache

AGAMEMNON
Es soll geschehn, was ich gebot.
Von Frechheit aufgefodert,
Heiss' ich, dass gleich die Flamme lodert,
Und weihe sie dem Opfertod.
Herbei, Gefährten! ... Ihr Götter! was will ich thun?
Es ist die Tochter ja, die blutend sterben soll!
Die Tochter, die so oft an deinem Herzen lag!
Zerrissen fühl' ich meine Brust.
Nein! sie muss leben! ...
O, wie schwach das Herz mich macht!
Darf ich, da Artemis ihr Daseyn enden will,
Die Wohlfahrt meines Volks der Vaterliebe opfern?
Und soll Achill mich unbestraft verhöhnen?
Nein, lieber reiss' ich sie gewaltsam zum Altare!
Das Blut der Tochter muss ...
Der Tochter? Ach, ich bebe!
Des Vaters Liebling ... sie,
im Opferkranze, soll dem mörderischen Stahl
Den keuschen Busen öffnen?
Ihr Blut soll ich in Strömen fliessen seh'n?
O, welch ein Vater! ...
Hörst du nicht die Furien nahen?
Die Luft ertönet von grausem Gezisch!
Es sind der Eumeniden Schlangen;
Sie rächen fürchterlich der Tochter Mord!
Ach, schon beginnet meine Qual!
O, schrecklich! Haltet ein! Die Götter zwangen mich!
Sie führten meine Hand; sie zückten selbst den Stahl.
Ja sie ermordeten das Opfer! –
Kann nichts denn euren Zorn,
Ihr Grausamen, versöhnen?
Nichts! – Doch umsonst
Verfolgt mich euer Wüthen!
Mich nagt mit scharfem Zahn
Der Reue Schlang', und quält mich!
O, sie zerreisst mein Herz
Noch grässlicher, als Ihr.

Zu Arkas

So geht, ihr Alle, denn;
Begleitet die Gemahlin.
Sie muss, so schnell sie kann,
Nach Argos wiederkehren.
Mit meiner Tochter fliehe sie dies Land,
Und sei vor jedem Blick verborgen!
Nun geht!
Arkas und die Leibwache gehen ab.
O du, die ich so innig liebe,
Die immer mich so sanft erfreut:
Verzeih'! – des Vaters Aug' ist trübe –
Verzeih' ihm gern; denn er bereut!
Du hast ja mit den süssen Tönen:
»Mein Vater!« mich zuerst genannt.
Und durch dein Blut die Götter zu versöhnen,
War schon bereit des Vaters Hand!
Nein, ich mag frevelnd nicht
Das Recht der Natur verhöhnen;
Mit Abscheu würd' ich sonst genannt!
O du, die ich so innig liebe,
Die immer mich so sanft erfreut:
Verzeih'! des Vaters Aug' ist trübe –
Verzeih' ihm gern; denn er bereut!
Und du, durch Fleh'n nicht zu erweichen,
Befriedige an mir des Zornes Grimm!
Wie sie, kann mich dein Pfeil erreichen;
Und willst du Blut: das meine nimm!


DRITTER AUFZUG
Das Theater stellt das Innere eines prächtigen Zeltes
vor, durch dessen Oeffnung man eine Menge von
Volk in Tumult sieht



ERSTE SZENE
Iphigenia, mit weiblichem Gefolge; Arkas' Leibwache. Griechen, hinter dem Schauplatze und an dem Eingange des Zeltes

CHOR VON GRIECHEN
Nein, nein! kein Verschonen mehr hier!
Man soll den Göttern ihr Opfer nicht nehmen!
Was ihr Spruch streng gebot, leisten wir!
Nein, du darfst uns den Arm nicht lähmen!

IPHIGENIA
tritt ausser sich herein, umringt von ihrem Gefolge und der Leibwache
Was, Arkas, widerstrebst du länger noch
Der Wuth, die sie entflammet?

