Finstere Seelenreise durch viel Schuld, viel Ehre, viel Blut

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (19.02.2008)

Genoveva, 17.02.2008, Zürich

Wer wissen möchte, was Musiktheater heute alles vermag, muss sich Schumanns «Genoveva» in Zürich anschauen. Leicht verdaulich ist die Oper nicht, aber stark, intensiv und unvergesslich, wie die Premiere am Sonntag zeigte.

Zwar jubelte das Publikum 1850 bei der Uraufführung von «Genoveva» in Leipzig, aber im Opernbetrieb hatte Robert Schumanns (1810-1856) romantische deutsche Nationaloper bald keine Chance mehr. Mittelalterliches Mysteriendrama, viel Kreuz, viel Schuld, viel Ehre, viel Blut und ein von göttlichen Visionen herbeigezwungenes Happy End, das war der Nachwelt schnell suspekt. Das Libretto, das sich Schumann selbst nach Hebbel und Tieck zusammengestellt hatte, biete kaum bühnentaugliche Handlung, wurde moniert, und auch der Musik fehle weitgehend alles Opernhafte.

Tatsächlich erfüllte Schumann mit «Genoveva» zentrale Forderungen an eine Oper nicht - bewusst, nicht aus Unfähigkeit. Nicht Theater hatte er im Sinn, sondern Einblicke in die romantische Seele, die durchaus auch manchmal seine eigene ist, was die Regie von Martin Kusej in der Zürcher Aufführung am Sonntag bei der Premiere deutlich unterstrich.

Intensive und intelligente Dynamik

Die Zürcher Produktion ist dem österreichischen Dirigenten Nikolaus Harnoncourt zu verdanken, der sich seit Jahren für diese Oper einsetzt. Natürlich, es ist Herzensmusik, aber wann hat Harnoncourt nicht mit dem Herzen musiziert? Und das Orchester folgte ihm bei der Premiere im Zürcher Opernhaus mit ebenso viel Herz, jedoch nicht immer mit gleich viel Kopf und Fingerfertigkeit. Solche Marginalien wurden aber weggewischt durch die intensive, stets intelligente, in der Dynamik zum Teil überaus eigenwillige, aber immer stimmige und manchmal sogar auf verblüffende Weise einsichtige Umsetzung. Wo bitte sind die ungeschickten Instrumentierungen Schumanns? Wo hat es hier denn Längen und Mängel in der Form? Platt, auf den vordergründigen Effekt zielend, mit Virtuosität blendend oder raffiniert ist Schumann nie, einfach nur echt, ehrlich und direkt. Einer nach dem anderen der viel gehörten Einwände gegen Schumanns einzige Oper zerbröselte unter Harnoncourts Händen, und übrig blieb grandiose Musik, bei der kaum je das Gefühl aufkam, dieses oder jenes sei nicht wirklich ganz gelungen.

Auf ähnlich hohem Niveau bewegt sich auch die Inszenierung von Regisseur Kusej. Das Gaghafte, Verspielte, Unentschiedene und auch Verklausulierte, das die «Zauberflöte» vor einem Jahr noch eher zwiespältig hatte erscheinen lassen, ist hier gewendet ins Konzentrierte und Essenzielle: Bilder von schlagender Eindringlichkeit. Man sollte sie nicht hinterfragen, weil wahrscheinlich dahinter keine intellektuellen Botschaften versteckt sind. Sie wirken einfach durch ihre Unverbrauchtheit und Direktheit, sie bewegen und reissen mit - und verärgerten offenbar auch einen Teil des Zürcher Premierenpublikums, wie vereinzelte deutliche Buhrufe am Ende zeigten. So intensiv diese Bilder auch sind, noch entscheidender ist das Handwerk: Wie Kusej die Protagonisten und den ausgezeichnet singenden Chor führte, offenbarte seine Sonderklasse. Die Beziehung Golos, der heimlichen Hauptfigur der Oper, zu Genoveva wird bis in die Fingerspitzen nachvollziehbar, genauso wie die harsche Reaktion nach der Zurückweisung.

Ideale Besetzung der Titelrolle

Die einzigen leisen Einwände betrafen am Sonntag die Sänger: vor allem den amerikanischen Tenor Shawn Mathey als Golo, der noch das Pech hatte, neben einer Liedsängerin von höchstem Format wie Juliane Banse singen zu müssen. Da offenbarten sich schmerzlich die Defizite. Der eine kämpfte mit der Sprache, die andere setzte sie virtuos zur Steigerung des Ausdrucks ein. Auch sonst war Banse in der Titelrolle schlicht eine ideale Besetzung in jeder Hinsicht.

Eine Entdeckung war der deutsche Bariton Martin Gantner als Graf Siegfried, ein kompletter, kompakter, strahlkräftiger Bariton mit wunderschönem Timbre und viel sängerischer Intelligenz. Überaus eindrücklich sang auch Alfed Muff den Drago, vor allem als er bei seinem Auftritt als stimmgewaltiger Geist von ganz zuhinterst über die Bühne dröhnte. Cornelia Kallisch als dunkle, hexenhafte Margaretha hingegen hat sich sängerisch etwas unter ihrem Wert geschlagen.