Strauss' Christine ist eben kaum zu retten

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (11.03.2008)

Intermezzo, 09.03.2008, Zürich

Wundertüte Richard Strauss: «Intermezzo» heisst eine seiner wenigstbekannten Opern. Das Opernhaus Zürich stellte sie am Sonntag nach über 50 Jahren wieder zur Diskussion. Mit zwiespältigem Ergebnis.

Eines vorneweg: Wenn er nur komponiert hätte, dann wäre «Intermezzo» eines der besten und beliebtesten Stücke von Richard Strauss geworden: Einfach nur staunenswert, wie er das musikalisch Handwerk beherrschte und einsetzte. Es gibt wohl keinen Takt in dieser Partitur, der nicht überzeugend und abwechslungsreich instrumentiert wäre, die melodische Erfindungsgabe ist nicht minder üppig: Wo man hinhört, nichts als stimmige, schlüssige, üppige Musik voller Esprit und Witz, aber auch voller Emotionen und tiefer Gefühle.

Das Libretto ungeniessbar

Diesem Eindruck stellten sich am Sonntag bei der Zürcher Premiere zwei grosse, dicke Fragezeichen entgegen. Für das eine ist Strauss selber verantwortlich: Er stellte in einem unglaublichen Anflug von Leichtsinn und Nonchalance seine eigene Ehe auf die Bühne und hat, weil natürlich kein Librettist darüber intimere Kenntnisse haben konnte, den Text auch selber geschrieben. Dafür fehlte ihm nun wirklich jedes handwerkliche Können, womit der Text im Verbund mit der zeitbedingten Sicht auf die Geschlechterrollen und dem Selbstverständnis eines Superstars seiner Epoche, als den Strauss sich selber sah, schlicht ungeniessbar ist.

Eine Episode in Strauss' Eheleben gab den Anstoss der Handlung: 1902 erhielt «Kapellmeister Strauss» einen kompromittierenden Liebesbrief, den seine Frau in Missachtung des Briefgeheimnisses öffnete und die Affäre witterte. Schnell jedoch klärte sich alles in Minne: Kollege und Namensvetter Edmund von Strauss war der Adressat des Briefs. Diese Geschichte hat Strauss 14 Jahre später, mitten in der Arbeit an der «Frau ohne Schatten», ein wenig ausgeschmückt und dabei nichts weniger als die Neuerfindung der Oper im Sinn gehabt: Konversations-Oper, dem Kino abgeschaut: kurze, realitätsnahe Dialoge, viele Schnitte, schnelle Handlung und Gefühle und Reflexionen kondensiert in sinfonischen Zwischenspielen.

Das zweite Fragezeichen der Zürcher Produktion betraf die Umsetzung. Ausgerechnet dort, wo das Haus üblicherweise Massstäbe setzt, bei Dirigent und Orchester, fielen die grössten Defizite an. Es war eine bessere Probe, was das Opernorchester an der Premiere ablieferte. Peter Schneider war so damit beschäftigt, sich durch die Ereignisdichte dieser Partitur zu kämpfen, dass er für die Details der Dynamik und Agogik keine Aufmerksamkeit mehr übrig hatte. Einigermassen hielt er Orchester und Bühne zusammen, einigermassen vermittelte er eine Ahnung von der orchestralen Pracht des Stücks, mehr nicht.

Sängerisches Format trotz allem

Erstaunlich unter diesen Umständen, wie sich die Sänger schlugen: Rod Gilfry kämpfte zwar mit den deutschen Konsonanten und mit seiner Stimme, aber Christiane Kohl, Roberto Saccà, Martina Welschenbach und Ruben Drole bewiesen sängerisches Format. Vor allem Christiane Kohl war gefordert: Die Hauptpartie Christine, die ständig keifende, aber treusorgende Frau des Komponisten, verlangt eine Strauss-Sängerin von grösstem Format: Ständig auf der Bühne, virtuos im schnellen, quirligen Parlando-Ton einer Zerbinetta, aber auch in den grossen, süssen Linien Strauss'scher Emotionalität, hat sie einen sängerisch sehr weiten Spagat hinzulegen. Kohl sprang ins eiskalte Wasser und zeigte es allen: Sie selbst war am Ende ihrer Kräfte, aber die Stimme klang bis am Schluss frisch und strahlend; ein bisschen fehlten ihr Glut und Wärme für die «Ariadne»-Töne, aber insgesamt war das ein Debüt von enormem Format.

Dies umso mehr, als Kohl wie das ganze Ensemble hervorragend spielte. Besonders Roberto Saccà bewies grosses komödiantisches Talent unter der detailreichen Anleitung Jens-Daniel Herzogs. Der Regisseur schuf viel szenische Komik und hohen Unterhaltungswert. Bis dort, wo er mehr wollte: Da scheiterte er an den eigenen Ansprüchen. Und an Strauss: Die Figur der Christine zu retten, ihr Tiefe, Einsamkeit, Frustration zu geben, das wäre - wenn überhaupt - nur mit viel subtileren Schattierungen gelungen als etwa mit schaurigen «Medea»-Zitaten. Sie ist eine Karikatur, und soweit Herzog das Eheleben im Hause Strauss (und im Allgemeinen) karikierte, war die Inszenierung unterhaltsam. Darüber hinaus hat sie ihr Ziel nicht erreicht.