ARKAS
zu dem Gefolge
Lasst nicht aus dem Gezelt sie gehen!
Ich will indess, getreu der Pflicht,
Dem ungestümen Schwarm mit Kühnheit widerstehen.


ZWEITE SZENE
Die Vorigen ohne Arkas

IPHIGENIA
zu Arkas, der abgeht
Versuche nicht Unmöglichkeit!
Zu ihrem Gefolge
Eilt hin, zum Beistand meiner Mutter!
Entfernet ihren Blick von meiner letzten Stunde!
Lasst mich der Götter Zorn durch meinen Tod versöhnen!
Ich sterb', und sterbe gern.


DRITTE SZENE
Iphigenia, Achilles

ACHILLES
Geliebte, folge mir!
Dich schrecke nicht das Schrei'n,
Das blinde, leere Wüthen
Des Volks, das schon
Ein Blick von mir in Angst versetzt.
Beschützet von Achill,
Kannst du ganz sicher gehen.
Komm mit!

IPHIGENIA
O Schmerz! die Pflicht ist allzu schwer!

ACHILLES
Auf, auf! versäume nicht den günst'gen Augenblick.

IPHIGENIA
Du kämpfest nur umsonst für mich,
Des Unglücks Tochter,
Achill; sie, deren Tod ...

ACHILLES
O, nicht dies grause Wort!
Vergisst du, dass mein ganzes Wesen,
Mein Daseyn und mein Glück, an deinem Leben hängt?

IPHIGENIA
Ich liebt' es selbst – ja, muss noch jetzt es lieben,
Ein Leben, wider das die Götter sich verschworen.
Nur dir gehört es ja, und reine Seelenliebe
Hatt' es, Achill, auf ewig dir geweih't.
Mein Abend schreckt mich nicht,
Und sei er noch so trübe;
Bis in das Grab biet' ich dem Schicksal Hohn.
Ja, wenn ich auch verschonet bliebe,
Ich sagte doch, dass ich dich liebe.
Mein letzter Seufzer noch sey deiner Treue Lohn!

ACHILLES
Mich liebtest du? darf ich es länger glauben?
Ich bete dich, wie eine Göttin, an,
Du Undankbare! und du wolltest sterben?

IPHIGENIA
Brich auf, Achill!
Dich rufet laut die Ehre:
Sie zeiget deinem Blick
Den Tempel ew'gen Nachruhms,
Den du betreten musst;
Und nur mein Tod kann dir ihn öffnen!

ACHILLES
So willst du, Grausame, dass ich
Den sonst mir theuren Ruhm
Von nun an hassen soll?

IPHIGENIA
Leb wohl! Lass stets in deiner Seele
Das Bild der reinsten Liebe seyn!
Und ob man auch uns nicht vermähle –
Ich bleibe doch auf ewig dein.
Dir hatt' ich ganz mein Herz gegeben,
Und bracht' es dir so gerne dar.
Gedenke mein, mein, deren Leben
Nur dir allein geweihet war!
Leb wohl! Lass stets in deiner Seele
Das Bild der reinsten Liebe seyn!
Und ob man auch uns nicht vermähle –
Ich bleibe doch auf ewig dein.

ACHILLES
Achill könnt' ohne dich noch athmen?
Nein, nein! Ihr Götter zeugt es mir! –
Du musst, und weigerst du dich auch,
Von hier entfliehen.
Geliebte, komm! ich will dich leiten.

IPHIGENIA
Halt ein! Was kannst du länger hoffen?
Wähnst du, dass Agamemnons Tochter
Vergessen kann, was Ehr' und Pflicht gebieten?
Sie. sind ihr theurer, als das Leben.

