Strauss und die Frau mit Schatten

Herbert Büttiker, Der Landbote (11.03.2008)

Intermezzo, 09.03.2008, Zürich

Das Werk hat nicht den besten Ruf und wird selten gespielt. Was im «Intermezzo» von Richard Strauss steckt, zeigt jetzt das Opernhaus – vor allem eine Partie für die fabelhaft singende und spielende Christiane Kohl in der Hauptpartie.

Nach der symbolschweren «Frau ohne Schatten» hatte der Komponist das Bedürfnis nach einem leichteren Umgang mit dem Thema, und so griff er auf ein Intermezzo seiner eigenen Ehe zurück, das zwei Jahrzehnte zurücklag: Wegen der Namensverwechslung geriet Strauss in Verbindung mit einer Dame des Milieus und mit seiner Frau fast auseinander. Den pointenreichen Text zu dieser «bürgerlichen Komödie» schrieb der Komponist selber. Stilistisch strebte er nach einem alltagsnahen Konversationston in Text wie Musik. Aber er dichtete auch an seinem Heldenleben weiter.

Das schloss Selbstironie durchaus ein:Aus dem Strauss wurde ein Storch. Aber die Zeche der Selbstbeweihräucherung zahlte die Frau, die als rechthaberisch, zänkisch, naiv und unbeherrscht karikiert wird. Und wirklichen Grund zur Eifersucht, so zeigt die Handlung, in die auch ein junger Baron verstrickt ist, hat nur er. Aber er muss zufrieden sein, dass sie ihm verzeiht. «Du bist mein schöner, reiner, prachtvoller Mann! Ich liebe dich allein und immer und ewig», sagt sie zum Schluss, und er meint: «Um das noch einmal so zu hören, dafür hätte ich gerne noch mehr ausgestanden!»

Ungeahnte Energien

Um das noch einmal so zu hören: Das durfte sich am Sonntagabend im Opernhaus auch das Publikum sagen. Alles Gezeter, alles Toben, alles pathetische Klagen der Hofkapellmeistergattin Christine Storch verwandelte Christiane Kohl in den Wohlklang ihres hellen, über die ganze Skala präzis sitzenden Soprans. Mit geschmeidiger Musikalität, plastischer Sprache und darstellerischer Lebendigkeit gab sie der Figur eine starke Bühnenpräsenz und ein Gewicht, das der Intention dieser Inszenierung perfekt entsprach: sie nicht nur als komisches respektive problematisches Temperament zu verstehen, sondern als Prototyp der Frau im Ehekäfig, der sie deformiert bis an den Rand des tragischen Abgrunds.

Mit einem zylinderförmigen Bau auf der Drehbühne haben Jens Daniel Herzog (Inszenierung) und Mathis Neidhardt (Ausstattung) ein starkes Signal für das Auswegslose dieser Existenz gefunden, und am Ende des ersten Aktes, wenn Christiane den Sohn in seinem Bettchen mit einem Kissen fast erstickt, überschreiten sie gezielt die vorgegebene Komödienharmlosigkeit. An der kahlen Wand des Raumes zeigt es sich: Zu sehen ist eine Frau mit bedrohlichem Schatten.

Gegen die Ambivalenz von Parodie und heiligem Ernst ist die Musik ohnehin nie gefeit. Für «Intermezzo», wie es sich nun im Opernhaus anhört, gilt das ganz besonders. In den lyrischen Ergüssen, die Strauss dem überkandidelten Hausdrachen wohl mit ironischem Unterton mitgab, ist in dieser Inszenierung der schmerzliche Seelenton zu hören. Dagegen wird die Belehrung des komponierenden Hausherrn darüber, was wirkliche Geistesarbeit ist, von der Regie drastisch konterkariert: Er zieht sich dazu die langen Unterhosen an, die ihm die Gattin reicht.

Den deutlichen Fingerzeig brauchte es eigentlich nicht. Dass es Rod Gilfry an diesem Abend dann und wann die Stimme verschlägt, steht zwar auf einem anderen Blatt. Aber wie gravitätisch verquollen sein Bariton im selbstgerechten Zorn daherkommt, wie belegt er nach Mitleid ruft, wie fabelhaft er dastehet als Gutmensch, der gut aussieht, als Künstler verehrt wird und die Macken seiner Frau gutmütig erträgt – das alles ist hier in ein kräftiges Licht der Parodie gerückt.

Schlitteln und Skat spielen

Für den Gigolo-Baron (eine massgeschneiderte Rolle für Roberto Saccà) gilt das ohnehin. Dass er vor Christiane jämmerlich zu Boden geht, dürfte im Sinne des Erfinders der Figur sein: einen anderen Rivalen hätte Strauss nicht zugelassen. Auch im übrigen Komödienpersonal brauchte nichts gegen den Strich gebürstet zu werden: Martina Welschenbach gibt der Hausangestellten, die nichts zu lachen hat und zu lachen gibt, ein starkes Profil, Ruben Drole dem männerbündlerischen Notar. Vieles kommt hinzu: eine Skatrunde, eine Schlittelpartie (samt Unfall), und eine Après-Ski-Party, an der zum Ländler getwistet und gerockt wird. Es gibt den Strassenstrich, Autogrammjägerinnen und die Pressemeute – alles abwechslungsreich verteilt auf viele oft ganz kurze Szenen, die sich mit der Zylinderwand als Blende filmschnittartig aneinanderfügen.

So kommt das Konversationsstück denn szenisch überraschend kurzweilig daher, und überraschend abwechslungsreich und süffig bewegt sich auch die Musik weit über den trockenen Konversationston hinaus. Peter Schneider am Dirigentenpult und ein Orchester, das sich vehement ins Zeug legt, sorgen für scharfes Relief und steten Fluss in der betriebsamen Partitur. Diese fordert zu furiosen Extratouren in den sinfonischen Zwischenspielen mit Höhepunkten wie der sausenden Schlittenfahrt und dem polternden Walzerspektakel heraus.

Instrumental effektvoll ist aber auch die Dialogmusik mit ihren dramatischen und lyrischen Intentionen. Orchester und Ensemble zeigen dabei famose Beweglichkeit und Detailschärfe für das aufgeregte Grundtempo des Stücks und den schnellen Wechsel zwischen gesprochenem Wort, musikalischem Parlando und ausgreifendem Espressivo – kurz, zu erleben ist ein pointierter szenisch-musikalischer Zugriff auf das Stück, der begeistert und einzig die Frage provoziert, ob die Aufführung vielleicht besser ist als das Stück.