Herbert Büttiker, Der Landbote (12.03.2008)
Die grossen literarischen Figuren sind gewöhnliche Menschen, deren Schicksal nicht weniger berührt: Gounods «Faust» im Theater Basel.
Goethes «Faust» war nicht der einzige, aber der klare Bezugspunkt für Charles Gounods Oper. In Deutschland segelte sie deshalb unter dem Titel «Margarete» – um sie vom literarischen Heiligtum abzugrenzen. Allerdings interessierte sich auch der Komponist letztlich tatsächlich mehr für das Schicksal der von der Kirche und der weltlichen Justiz verdammten Kindsmörderin als für das Seelenheil des Verführers. Die Oper beginnt zwar mit dem Teufelspakt des alten Faust, aber sie schliesst mit der «Apotheose» der Marguerite.
Für ihre Geschichte hat die Inszenierung von Philipp Stölzl im Theater Basel einige Bilder mehr als die erwarteten. Wir sehen, wie Marguerite ihr Kind zur Welt bringt und liegen lässt, wie sie vom Richter abgeurteilt wird, wie sie auf den Schragen gebunden und mit einer Giftspritze hingerichtet wird. Diese Bilder stehen im Rahmen eines «heutigen Erzählens». Dieses meint nicht nur die Verlegung der Handlung in die Gegenwartsnähe – Marguerite ist das Mädchen auf Rollschuhen, das an der Kirmes Ballons verkauft, Faust und Mephisto tummeln sich auf der Auto-Scooter-Bahn –, sondern auch die besondere Erzählweise: den filmischen Erzählfluss (mit Hilfe der Drehbühne) und das Einfrieren zu Standbildern, die an die Dramaturgie des Comics erinnern. Die Masken, die den Chor und die Statisterie in Puppen verwandeln, unterstreichen diese Intention, während die Protagonisten deutlich Fleisch und Blut in sich haben – vor allem Blut: Valentins Tod geht eine reichlich sadistische Messerstecherei voraus.
Dem Regisseur und seinem Mitarbeiter Conrad Reinhardt ist zugutezuhalten, dass die Drastik der Erzählung in der Ästhetik der Bühne aufgeht und sich der Musik durchaus unterordnet. Da mag manches arg überdreht wirken (vor allem rund um das Modellhaus, das für Marguerites Zuhause steht), aber der expressive Fingerzeig auf die ungeschminkten Tatsachen hat zuletzt eine bezwingende Kraft, die sich der Musik mitteilt und von ihr wiederum auch beglaubigt wird.
Und das Musikalische liegt in guten Händen. Das Sinfonieorchester Basel entfaltet unter der Leitung von Enrico Delamboye allen atmosphärischen wie emotionalen Zauber der Partitur. Der Chor allerdings scheint durch Masken und eingefrorenes Posieren auch in der musikalischen Gestaltung nicht ganz frei und Koordinationsprobleme blieben nicht aus. Unter den Protagonisten rückte Maya Boog ins Zentrum – nicht nur, weil das Stück es so wollte: Der Juwelen-Arie mochte einiges an perlender Brillanz fehlen, aber was sie dann bot, war ein einziges Crescendo an lyrischer Innigkeit und expressiver Intensität. Rolf Romeis «Faust» erwies sich mit seinem hellen Tenor als valabler Partner, Stefan Kocan als Mephistopheles als zynisch süffisante Kontrastfigur. Marian Pop gab, unklar intonierend, den Skinhead-Valentin, Aurea Marston machte Siébel zur berührenden Randfigur im bunten Kaleidoskop der Bürgerwelt (Kostüme: Ursula Kudrna), zu der karikaturistisch auch Rita Ahonens Marthe und He-Do Ans Wagner gehörten.