ACHILLES
Nun wohl! – Nun, so gehorch, Unmenschliche!
Geh! such' ihn selbst, den schrecklichsten der Tode!
Zum grässlichen Altar folgt dir mein Fuss sogleich;
Ich lähme dort den Arm, der dich bedrohet.
Er ist bald meines Zornes Raub!
Ich werde mein Schwert auf ihn zücken;
Den Altar, den, frevelnd, sie schmücken –
Ihn wirft mein drohender Arm in den Staub.
Sieh her, wie Zorn die Wange mir röthet!
Wenn nun dein Vater wieder mir droh't –
Gewiss, er fällt, von diesem Schwert getödtet:
Du bist dann Schuld an seinem Tod!

Geht ab



VIERTE SZENE
Iphigenia und ihr Gefolge

IPHIGENIA
Barbar! ... Er geht! ... Befriedigt euren Zorn!
Mein Tod, ihr Götter, mög' an blut'ger That ihn hindern!


FÜNFTE SZENE
Klytemnestra, Griechen hinter dem Schauplatze. Die
Vorigen


CHOR DER GRIECHEN
Nein, nein! kein Verschonen mehr hier!
Man soll den Göttern ihr Opfer nicht nehmen!
Was ihr Spruch streng gebot, leisten wir!
Nein, Du darfst uns den Arm nicht lähmen!

KLYTEMNESTRA
So wagt's, ihr Frevler, denn, die Unthat zu vollenden!
Barbaren! mordet sie in meinen Armen!
Sie nimmt Iphigenien in ihre Arme
O, meine Tochter!

IPHIGENIA
Gute Mutter!

KLYTEMNESTRA
Tochter meines Herzens,
Dich schützt die Mutterliebe bis zum letzten Athem.

IPHIGENIA
Nichts kann mein Leben noch erretten;
Die Götter setzten mir ein Ziel in ihrem Zorne.
Entflieh' und lass das Volk an meinem Blut sich letzen!
Ach, wenn ich werth dir jemals war,
So geh', und meide ganz das wild empörte Heer!
Setz nicht, um mich der hand der Blutgier zu entreissen,
Die hohe Majestät des Thrones in Gefahr!

KLYTEMNESTRA
Was kümmert Ehre mich! was Majestät! was Leben!
Nein, wird die Tochter mir entrissen,
Dann mag ich länger nicht
Der Sonne Glanz mehr sehen!

IPHIGENIA
Ein Kind bleibt ja dir noch auf Erden.
Auf den geliebten Sohn häuf' deine Lieb' allein!
O, mög' er einst beglückter seyn,
Und nicht, wie ich, die Qual der besten Mutter werden!
Mich traf ein hartes Loos;
Gieb nicht die Schuld dem Vater!

KLYTEMNESTRA
Ihm, der mit eigner Hand
Dein Herz dem Priester beut?

IPHIGENIA
Was er für mich vermocht, das that er;
Doch – kann er widersteh'n, wenn die
gen Himmel zeigend
mein Tod erfreut!

CHOR
Nein, nein! Kein Verschonen mehr hier!
Man soll den Göttern ihr Opfer nicht nehmen!
Was ihr Spruch streng gebot, leisten wir!
Nein, du darfst unsern Arm nicht lähmen!

IPHIGENIA
Du hörst das laute Schrei'n des aufgebrachten Volkes.
O, Mutter! ruf zurück den festen, hohen Muth!
Du stammst von Göttern ja, und sie verlieh'n ihn dir. –
Es wird nun Zeit, dass ihnen wir gehorchen;
O, lass' es so uns thun, dass sie bereuen müssen!
Und nun mein letztes Lebewohl.

KLYTEMNESTRA
O, Tochter! soll ich denn
Vor deinen Augen sterben?
Ich selbst, ich gäbe zu ...?
Vom Zorne jener Götter ...
Die Mutter ...? O, schrecklich!
Sie sinkt in die Arme ihrer Jungfrauen

IPHIGENIA
zu den Jungfrauen
O Schmerz! Sorgt treulich für ihr Leben!
Lasst sie nicht zum Altar, zu dem ich eilen muss.

