Mit Leuchtstift markiert

Georg Rudiger, Südkurier (11.03.2008)

Faust (Margarethe), 08.03.2008, Basel

Ein gefühlsseliges Rührstück hat man Charles Gounods 1859 in Paris uraufgeführte Oper "Faust" häufig genannt. Auf deutschen Bühnen erhielt das Werk mit "Margarethe" sogar einen eigenen Namen - soviel Distanz zu Goethes großer Tragödie musste schon sein. Sentimentalitäten kommen bei Philipp Stölzls Sicht auf Gounods Erfolgsoper am Basler Theater nicht auf. Die Pritsche, auf der Marguerite bereits zu Beginn an Lederriemen fixiert ist, wird am Ende wieder auf der Drehbühne hereingefahren. Dort liegt Maya Boog als menschliches Wrack, von allen verstoßen, von ihrem Verstand verlassen. Ihre Haare hat man geschoren, ihre Würde genommen.

Jetzt schaut sie mit leerem Blick in den Zuschauerraum des Basler Theaters - bevor sie von einer gesichtlosen Ärztin mit der Giftspritze exekutiert wird. Sentimental ist das nicht, auch wenn der warme Streicherklang des Sinfonieorchesters Basel unter der Leitung von Enrico Delamboye Trost und Menschlichkeit entstehen lässt. Hier erzielt Philipp Stölzls Inszenierung gerade durch ihre Fokussierung eine Intensität, die sie an diesem mit rhythmischem Klatschen gefeierten Abend zuvor lange Zeit nicht hatte.

Natürlich fallen Stölzl, der eigentlich Filmemacher ist und neben Autos auch schon Pop-Stars wie Madonna und Rammstein in Szene gesetzt hat, für "Faust" eine Menge Bilder ein - seine Salzburger Inszenierung von Berlioz' "Benvenuto Cellini" im letzten Jahr zeichnete sich auch nicht gerade durch optische Askese aus. Aber im ersten Teil wirkt vieles zu überzeichnet. Nichts wird angedeutet, alles ist mit Leuchtstift markiert: Hauptsache bunt, glitzernd, grell.

Faust (Rolf Romei) ist bei ihm wirklich ein Greis. Ein Pflegefall, der in Unterhose und mit nacktem, verkabeltem Oberkörper auf seinem motorisierten Rollstuhl ganz langsam aus dem Dunkeln auftaucht. Da sitzt er, beklagt sein Leid und stopft gleich mehrere Packungen Schlaftabletten in sich hinein, ehe er von Méphistophélès (Stefan Kocán), ebenfalls in Unterhose, aus seiner rollenden Krankenstation gestoßen wird. Mephisto als Fausts Alter Ego - das ist nun auch nicht gerade die neueste Idee in der Faust-Rezeption.

Es sind die Basler Solisten, die das Doppelpack mit Leben füllen. Rolf Romei ist ein darstellerisch präsenter Faust, dem man sowohl die Schmerzen des Alters als auch die Leidenschaft der Jugend abnimmt. Bisweilen fehlt seinem charakteristischen, leuchtenden Tenor in den Registerwechseln die Geschmeidigkeit; auch intonatorisch hat Romei leichte Schwächen.

Mit Stefan Kocán hat er einen starken Partner, der mit darstellerischer Präsenz und metallenem, schwarzem Bass Dominanz ausübt. Auch wenn sich die beiden nach Fausts Verjüngung in silberne Glitzerjackets werfen (Kostüme: Ursula Kudrna) und mit dem Autoscooter auf Frauenjagd gehen, entwickeln sie in ihren von Stölzl eindimensional gezeichneten Rollen Spielfreude.

Mehr Ausdrucksebenen finden sich im Orchestergraben. Enrico Delamboye erzielt mit dem großartig spielenden Basler Sinfonieorchester einen leuchtenden Klang, der sich der Schönheit der Melodien stellt, ohne dabei ins Kitschige abzudriften. Bei den vielen Massenszenen wie dem Aufmarsch der Soldaten, die mit ihren Kindermasken verstörend wirken, zeigt das Orchester Biss. Auch der Chor- und Extrachor des Basler Theaters (Einstudierung: Henryk Polus) überzeugt auf ganzer Linie.

Immer wieder wird von der Regie die Drehbühne um den mit Lampen besetzten, zylinderförmigen Turm in der Bühnenmitte (Ausstattung: Philipp Stölzl, Conrad Reinhardt) aktiviert, um das maskierte Volk in großen, bunten Standbildern oder choreographierten Bewegungen (Mara Kurotschka) in Szene zu setzen. In dieser gesichtlosen Masse erhält nur Marguerite individuelles Profil. Aus dem rollschuhfahrenden, schüchternen Mädchen wird eine leidende Frau, die nach der Tötung ihres Kindes dem Wahnsinn verfällt. Maya Boog ist Marguerite. Ihr beglückender Sopran kennt die Sehnsucht und den Schmerz. Und auch die Leichtigkeit, mit der sie sich in diese katastrophale Romanze stürzt.

Nach der Pause schneit es auf der Bühne. Die Farben sind gedämpft, das Überflüssige ist weggelassen - das Drama nimmt seinen Lauf. Valentin (maskulin: Marian Pop) verblutet im Schnee, Siébel (trotz Osterhasenkostüm ergreifend: Aurea Marston) ist schockiert. Und wenn vom Schnürboden der stählerne Gefängniszaun herabschwebt und damit die Einsamkeit Marguerites in ein eindrückliches Bild setzt, dann gewinnt dieser bunte "Faust" doch noch enorme dramatische Kraft.