Johann Strauss von der Nachtseite

Marianne Zelger-Vogt, Neue Zürcher Zeitung (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Eine Neuinszenierung der «Fledermaus» im Zürcher Opernhaus

Ein Wiener Intendant, ein österreichischer Generalmusikdirektor und sieben Jahre ohne «Fledermaus», die Wiener Operette schlechthin – da drohten ernsthafte Entzugserscheinungen. Jetzt ist die bloss in einer einzigen Saison gespielte Jürgen-Flimm-Inszenierung von 1999/2000, der Nikolaus Harnoncourt das musikalische Gepräge gegeben hatte, ersetzt worden. Und diesmal stammt auch die Regie von einem Wiener, Michael Sturminger. Wienerischer als die alte ist die neue «Fledermaus» dadurch allerdings nicht geworden. Die hübsche Villa in verspieltem Neubarock, auf die im ersten Bild Schnee rieselt, könnte zwar durchaus in Wien stehen und 1874 erbaut worden sein, im Uraufführungsjahr von Johann Strauss' Operette. Doch wenn uns dann Renate Martin und Andreas Donhauser hinter die Fassade blicken lassen, in den Salon, die Ankleide und das Schlafzimmer des Ehepaars von Eisenstein, wird gleich klar, dass in diesem grossbürgerlichen Haus Leute von heute wohnen.

Blutige Assoziationen

Verdächtig wirkt schon zu Beginn Dr. Falke. Im Frack mit weitem Umhang steht er auf dem Dach der Villa, tippt etwas ins Handy und entschwebt dann flügelschlagend Richtung Bühnenhimmel. Natürlich: Falke war jener Zechkumpan Eisensteins, der einst als Fledermaus verkleidet auf einem Maskenfest erschien. Nun will er späte Rache nehmen am Freund, der ihn damals zum Gespött gemacht hat. Schon erscheint auf dem Balkon Adele, das Stubenmädchen der Eisensteins, und damit beginnt die Intrige. Adele nämlich ist die Empfängerin von Falkes SMS und wird als Erste auf den Ball beim Prinzen Orlofsky eingeladen, zu jenem rauschenden Fest, bei dem sich unter Falkes Regie nach und nach sämtliche Mitspieler mit gefälschten Identitäten begegnen, ausgenommen Rosalindes tenoraler Liebhaber Alfred, der anstelle Eisensteins im Gefängnis sitzt.

Dieses Fest gerät in Sturmingers Inszenierung sehr anders als gewohnt. Zwar ist alles da, was zu einem pompösen Ballsaal gehört: Freitreppe, Kronleuchter, üppiges Dekor, und auch die eleganten Fräcke und Roben fehlen nicht. Doch wirklich festlich wird es nicht. Schwarz herrscht vor, gleich zu Beginn wird ein Sarg herbeigetragen, unheimlich wirken die älteren Herrschaften und der junge Prinz Orlofsky. Wenn am Ende dieses Aktes die Gäste sich aufeinanderwerfen, wird aus dem Verdacht blutige Gewissheit: Nachtschwärmer, Fledermäuse, Blutsauger, Vampire, Dracula, dazu die neurotische Schwermut des Walzerkönigs Strauss – an dieser Assoziationskette reiht Sturminger die Szenen und Figuren auf, bis hin zum Gefängniswärter Frosch, alias Karl Markovics, der als letzter Proletarier mit seinen länglich geratenen Schimpftiraden auf die politischen und ökonomischen Blutsauger eine spezielle Form wienerischer Grantigkeit kultiviert (für die neue Dialogfassung zeichnet der bekannte Schauspieler zusammen mit Sturminger verantwortlich).

Wirklich bedrohlich werden die vom Regisseur beschworenen Nachtmahre aber nicht, höchstens dämpfen sie – beidseits des Orchestergrabens – die Stimmung. Vom zweiten Akt behält man vor allem das Gedränge auf der überfüllten Bühne in Erinnerung. Die Personenführung besteht vorwiegend in permanentem Aktionismus (was die unzähligen «Wackelkontakte» zwischen Solisten und Orchester erklären mag). Dabei scheinen einige Mitwirkende – fast alle in Rollen-Débuts – schon mit den vokalen Anforderungen sehr gefordert zu sein. So Oliver Widmer, der als umtriebiger Eisenstein einen Lebemann helvetischer Provenienz verkörpert, aber auch Christoph Strehl als ausnehmend charmanter Alfred. Während Gabriel Bermúdez sich als Falke stimmlich hörbar nicht in seinem Fach bewegt, wissen Eva Liebau als temperamentvolle, ihren hohen Sopran und ihr Schauspieltalent glänzend zur Geltung bringende Adele und Reinhard Mayr als jugendlicher Gefängnisdirektor Frank ihren «Heimvorteil» als echte Österreicher zu nutzen. Michelle Breedts Orlofsky mag äusserlich zwielichtig erscheinen, vokal setzt die Mezzosopranistin ganz auf wohlgeformte, nicht sehr ausdrucksstarke Töne.

Sein und Schein

Überstrahlt werden sie alle vom glanzvollen, satten und geschmeidigen Sopran Emily Magees, die sich der Rolle Rosalindes auch sprachlich gewachsen zeigt. Das ist das Timbre, das mit dem Orchester am schönsten harmoniert. Denn im Gegensatz zu Sturminger nimmt Franz Welser-Möst das Werk durchaus nicht von der Nachtseite, vielmehr kostet er Strauss' walzerselige Melodien genüsslich aus, stets bedacht auf Transparenz und Weichheit des Klangs, auf fein dosierte Dynamik, auf rhythmische und farbliche Nuancen, was das Tempo gelegentlich etwas bremst. Doppelbödig ist bei ihm allerdings das Spiel um Sein und Schein, jenes ständige Fluktuieren zwischen echtem und vorgetäuschtem Gefühl, das in der minuziös ausgearbeiteten Ouverture bereits seinen Höhepunkt erreicht. So gleicht denn diese neue «Fledermaus» dem Tierchen, das Strauss' Operette den Titel gegeben hat: Sie ist weder Fisch noch Vogel, hat aber, anders als jenes, keine Flügel und Krallen.