Sie geht ab



SECHSTE SZENE

KLYTEMNESTRA
will Iphigenien nacheilen
Ich nehm', ihr Götter, euch zu Zeugen!
Nein, nimmer duld' ich es ....
Zu den Jungfrauen, die ihr den Weg versperren
Wie! Ihr wollet meine Schritte hemmen?
Verwegne! nehmet mir das Leben, dem ich fluche!
Stosst in das Mutterherz den blut'gen Opferstahl,
Und lasst am grässlichen Altare
Mein Grab doch mindestens mich finden! –
Ach, ich ertrage länger nicht die Schmerzen! ...
Die Tochter ... sie ist dort ... gezückt auf sie der Stahl –
Ihr harter Vater selbst hat ihn für sie geschärft!
Ein Priester, rund umringt von einem wilden Schwarme – Er waget es, an sie die Mörderhand zu legen!
O, er zerreisst die Brust ... die freche Wissgier sieht
Das Herz – o, das noch schlägt! ...
Er fraget dann die Götter.
Halt ein, blutgier'ges Ungeheuer!
Erbeb'! Es ist das reinste Blut des Götterkönigs,
Womit du frech den Boden tränkest!
Schleudre, Zeus, furchtbar die Flammen
Auf das so wild empörte Heer!
Zum Hades musst du sie verdammen!
Versenke sie tief in das Meer!
O Helios, Du, du könntest, ergriffen von Grauen,
In Aulis den Sohn, den Erben des Atreus schauen?
Du nahmst dem grässlichen Mahle
Des Vaters dein Licht;
Entflieh', und erteile, du Herrlicher,
Auch dem Sohn' es nicht.
Schleudre, Zeus, furchtbar die Flammen
Auf das so wild empörte Heer!
Zum Hades musst du sie verdammen!
Versenke sie tief in das Meer!
Man hört in der Ferne einen Trauergesang: Lohn' uns das Blut, das wir nun bald dir bringen! Sey, Artemis uns hold! nicht länger halt' uns hier!
Ha! welch ein Trauerlied vernehm' ich!
Ihr Götter! itzt will man sie töten!
Vergebens wollt ihr mich
Aus falschem Mitleid hindern!
Euch, Sklavinnen, zum Trotz,
Bring' ich ihr Schutz und Rettung;
Sonst will ich gern mit meiner Tochter sterben!


SIEBENTE SZENE
Das Theater stellt das Gestade des Meeres vor, an
dem man einen Altar sieht. Iphigenia wird, von
Priesterinnen der Diana umgeben, zu dem Altare
geführt, Hinter den Altar tritt Kalchas, die Hände
zum Himmel erhebend, und das heilige Opfermesser
haltend. Eine Menge Griechen stehen auf beiden
Seiten des Theaters


KALCHAS, MIT DEM CHOR DER GRIECHEN
Lohn' uns das Blut, das wir nun bald dir bringen!
Sei, Artemis, uns hold; nicht länger halt' uns hier!
Nur deiner Gnade vertrauen wir;
Lass uns vor Ilion bald des Dankes Lied dir singen!


ACHTE SZENE
Achilles und die Vorigen. Griechen, die, voll
Schreckens, von der linken Seite des Schauplatzes
nach der rechten stürzen


GRIECHEN
Entflieht! Fliehet weit!
Zur Rach' ist Achill schon bereit!

Achilles kommt. Ihm folgen Thessalier in guter
Ordnung, welche die linke Seite des Schauplatzes
einnehmen. Er geht zu Iphigenien, hebt sie auf, hält
sie mit der linken Hand, und drohet mit der
bewaffneten rechten dem Oberpriester Kalchas und
den Griechen


KALCHAS, UND DIE GRIECHEN
Sie zu retten, wird nicht dir gelingen;
Die Götter wollen ihren Tod.

