Vom Jahrmarkt in den Kerker

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (12.03.2008)

Faust (Margarethe), 08.03.2008, Basel

Charles Gounods Oper «Faust» im Theater Basel

Lange ist Charles Gounods «Faust» auf deutschen Bühnen unter dem Titel «Margarethe» gespielt worden, weil die französische Opernversion als Profanierung von Goethes Drama empfunden wurde. Das Theater Basel spielt «Faust» unter dem originalen Titel, doch so, dass man sich fragen kann, ob diese Aufführung nicht ihrerseits eine Profanierung Gounods sei. Schulkinder wie Barbiepuppen, Faust und Méphistophélès als Doppelgänger – «Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust» – in Glitzeranzügen in einem Scooter, Teenager im Sportdress: Das ist die Jugend, wie sie der nur noch durch Maschinen am Leben erhaltene Faust auf Philipp Stölzls Bühne imaginiert. Der Regisseur und Ausstatter, der im vergangenen Sommer bei den Salzburger Festspielen mit einem vergagten «Benvenuto Cellini» für Ärger gesorgt hat, steht auch im Basler «Faust» zu seiner Herkunft. Nach der Ausbildung zum Szenografen hat er sich mit Werbe- und Musikvideos (unter anderem für Madonna und Mick Jagger) sowie mit Filmen einen Namen gemacht.

Filmisch und visuell konzipiert ist denn auch Stölzls «Faust»-Inszenierung, seine dritte Arbeit für das Musiktheater. Im Zentrum der von ihm und Conrad Reinhardt entworfenen Bühne steht ein schwarzer, mit Glühlämpchen bestückter Zylinder. Um diesen rotiert die Drehbühne, auf der Stölzl die einzelnen Szenen arrangiert wie auf einem Karussell, mit Figuren im Comic-Stil, die Kostüme (Ursula Kudrna) poppig bunt, die Bewegungen bald in Zeitlupe, bald beschleunigt, plötzlich erstarrt. Das ist gekonnt gemacht und zeigt die Bühnentechnik des Basler Theaters auf höchstem Leistungsstand. Doch sind die Jugendträume dieses Faust nicht eher infantil? Mit dieser Frage geht man in die Pause.

Danach wird fast alles anders. Der Zylinder steht zwar immer noch da, die Drehbühne rotiert weiter, aber jetzt ist sie schneebedeckt. Denn nun hat die Tragödie begonnen, Marguerite ist schwanger und von Faust, der sich gemeinsam mit seinem Alter Ego Méphistophélès mit Prostituierten vergnügt, verlassen, ihr Bruder Valentin (Marian Pop) stirbt, sie tötet ihr Kind und halluziniert eine Traumhochzeit mit Faust, dann steht sie vor Gericht und endet im Kerker. Mit jeder Szene dringt Stölzl mehr zum Eigentlichen vor, zum Schicksal Marguerites, das hier ohne jede Sentimentalität als ein heutiges geschildert wird. Denn Maya Boog ist der Inbegriff einer modernen Sängerin, beweglich, sportlich, auf natürliche Art attraktiv, und sie bringt körperlichen und vokalen Ausdruck nahtlos in Übereinstimmung – bezeichnend jene Szene, wo sie, auf einer Schaukel sitzend, sich und ihre Stimme immer höher hinaufschwingt.

Neben ihr fallen die zwei männlichen Protagonisten – Rolf Romei als Faust mit seinem geschmeidigen, doch etwas matten Tenor und Stefan Kocán als Méphistophélès mit seinem rauen Bass – deutlich ab. (Für die drei genannten Hauptpartien und den an der Premiere von Aurea Marston hübsch gesungenen Siébel sind Alternativbesetzungen angekündigt.) Auch das Sinfonieorchester Basel kommt unter der Leitung von Enrico Delamboye nicht recht in Fahrt, die Tempi wirken einförmig, spannungslos (was Differenzen mit dem sich trotz seinen Gesichtsmasken markant in Szene setzenden Chor nicht ausschliesst), und dem Klang fehlt es an Brillanz. – Nicht mit Rücksicht auf Goethe, sondern Maya Boog zu Ehren müsste Gounods Oper in Basel wieder «Margarethe» beziehungsweise «Marguerite» heissen.