Hans-Klaus Jungheinrich, Frankfurter Rundschau (12.03.2008)
Wenn's in der Kunst ungemütlich wird, reagiert die Rezeptionsgeschichte spröde. Mit seiner unverhohlen autobiographischen "bürgerlichen Komödie" "Intermezzo" stieß Richard Strauss zwischen den Weltkriegen auf wenig Gegenliebe, und auch seitdem gab es nur selten Aufführungen. Dabei gehört das Stück zum ambivalent Interessantesten aus seinem Oeuvre, und es war mehr als an der Zeit, in Zürich eine neue Perspektive dafür zu finden.
Komödienhaft geht es wenig zu, zumindest gibt's nichts federleicht Boulevardeskes oder Operettiges trotz des auf den ersten Blick seichten Plots. Eine leichte Dame verwechselt ihren Liebhaber mit dem namensähnlichen berühmten Komponisten Robert Storch, und das galante Billett von ihrer Hand macht dessen Gattin rasend. Nach mühsamer Aufklärung triumphiert scheinbar die "glückliche" Ehe, doch deren Verklärung und Überhöhung im schwelgerischen Musikstrom ist nah an den Abgrund gebaut.
Der Hauptperson Christine (alias Pauline Strauss) gilt zu drei Vierteln eine Abrechnung, zum vierten eine Huldigung. Strauss arbeitet sich an dieser Hysterikerin klarsichtig ab, blendet aber stets rechtzeitig die aus der haarsträubenden Beziehungs-Diagnose sich ergebenden Konsequenzen aus. Ihm bleibt als Fluchtraum ja immer seine Kunst, mit deren Hilfe er denn auch misslichste Ehe-Realitäten in den Sternenhimmel einer überirdischen Versöhnung zu versetzen vermag - am Ende könnte man meinen, Strauss verwechsle den faden "Intermezzo"-Friedensschluss mit dem triumphalen Finale von "Ariadne auf Naxos".
Zum kunstgenießerischen Sich-Zurücklehnen ist also wenig Gelegenheit. Hier gibt es weder heilsame Distanz zu heroischen Antikenstoffen noch ein erotisiertes Kunstmärchen. Die Selbstbespiegelung betrifft nicht die geheimen Mechanismen der (Opern-) Kunst, vielmehr das bürgerliche Ich und seinen Alltag. Entrückt sind diese Figuren der heutigen Normalität lediglich durch den zeitlichen Abstand.
Kompositorische Meisterschaft
Jens-Daniel Herzog setzte in seiner szenischen Neubelebung kluge Akzente, die ungezwungen Nervenpunkte der Handlung verdeutlichten. Die Szene und die Kostüme signalisierten Gegenwart, machten dabei aber die Distanz zur Strauss'schen Bürgerlichkeit nur umso plausibler. Der Boulevardtheater-Realismus war zudem mit einigen griffigen szenischen Metaphern aufgeladen. Vor allem Mathis Neidthardts die Drehbühne umschließender Kessel war solch ein Element. Und ein praktisches zudem, das im häufigen Sich-Öffnen und -Schließen auch während der ausgedehnten Orchesterzwischenspiele szenische Kommentare ermöglichte.
Die altmodische Skatrunde der männlichen Musikprofis arrangierte Herzog als Peepshow mit der trostlosen Christine als Objekt. Natürlich wird die Schlussapotheose unterlaufen: In sich selbst gekehrt sitzen die Eheleute an einem langen Tisch einander gegenüber. Noch der scheinbar klischeehafte Einbezug von Reportertrubel und Blitzlichtgewittern hat gerade bei dieser Oper Sinn: Strauss' vielfach als peinlich empfundenes Öffentlichmachen des Privaten antizipiert eine Tendenz, die mit der Zeit auch die "große" Kunst nicht unberührt ließ.
In "Intermezzo" ist Strauss auf der Höhe seiner kompositorischen Meisterschaft, und nie hat er das flüssige, zugleich pointierte Parlando etwa der ersten Szene übertroffen. Großartig die Motivbündelungen und -strudel in den symphonischen Zwischenspielen, in denen das Drama der Gefühle zu gewaltiger Glut entfacht wird. Melodischer Schwung und Walzerseligkeit geraten immer wieder in die Kraftfelder einer intelligenten und resoluten polyphonen Arbeit.
Gastdirigent und Strausskenner Peter Schneider war am Pult temperamentvoll am Werk. Die Besetzung der beiden Hauptrollen ließ die enormen Schwierigkeiten dieser Partien nicht ganz vergessen. Christiane Kohls Vortrag konnte nicht immer die ideale Balance herstellen zwischen Wortdeutlichkeit und blühender Gesangslinie; Rod Gilfrys Strauss-Porträt war idiomatisch etwas hilflos und hätte einige Facetten von hintergründiger Selbstbeweihräucherung vertragen. Beide Akteure - und das ist vielleicht der einzige ernstliche Einwand - zeigten sich um mindestens zehn Jahre jünger als ein glaubhaft prominentes bürgerliches Musikerpaar.