ACHILLES
Wer trotzt von euch dem Schwert,
Das schon gezückt ihm droht?

IPHIGENIA
Nehmt, Götter, mich! Bereit bin ich zu sterben.

CHOR DER GRIECHEN
Was ihr Spruch streng gebot, leisten wir!
Nein, du darfst uns den Arm nicht lähmen!


LETZTE SZENE
Klytemnestra, Agamemnon. Die Vorigen

KLYTEMNESTRA
Ach, Tochter! o, Achill!

ACHILLES
Sei ruhig, Königin!

KALCHAS, UND DIE GRIECHEN
Nur umsonst wollet ihr sie beschützen.
Bald fliesst ihr Blut am Altar!

ACHILLES
Ihr sollt es nicht verspritzen!
Nehmt eher, Wüthriche, das meine hin!

DIE GRIECHEN
Man soll sie den Görtern nicht nehmen!

IPHIGENIA, UND KLYTEMNESTRA
sich umarmend
Beschützt, ihr Götter, uns!

Es donnert
.
ACHILLES UND DIE THESSALIER
Streckt die Frechen nieder zur Erde!

DIE GRIECHEN
Nein, unsern Arm darfst du nicht lähmen!
Hinan! hinan!

Lauter Donner. Ein dichtes Gewölk, das den Hintergrund des Schauplatzes allmählich angefüllt hat, erhellt sich, und lässt die Göttin Artemis in allem ihrem Glanze sehen

KALCHAS
vortretend
O, haltet ein!
Lasst schweigen euer wildes Toben! Seht!
Die Göttin! sie nahet selber,
Den heil'gen Willen zu verkünden.

ARTEMIS
Ihr, durch Gehorsam, habt der Götter Zorn versöhnet.
Der Tochter hoher Werth, der Mutter lautes Jammern
Hat Huld von ihnen euch erworben.
Ich halte länger nicht in Aulis euch zurück.
Eilt nun, wohin der Ruhm euch ladet;
Der Erdkreis staune tief bei euren grossen Thaten!
Und Ihr, einander werth, lebt Ihr durch Liebe froh!
Das Gewölk verhüllt die Göttin wieder, und sie
steigt zum Himmel auf


KALCHAS
Betet tief die erhabne, huldreiche Göttin an!

CHOR
Ja, wir beten die grosse, huldreiche Göttin an.

AGAMEMNON
O, meine Tochter!

IPHIGENIA
O, mein Vater!

ACHILLES
O, Iphigenia!

IPHIGENIA
Achill!

KLYTEMNESTRA
Geliebte Tochter!

AGAMEMNON UND KLYTEMNESTRA
Noch einmal bist du uns geschenkt;
Sey nun das Glück des jungen Helden!

IPHIGENIA
O, wie so schwer, doch auch wie süss, wie schön,
So unverhofft, so auf einmal,
Von Angst und wilder Qual
Zu hohen Götterfreuden übergehn!

ALLE VIER ZUSAMMEN
Mein Herz klopft so froh in der Brust;
Nur Wonn' ist jetzt mein ganzes Leben!
Ja, ich soll zu der Götter hohem Sitz mich erheben;
Ach, mich durchströmet Himmelslust!
Kaum athm' ich! welch Entzücken!
Wonne glänzt in meinen Blicken;
Kaum bin ich länger mein bewusst.

ACHILLES UND IPHIGENIA
Die Götter wurden doch von unsrem Schmerz gerührt!

ALLE, MIT DEM CHOR
Bis zu des Aethers fernsten Kreisen
Steig' unser lauter Dank empor!
Lasst auch dies Paar, dies edle Paar, uns preisen,
Das, sein so würdig, sich erkohr!
Dass Gott Hymen mit Rosen es bindet,
Sagt uns: der Himmlischen Zorn verrann!
Und diese Hochzeitfeier kündet
Uns Sieg und ew'gen Nachruhm an.

Tanz