Familienfest an der Rampe

Tobias Gerosa, Der Bund (11.09.2006)

Gianni Schicchi, 09.09.2006, Zürich

Nicht restlos überzeugend: Die Festproduktion zu Nello Santis 75. Geburtstag im Opernhaus Zürich

Wenn der Dirigent Nello Santi 75 wird (am 22. November genau), hat er im Opernhaus Zürich einen Wunsch offen: Eine Produktion inklusive Besetzung - ein angemessenes Geschenk nach fast 50 Jahren kontinuierlicher Arbeit. Die Geburtstagsproduktion mit Ermanno Wolf-Ferraris «Il Segreto di Susanna» und Giacomo Puccinis «Gianni Schicchi» zeigt: In Sachen italienischer Oper ist Santis Autorität ungebrochen, die Premiere wurde zur Familienfeier gänzlich ohne vermeintliche Regie-Störgeräusche.

Kompetenter Vermittler

1958 stand Nello Santi zum ersten Mal im Opernhaus am Pult und hat seither eine Vielzahl von Aufführungen geleitet. In Sachen Donizetti, Rossini, Puccini und Verdi ist er nicht nur Liebling des Publikums, sondern auch kompetenter Wahrer und Vermittler der italienischen Operntradition der Phrasierung, des Belcanto und Rubato mit legendärem Gedächtnis, das ihn die allermeisten Partituren auswendig dirigieren lässt. Unermüdlich sorgt er auch bei der x-ten Neuproduktion eines Werkes wie «Tosca» oder «Rigoletto» für frischen Schwung und entstaubte Partituren.

Dabei ist Santi ein Sänger-Dirigent, der praktisch alle Texte (mehr oder weniger) stumm mitspricht und seine Protagonisten auf der Bühne auf Händen trägt - auch jetzt im Geburtstagsdoppelabend mit «Il Segreto di Susanna» und «Gianni Schicchi», zwei komödiantischen Einaktern von 1911 bzw. 1918. Susannas Geheimnis erweist sich dabei als äusserst leichtgewichtige Kitschstory. Eigentlich ist es nicht mehr als ein auf 50 Minuten aufgeblasener Werbespot der Tabakindustrie. Susanna raucht heimlich, ihr Mann Graf Gil riecht den Rauch und verdächtigt einen Liebhaber als Täter. Grosse Eifersuchtsszenen ohne jede Ironie. Versöhnung nach der Aufklärung bei gemeinsamer Zigarette. Dabei trieft der Text von süssem Schmalz, die Musik treibt abgesehen von der hübschen Ouvertüre einen pathetischen Riesenaufwand und nimmt sich selber und ihren Anspruch dabei überaus ernst.

Im Schlussgag ein Ideechen

Trotz Santis grossem Bemühen um Spritzigkeit, Energie und Differenzierung bleibt der Eindruck eines verkrampft nach Originalität strebenden Wölkchens: hübsch anzusehen, rasch vergessen. Vielleicht könnte eine charismatische Besetzung diesen Eindruck korrigieren, Paolo Rumetz und Adriana Marfisi gelingt das nicht. Beide singen zweifellos gut, beherrschen ihre Partien technisch und darstellerisch, bleiben dabei aber schematische Figuren. Dass sie Regisseur Grischa Asagaroff in Klappbühnenbildern wie von einer Wandertruppe (Ausstattung Luigi Perego) weitestgehend ungeführt stehen, schreiten und an der Rampe singen lässt, erweist sich als Bumerang. Nur gerade im Schlussgag der Übertitelung erlaubt man sich ein Ideechen. Auch das ist allerdings ein Teil von Nello Santis Opernwelt. Mit auch nur halbwegs modernen Regieansätzen kann er nichts anfangen, und so umgibt er sich mit braven Arrangeuren, die Oper wie im Klischee einfach durchstellen.

Starken Stücken wie «Gianni Schicchi» kann das weniger anhaben. Das Orchester funkelt wie von Quecksilber, kommentiert, treibt und lacht über sich selber, während die Szene, musikalisch straff geführt, auch im Blindflug funktioniert - vor allem wenn die Titelrolle von einem Veteranen wie Leo Nucci übernommen wird. Dass der Erbschleicher, der sich im Auftrag der Verwandten für einen Verstorbenen ausgibt und sich dann im falschen Testament alle Filetstücke selber zuschanzt, mehr deklamieren als singen muss, kommt ihm entgegen. Dafür singen Fabio Sartori (Rinuccio) und wiederum Adriana Marfisi (Lauretta) als Liebespaar umso innigere Linien. Dass Marfisi in beiden Stücken singen darf, ist kein Zufall. Nachdem die junge Sopranistin ihre internationale Karriere ins Rollen gebracht hat, darf man nun auch wissen, dass sie die Tochter des sichtlich stolzen Maestros ist. Mit der restlichen Besetzung aus Santis regelmässiger Sängerfamilie sorgt sie für ein echtes musikalisches Familienfest zum 75sten.