Narkotisierend: Richard Strauss' "Intermezzo"

Kai Luehrs-Kaiser, Die Welt (11.03.2008)

Intermezzo, 09.03.2008, Zürich

Als Christian Thielemann einmal gefragt wurde, warum er nicht "Intermezzo" seines Favoriten Richard Strauss dirigiere, antwortete er: "Ich kenne das Werk nicht." Damit ist fast alles gesagt. Während sogar die abstruse "Ägyptische Helena", der furchterregende "Friedenstag" und die misslungene "Liebe der Danae" immer wieder Strauss-Wiederentdecker fanden, wartet die wohl erste Ehe-Komödie der Opern-Geschichte noch immer darauf, wachgeküsst zu werden.
"Intermezzo" ist eine Schlüssel-(loch)-Oper, die vom Hauptakteur (Strauss) selber verfasst wurde. Das Scharnier zwischen Hofmannsthal-Phase und (schwächerem) Spätwerk bleibt zwar oberflächlich läppisch. Doch enthalten die vielen Zwischenspiele etliche von Strauss' besten Einfällen in narkotisierend schöner Instrumentation. Der Komponist und Textdichter hat seine Ehe mit der Sängerin Pauline de Ana zur Farce gemacht. So wurde der Traum des Publikums, in einem Werk den Komponisten direkt wiederzuerkennen, zwar Wirklichkeit - ist aber auch radikal zerplatzt. Strauss' Höchstpersönlichstes, 1924 in Dresden uraufgeführt, wurde ein klarer Misserfolg.
Auch in Zürich traut Jens-Daniel Herzog dem Stück - trotz seiner vielen Selbstbezüglichkeiten - allzu wenig eigenes Leben zu. Im perlmuttfarbenen Rundsalon zetern und zagen die Figuren, als sei's ein Stück von Thomas Bernhard. Hausdrache Christine ist ein dermaßen desorientiertes Früchtchen, dass sie Sohn Franzl mit einem Kissen fast ermordet, als der Seitensprung ihres eher gutmütigen Ehe-Trottels dann ruchbar wird.
Die kreisende Bühne illustriert den ewigen Lauf von kommoden Ehehöllen, die von Strindberg oder Albee nichts ahnen. Herzogs halbherzige Aktualisierung mit Moon-Boots und Skihasen-Outfit widerspricht einer Rollenverteilung, die bestenfalls bis in die 60er Jahre hinein reicht (Ausstattung: Mathis Neidhardt). Wie überhaupt deutlich wird, warum das leichteste Werk von Strauss sich am schwersten gegen Wiederentdeckungen sperrt. Dem virtuosen Dialog-Stil ist ohne lange Praxis nur schwer beizukommen.
Peter Schneider, selber eine Art letzter Hofkapellmeister der Opernwelt, dirigiert die kurvenreichen Lyrismen scheppernd schön, aber doch auch pompös. Hier fehlt es an elegant-häuslicher Selbstverständlichkeit. Rod Gilfry (Storch) als Skat zockender, gealterter Beau singt gaumig und textuntreu. Roberto Saccà als Baron Lummer ist ein fescher Hallodri, eben drum von gestern. Und Christiane Kohl gibt die zickige Hausfrau als wütendes Zwitschervögelchen. Verständlich und von heute sind diese Figuren allesamt nicht. So bleibt der immerhin ehrenhafte Versuch nur ein Muss für Straussianer - und freilich ein vergnüglicher Abonnenten-Scherz.
Wundern darf man sich, dass auf CD dieser Schatz kaum je gehoben wurde. Die Christine war einst Pracht-Partie der unvergleichlichen Lucia Popp (unter Sawallisch). Die ältere Referenz-Aufnahme mit Annie Felbermayer ist seit LP-Tagen perdu. Gäbe es im Gesamtwerk von Strauss eine geheime "Rosenkavalier"-Trilogie, so bildete "Intermezzo" den zweiten, "Capriccio" aber den dritten Teil über das Altern der Liebe. Strauss' Hommage an einen Drachen, an seinen Drachen nämlich, ist das Miniatur-Satyrstück einer Welt, die er - durchaus zu Recht - für die beste hielt.