Maria Künzli, Berner Zeitung (25.03.2008)
Marc Adams erste Inszenierung in Bern besticht durch einnehmende Schlichtheit und ein äusserst flexibles Ensemble.
Wozzeck ist ein Ausgegrenzter: einer, der bei jeder Hierarchie auf der untersten Stufe steht. Gleichzeitig ist er ein Entfremdeter, der Dinge sieht und fühlt, die andere nicht wahrnehmen. Die Oper «Wozzeck» von Alban Berg, die am Samstag in Bern Premiere feierte, beruht auf dem Dramenfragment «Woyzeck» von Georg Büchner.
Untermauert
Die Entfremdung und innere Verlorenheit, die auch bei Bergs Musik eine zentrale Rolle spielt, wird gerade durch die Schlichtheit von Marc Adams Inszenierung, einer Neubearbeitung einer Eigeninszenierung aus Lübeck, eindrucksvoll in Szene gesetzt: etwa mit einer massiven Eisenwand, die je nach Geschehen die Sicht der Figuren nach oben oder auf die Seite hin bedrohlich einschränkt, sodass unweigerlich auch beim Zuschauer ein Gefühl von Beengtheit entsteht (Bühne: Jean Bauer). Diese Stimmung verstärkt sich noch, sobald die Eisenwand wie eine Art Setzkasten die Sicht auf kleine begrenzte Felder freigibt: etwa auf das Zimmer von Marie (Mardi Byers), der Geliebten von Wozzeck. So wird – im wahrsten Sinne des Wortes – untermauert, wovon Marie in ihrer ärmlichen Stube, mit Wozzecks unehelichem Kind im Arm, singt: «Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und einen Spiegel.»
Überhaupt setzt Adam den Fokus auf das Innere der Figuren. Auch die schlichten Kostüme von Pierre Albert, die zeitlich in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts angesiedelt und in beige, weiss und grau gehalten sind, lenken nicht von der inneren Zerrissenheit ab.
Während das Berner Symphonie-Orchester beim ersten Anlauf wie mit angezogener Handbremse agierte, spielte es beim zweiten Versuch unter der Leitung des Schweizer Dirigenten Roman Brogli-Sacher wesentlich lauter. Dadurch konnte sich die Bildhaftigkeit, Drastik und Dynamik dieser atonalen Musik voll entfalten. Auch das insgesamt sehr solide Sängerensemble kostete nun die Möglichkeiten der Partitur aus und ging zum Teil von den stimmlichen Möglichkeiten her bis an die Grenzen. Vincent Le Texier beeindruckte als Wozzeck mit einer reichen Palette an stimmlichen und mimischen Möglichkeiten. Auch Mardi Byers vermittelte den inneren Zwiespalt der Marie mit einem gekonnten Wechsel zwischen glockenhellem und dennoch weichem Sopran und dem schrillem Herausposaunen blanker Verzweiflung.
Übers Ziel hinaus
Allerdings schossen Dirigent und Orchester im Verlauf des Abends übers Ziel hinaus: Es wurde teilweise so laut, dass die Sänger mehr damit beschäftigt zu sein schienen, laut genug zu singen, als damit, die Nuancen der Partitur variantenreich zu gestalten.