«Paul Bunyan»

Anna Kardos, Tages-Anzeiger (18.03.2008)

Paul Bunyan, 16.03.2008, Luzern

Märchenhaft erzählt die mythische «Schöpfungsgeschichte» um den riesenhaften Holzfäller Paul Bunyan und seine Mannen, wie aus der wilden Natur das moderne Amerika geschaffen wurde.

Benjamin Brittens gleichnamiges Werk, sein Bühnenerstling, wurde nach der New Yorker Uraufführung 1941 vom Komponisten selbst zurückgezogen. Man versteht weshalb: Die einzelnen musikalischen Abschnitte sind den verschiedensten Einflüssen verpflichtet, die Oper schlägt von Folklore in Belcanto und in Blues um; dem Orchester unter der Leitung von Rick Stengårds bot das immerhin die Gelegenheit, auch mal pastos und unbeschwert drauflosspielen zu dürfen. Aber auch das Libretto von W.H. Auden vermag keinen Bogen zu spannen und entwickelt keinen Sog. Weiter erschwerend kommt hinzu, dass sich keine der Rollen als Identifikationsfigur anbietet (Brechts episches Theater lässt grüssen) und die Titelfigur nicht auf der Bühne erscheint, sondern nur als Stimme (Christoph Künzler) präsent ist.

Umso überraschender, was die Inszenierung – eine Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen, der Volksoper Wien und der Opera North – mit dem sperrigen Material zu Stande bringt. «Choral Operetta» nannte Britten sein Werk, und Regisseur Nicholas Broadhurst nimmt ihn beim Wort, lässt Brüche und inhaltliche Schwierigkeiten nonchalant ausser Acht und dafür die leichte Muse Einzug halten. Höchst wirkungsvoll wird die Handlung in eine Tanzchoreografie eingebettet (der Broadway lässt ebenfalls grüssen). Fernab von jeder Suche nach realistischer Darstellung entfaltet sich so ein amüsantes Spektakel, das neben Sprachwitz und Musik auch einen Augenschmaus bietet (Choreografie: Struan Leslie).

Wie soll man leben, wenn das Land einmal urbar gemacht ist? Auf diese Frage findet «Paul Bunyan» in schönster amerikanischer Weise bald eine Antwort. Aber erst müssen Hel Helson (Tobias Hächler), Johnny Inkslinger (Jason Kim), Slim (Andreas Scheidegger) ihre Lektionen lernen. Unterstützt werden sie vom Hündchen Fido (hinreissend gespielt, getanzt und gesungen von Sumi Kittelberger), von zwei Katzen und Bunyans Tochter Tiny, verkörpert von der stimmlich herausragenden Simone Stock. Zum Schluss hat jeder seine Bestimmung gefunden. Alle sitzen sie in trauter Idylle vereint beim Weihnachtsschmaus, und Bunyan, der zu neuen Herausforderungen aufbricht, schärft ihnen noch einmal ein, sich vor falschen Patrioten zu schützen, sich nicht vor Götzenbildern zu verbeugen und nicht dem Alkohol zu erliegen (sogar das Hollywoodpathos durfte grüssen). Da wurde es einem als Mitteleuropäer doch fast ein bisschen zu bunt, aber da war das Stück dann auch schon zu Ende.