Unschöne Szenen einer sogenannt glücklichen Ehe

Susanne Kübler, Tages-Anzeiger (11.03.2008)

Intermezzo, 09.03.2008, Zürich

Richard Strauss wollte die Oper neu erfinden - und führte zu diesem Zweck seine Frau vor. Nun hatte «Intermezzo» im Zürcher Opernhaus Premiere.

Eine keifende Gattin, die nichts aus der Hand geben will und ständig darüber jammert, dass sie nichts aus der Hand geben kann, dazu ein süffisant geduldiger Ehemann, der alles erträgt und trotzdem liebt: Dies sind die Protagonisten von Richard Strauss’ bürgerlicher Komödie «Intermezzo». Einen Griff «ins volle Menschenleben» tat Strauss mit diesem Stück, und bei einem Komponisten mit seinem Selbstbewusstsein erstaunt es nicht, dass das Menschenleben sein eigenes ist - und damit auch das seiner Gattin Pauline.

Die Grundlage für «Intermezzo» war ein eheliches Missverständnis. Strauss’ Frau fand eines Tages den sehr vertraulichen Brief einer gewissen Mitze Mücke an den «Kapellmeister Strauss»; die Aufregung war gewaltig, bis sich herausstellte, dass der Brief nicht dem Richard, sondern dem Edmund von Strauss gegolten hatte.

Die Komödie ist eine Tragödie

Eine «ganz moderne, absolut realistische Charakter- und Nervenkomödie» wollte Strauss daraus machen. Sein Stamm-Librettist Hugo von Hofmannsthal wusste mit dem Stoff allerdings nichts anzufangen; und Hermann Bahr, der als Ersatz angefragt wurde, konnte den Wünschen des Komponisten nicht entsprechen. Wo Bahr den Gatten als «pedantisch» gezeichnet haben wollte, reduzierte das Strauss schnurstracks auf «ordnungsliebend, teilt sich alles sehr gut ein»; das Selbstporträt sollte, bitte schön, denn doch ein schmeichelndes sein. So schrieb Strauss sein Libretto schliesslich selbst und führte, da die Anekdote doch nicht ganz abendfüllend war, noch einen Verehrer der Gattin ein, einen etwas verbummelten Baron Lummer - sodass die Eifersucht, wenn überhaupt, in die andere Richtung berechtigt gewesen wäre.

«Intermezzo» wurde 1924 in Dresden uraufgeführt und bald vergessen. Zwar wurden immer wieder der Witz der Dialoge und vor allem die musikalische Radikalität und Experimentierfreude gelobt, aber zum Repertoirestück hat es nie gereicht. 57 Jahre ist es her, seit es in Zürich zum letzten Mal gezeigt wurde.

Nun also der umjubelte Versuch einer Ehrenrettung (exakt drei Wochen nach der letzten, die Schumanns «Genoveva» gegolten hatte). Regisseur Jens-Daniel Herzog unternimmt ihn - indem er ihn gerade nicht unternimmt. Seine Inszenierung will das Stück von der realen Episode ablösen, und vor allem ist sie von der Frau aus gedacht: Sie ist das Opfer, gefangen in den Konventionen einer Ehe, in der nur der Ruhm ihres Mannes zählt, und in ihren eigenen Rollenbildern, aus denen sie nicht herauskann.

Gefangen ist sie denn auch auf der Bühne; Ausstatter Mathis Neidhardt hat eine Art Gasometer gebaut, wie er einst das Wahrzeichen von Schlieren war. Ein bedrohliches Gebilde, trotz der hellen Tapeten der Innenseite. Darin schimpft und leidet Christine, wie die Gattin im Stück heisst, hier inszeniert sie mit Morgenrock oder Pelzkragen oder Deux-Pièces ihr gutbürgerliches Leben. Hier versucht sie auch, in der Verzweiflung über den vermeintlichen Betrug, ihr Kind zu ersticken - womit Herzog unmissverständlich klar macht, dass die pointenreich gezeigte Komödie eher eine Tragödie ist. So ist auch das Happyend keines: Die Blumen, die der Kapellmeister seiner Frau zur Versöhnung mitbringt, hat ihm zuvor eine Verehrerin aufs Podium geworfen, und bei ihrer letzten bangen Frage hörte er zwischen Teller und Partitur schon nicht mehr zu: «Gelt, mein lieber Robert, das nennt man doch wahrhaftig eine glückliche Ehe?»

Eine Frau steht unter Strom

Im Publikum dagegen hört man zu, denn was Christiane Kohl als Christine bietet, ist phänomenal. Nur schon als Gedächtnisleistung: Strauss fand die angestrebte «Natürlichkeit» nicht in ariosen Melodien, sondern in einem oft hektischen Parlando. Diese Christine steht dauernd unter Strom, nur selten erlaubt sie sich (und den Hörern) eine lyrische Pause. Es gilt, Dienstboten herumzujagen, Ringe zu suchen, sich ins Après-Ski-Vergnügen zu stürzen, den Gatten gegen eventuelle Kritik zu verteidigen (das gehört sich so) und dabei auch noch den Baron Lummer zu bezirzen, damit endlich irgendeine Wärme ins Leben kommt.

Das Unglück und die Hysterie, mit der es sich Luft macht: Das ist in Christiane Kohls hellem Sopran so glaubwürdig wie facettenreich gespiegelt. Ihre Christine kann eine Nervensäge sein, auch rein musikalisch - aber sie lässt immer wieder anklingen, dass sie auch anders könnte, wenn sie es sich denn erlauben würde.

Solche Zwischentöne unterstreicht auch Peter Schneider, der zwar ein erfahrener Strauss-Dirigent ist, aber mit «Intermezzo» wie alle anderen Beteiligten ein Debüt gibt. In der Begleitung der Parlando-Passagen lässt er das Orchester der Oper trocken, direkt, zuweilen auch etwas laut spielen; die Farben, den etwas grösseren Atem spart er sich ganz in Strauss’ Sinn für die sinfonischen Zwischenspiele auf. Diese musikalische Zweiteilung in eine möglichst unopernhafte Darstellung des Geschehens und klangvollere, textfreie Intermezzi ist das Neue an dieser Oper - und gleichzeitig das Problematische. Immer wieder wird der musikalische Fluss unterbrochen, vor allem im ersten Teil droht das Stück auseinander zu fallen und verpasst damit genau jenen Realismus, den es suchte.

So bleiben in einem etwas dünnen Rahmen die wie immer starken Strauss’schen Rollenporträts. Der Baron Lummer ist die hinreissende Karikatur eines charmanten Hochstaplers, dem Roberto Saccà einen schmelzenden Tenor verleiht. Martina Welschenbach ist eine stoisch-widerborstige Dienstbotin, Ruben Drole hat einen kurzen, aber starken Auftritt als Notar. Und der Kapellmeister Storch, als den sich Strauss verewigt hat? Er wirkt trotz Herzogs Parteinahme für die geplagte Christine geradezu sympathisch. Rod Gilfry gibt ihn mit warmem Bariton (dem die Strapazen dieser Tonsprache gegen Ende der Premiere allerdings zusetzten) und jener salbungsvoll demonstrierten Geduld, die alle ausser seiner Gattin bewundern. Wenn schon nicht die Neuerfindung der Oper: die Selbststilisierung des Meisters ist nachhaltig gelungen.

Was Strauss’ echte Gattin zu «Intermezzo» gemeint hat, ist übrigens nicht bekannt. Es scheint aber, als ob sie vor der Premiere nicht gewusst habe, worum es in dem Stück geht. Überraschung! Das würde perfekt ins Bild passen.