Überreden statt argumentieren

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (11.03.2008)

Intermezzo, 09.03.2008, Zürich

Menschen statt Opernhelden, realistische Einblicke ins bürgerliche Eheleben statt mythischer Symbolismus auf der Bühne: Mit «Intermezzo» wollte Richard Strauss die Oper neu erfinden.

Der Schritt von «Die Frau ohne Schatten» (1919) zu «Intermezzo» (1924) könnte grösser nicht sein: Richard Strauss vollzog hier die Abkehr vom symbolbefrachteten, märchenhaft pompösen Parabelspiel zur modernen, «absolut realistischen Charakter- und Nervenkomödie». Verschlankt der Text: Der Komponist schrieb ihn gleich selber, und dies bewusst ohne jeglichen dichterischen Mehrwert. Entstanden ist ein Konversationsstück, wie es damals en vogue war, und sprachlich derart «naturalistisch» formuliert, dass der grosse Max Reinhart das Stück selbst als reines Schauspiel, ohne alle Musik, für aufführenswert hielt. Die Frage wäre also, was denn die Musik hier noch zusätzlich bringt. Auch sie ist hörbar verschlankt: Das leichte Parlando (oft nur gesprochene Worte) gibt den Ton an, ein rezitativischer statt arioser Stil, und das begleitende Orchester kommentiert das Gesagte und Gemeinte, indem es dieses Takt für Takt treuherzig abmalt. Zudem hält die Musik in insgesamt 12 instrumentalen Zwischenspielen die 13 Szenen der Oper zusammen, rafft die dramatische Zeitstruktur wie im Film. Wenn der Vorhang über der nächsten Szene wieder aufgeht, kann die Handlung durchaus bereits um Tage weiter fortgeschritten sein.

Geschwätzig

Da Strauss alles auf eine möglichst «realistische» Natürlichkeit des Alltags hin angelegt hat, bleibt einem Regisseur nicht eben viel Spielraum. Jens-Daniel Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhardt nutzen ihn, indem sie Christine, die vermeintlich betrogene Gattin des Hofkapellmeisters Robert Storch (das Alter Ego von Richard Strauss) ins Zentrum setzen. Um sie, die missverstandene Frau, gefangen in den Konventionen der Ehe, dreht sich alles, und das im wahrsten Sinne des Wortes, nämlich auf einer Drehbühne. Da die Szene mit wenigen Requisiten auskommt, mehr Andeutung als eigentliche Möblierung ist, lassen sich die vielen Szenenwechsel rasch und sicher bewältigen.

Ziel war es, von der «trivialen Ödigkeit» der Handlung (Karl Krauss), von diesem «Rohstoff der Einfalt und vielfacher Indiskretion» den Blick irgendwie zu weiten auf ein allgemein Gültiges hin. Das ist Jens-Daniel Herzog irgendwie nicht gelungen, jedenfalls nicht überzeugend genug. Die biedere Alltäglichkeit matrimonialer Meinungsverschiedenheiten gewinnt kaum einen «übergreifenden», gleichsam symbolischen Mehrwert, bleibt genau so beschränkt, wie es die entsprechenden Leute sind, die enervierend wortreich miteinander streiten - Logorröh über weite Strecken. Sie wird unterfuttert von ebenso geschwätziger Musik, die Satz für Satz und Takt für Takt Ausrufzeichen hinzusetzt: Hört hin!

Tempo

Mehr Satzzeichen als Klangrede sozusagen - und so richtig holt diese Musik nur in den Orchesterzwischenspielen aus. Hier schöpfte Strauss wahrlich aus dem Vollen, und vielleicht hoffte er, damit das alltäglich banale Bühnengeschehen zu überhöhen, allenfalls zu vertiefen. Zu hören ist viel walzerselige «Restverwertung» aus dem «Rosenkavalier», auch viel musikgepanzerte «Wagnerei» - eine Musik mehr des Überredens als des Argumentierens. Eine «Musik des Überfliegens, doch in Erdennähe», urteilte Adorno. Auch das kann bekanntlich ermüden. Unvermeidlich macht sich da und dort Langeweile breit. Zurückzuführen ist sie, zumindest zum Teil, auch auf den Dirigenten Peter Schneider, der das Orchester der Oper Zürich zwar sicher durch diese komplizierte Partitur führt, aber eher behäbige Tempi anschlägt und damit die dem Konversationston angemessene komponierte Leichtigkeit mehrmals gefährdet. «Tempo, Tempo, Tempo ist alles», sagt Christine einmal zu ihrem sich herumdrucksenden Galan. Genau das möchte man auch dieser Aufführung wünschen. Sie hat noch nicht zu ihrem idealen Tempo gefunden, und auch an der Wortverständlichkeit müsste noch weiter gearbeitet werden.

440 Partiturseiten

Sicher, «Intermezzo» stellt immense Anforderungen an die Ausführenden. So viel Text, so viele Noten auf 440 Partiturseiten, die es zu memorieren, zu gestalten gilt. Wer möchte da mit den einzelnen Sängerinnen und Sängern noch hadern? Christiane Kohl ist eine lebhafte, manchmal geradezu quirlige Christine. Ihr leichter, heller Sopran spricht im Parlando mühelos an, hat aber in den exaltierten ehelichen Auseinandersetzungen zu wenig energische Durchschlagskraft und, wenn es um seelische Untertöne geht, auch zu wenig Farben in der Stimme.

Rod Gilfry verleiht dem Hofkapellmeister Storch die Züge eines gemütlichen Schwerenöters, der zwar aufbrausen kann, aber gleichzeitig auch durchblicken lässt, dass ihm das Aufbrausen eigentlich nicht liegt. Die wirklich kernig-heldischen Töne dazu fehlen ihm auch ein bisschen. Vielleicht hat er gerade deshalb die Sympathien auf seiner Seite. Roberto Saccà als Baron Lummer versucht, beim Skifahren wie beim Après-Ski (und später auf dem Sofa im Wohnzimmer) das vorzuspielen, was gesetztere Damen von einem 22-jährigen sportlichen Studenten sich vielleicht erhoffen - und das mit durchaus überzeugendem Flirt-Faktor. Martina Welschenbach macht aus der Bediensteten Anna eine lebendige, überraschend vielfältige Charakterstudie, und auch Ruben Drole zeigt als Notar Autorität. Die vier Skatpartner Volker Vogel, Kresimir Strazanac, Morgan Moody und Pavel Daniluk ergänzen das Ensemble auf jederzeit adäquatem Niveau, stimmlich wie schauspielerisch. Ein besonderes Lob zum Schluss verdient Florian Voigt in der Rolle des kleinen Franzl - ein «Bubi», dem man seine listige Verschmitztheit ebenso abnimmt wie seine verzweifelte Trauer. Schön.