Männer sind Schweine

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (10.03.2008)

Faust (Margarethe), 08.03.2008, Basel

Am Tag der Frau gesehen: Charles Gounods romantische Oper «Faust»

Einst im Repertoire eines jeden Operntheaters, heute eine Bühnenrarität: Charles Gounods «Faust» besteht am Theater Basel die Regietheater-Probe. Am Schluss eines langen Abends gabs rhythmisches Klatschen wie nach einem Popkonzert.

Es begann nicht so arg gut. Die Drehbühne knirschte und knackte, als wollte sie dem Publikum zurufen: «Ich bin alt und klapprig, bitte renoviert mich endlich!»

Wir Steuerzahler habens vernommen und werden noch diesen Sommer für eine umfangreiche Reparatur der Bühnenmaschinerie sorgen. Und der Tenor, der die Titelfigur des Faust darstellte, bekundete Mühe mit der Intonation, sang in einem hoch technisierten Rollstuhl, der an das behinderte Genie Stephen Hawking denken liess, rau und eckig sein faustisch-lebensmüdes «Rien». Man war auf vieles gefasst.

Es kam dann alles besser. Die Nebengeräusche der Technik fielen im Verlauf des gut dreistündigen Abends immer weniger ins Gewicht, und Rolf Romei, der Faust-Tenor, legte seine Nervosität ab, um sich zu einer reifen Bühnenleistung zu steigern, in der sich technische Sicherheit (bis hinauf zum hohen C in seiner «Salut»-Szene), Ausdrucksintensität und gute Diktion glücklich ergänzten. Dass Romei bei einem der grössten Faust-Darsteller der Opernszene, bei Nicolai Gedda, studiert hat, machte sich positiv bemerkbar.

Boog. Sein Alter Ego Mephistopheles ist ebenfalls aus dem Basler Ensemble besetzt – Stefan Kocán, ein kräftiger, ebenmässig geführter Bass, der wie ein Zwillingsbruder Fausts wirkt, intonationsgenau singt und nur punkto Textverständlichkeit hinter seinem Tenorpartner zurückbleibt. Eine gute alte Bekannte aus dem Basler Ensemble ist Maya Boog, welche die Riesenpartie der Marguerite für Auge wie Ohr wohlgefällig als Inkarnation jugendlicher Agilität, Anmut und Hingabe darstellt – und mit ihrem diszipliniert geführten hellen Sopran stimmlich hohe Ansprüche erfüllt. Rita Ahonen ist die lüsterne Marthe Schwerdtlein, Marian Pop der brave Soldat Valentin mit keckem Irokesenkamm und kräftigem Bariton. Als in Marguerite verliebter Hosenrollen-Siébel ist mit unerschütterlichem Mezzosopran Aurea Marston zu hören und (im Hasenkostüm) zu sehen.

Im Orchestergraben wirkt ein gerade mal dreissigjähriger Dirigent, Enrico Delamboye, der das Sinfonieorchester Basel sicher und (mit Ausnahme weniger Holzbläserstellen) wohlkooridiniert steuert und den Kontakt zur Bühne nie verliert. Besonders gefielen das feine Streicher-Piano zu Beginn und die Soli von Flöte, Klarinette, Fagott, Violine und Violoncello.

markant. Das Blech war meist markant und nie zu laut. Man könnte sich diesen hochbegabten jungen Dirigenten sehr wohl in einer verantwortlichen Position im Basler Musikbetrieb vorstellen – es wird ja immer noch wie schon seit Jahren nach einem Chefdirigenten gesucht. Weniger stabil als auch schon wirkte der von Henryk Polus geleitete Theaterchor, der durchwegs in Gesichtsmasken und zeitlupenartiger Langsamkeit auftritt. So genau diese Pummel-Puppen choreografiert sind, so sehr vermisst man die stimmliche Präzision dieses einst hoch renommierten Vokalkörpers.

SEELE. Dass sich ein rätselhaft begonnener Opernabend zum Premierenerfolg mausern konnte, lag auch an der Regie von Philipp Stölzl. Der als Videofilmer und Spielfilmregisseur bekannt gewordene Inszenator interpretiert Fausts Welt als Karussell des Grauens und führt Faust und Mephisto konsequent als Zwillingspaar – der Teufel ist nicht eine von aussen eindringende Figur, sondern die dunkle Seite von Fausts Seele.

Marguerite macht in der packenden Verkörperung durch Maya Boog eine beklemmende Wandlung von der unbekümmerten Rollschuh-Lolita in Hotpants zur irren Gefangenen durch, die so verwirrt ist, dass sie nicht einmal befreit werden will.

In Goethes Text und auch im Opernlibretto ist Marguerite eine Kindsmörderin, die durch einen Gnadenakt am Ende erlöst wird. In der leicht gekürzten und umgestellten Basler Stückfassung wirkt es eher so, dass sie durch ihren Bruder Valentin, der im höheren Auftrag des Teufels handelt, verhext wird und ein totes Kind gebärt, das sie verzweifelt im Schnee liegen lässt. Am Ende wird sie nicht verklärt, sondern stirbt durch die Giftspritze eines Gefängnisarztes. Der Chor singt unverdrossen sein «Sauvée!» und stimmt den Osterchoral an, während am Firmament ein herzförmiger Liebes-Ballon aufsteigt.

SKEPSIS. Verklären mag die Basler Inszenierung nichts – und gewinnt so an Glaubwürdigkeit. Die Musik, mag sich Philipp Stölzl gedacht haben, ist schon sentimental genug, da muss es die Bühne nicht auch sein. Daher erfindet er eine Welt voller maskenhafter, wie Schaufensterpuppen auf dem Drehbühnen-Karussell wirkender Figuren. Sie stehen bald für die hohlen Reize der Schönheit und bald für die aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten, die allesamt an Leib und Seele geschädigt sind. So gelingt der Regie eine illusionslos moderne Sicht auf ein unter Kitschverdacht stehendes Stück.

Am Premieren-Tag der Frau kriegten wir Männer überdies den Spiegel vorgehalten: Immer besingen wir die weibliche Unschuld, setzen aber – wie der triebhafte Faust – alles daran, den jungen Frauen möglichst umgehend die «Innocence» zu rauben. Männer sind halt doch Schweine!