Der Tanz der Vampire wurde zum lahmen Kukident-Ballett

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Als ziemlich zahnlosen Tanz der Vampire inszenierte Michael Sturminger Johann Strauss' Meisteroperette «Die Fledermaus» am Samstag im Opernhaus Zürich. Mehr Biss zeigte die Musik.

Es begann schon in der Ouvertüre: Keine Sekunde ausgewalzte Operetten-Madigkeit, sondern kammermusikalisch aufgeladene flirrende Erwartung, quirlige Tempi, und in den angetönten Walzern mehr Versprechen als Rausch. Der Rausch kam später, im Finale vom zweiten Akt zum Beispiel: Magische Walzerstimmungen, gerade nicht laut und lärmig, gerade nicht hingepeitscht oder zur Unkenntlichkeit zerdehnt. Sondern geheimnisvoll und abgründig und mit absoluter Sicherheit im Timing: Franz Welser-Möst in seiner Muttersprache. Warum bloss hat man ihn noch nie das Neujahrskonzert dirigieren lassen?

Das Zürcher Opernorchester spielte bei der Premiere am Samstag noch nicht immer mit letzter technischer Delikatesse, aber servierte mit viel Können, Engagement und hellwa-cher Aufmerksamkeit auch nach den Sprechszenenpausen Johann Strauss' Musik auf dem Silbertablett.

Bieder, brav und ohne Biss

Der Regisseur Michael Sturminger, der zuletzt mit der Uraufführung von HK Grubers «Herr Nordwind» durchaus Fantasie bewiesen hatte, geriet beim Thema «Fledermaus» in einen Blutrausch: Gleich zu Beginn schwebt der Untote über dem Spielzeughaus und verspricht ein besonderes Fest bei Orlofsky. Aber dann wurde es Boudoir und bieder und der Tanz der Vampire zum lahmen Ballett. So viele wunderschön blühende Tänzerinnen-Jungfrauen hatte Sturminger aufgeboten, aber erst kurz vor dem Fall des Vorhangs machte der Dracula-Chor kurzen Prozess mit ihnen. Zu brav, zahnlos, ohne Biss, eine Kukident-Fledermaus, sozusagen.

Das Fledermaus-Sujet mit den Vampir-Mythen zu verbinden ist nicht gerade hochoriginell, aber es wäre sicher dankbar, wenn man es denn wirklich auskosten würde. So viel wunderschöne Zitate und Versatzstücke, das muss doch ein Schlaraffenland sein für einen Regisseur. Aber Sturminger konnte nicht spielen damit, wagte kaum etwas, was über konventionelle Opernregie und Ausstattungstheater hinausging. Alles Parodistische, wenn es denn überhaupt angedacht war, blieb im Ansatz stecken, alles Abgründige oder Dämonische verpuffte im viel zu braven und mutlosen Bilderbuchtheater. Sogar das Orgiastische und Erotische, das nun wirklich zu Orlofskys Fest gehört, blieb Behauptung. Das Stück gäbe wesentlich mehr her. Auch Sturmingers Aktualisierungen im gesprochenen Text, eine der dankbarsten, aber auch anspruchsvollsten Aufgaben eines «Fledermaus»-Regisseurs, blieben meistens recht blutarm und vorhersehbar.

Eva Liebau strahlte

Unter den Sängern strahlte Eva Liebau als Adele: Mit ihren Koloraturen traf sie als Erste ins Schwarze und hatte nun Blut geleckt: Kein Halten mehr gab es in ihrer Schauspieler-Nummer im dritten Akt: Der Höhepunkt des Abends, wie sie als Landei mit herrlich schrägen falschen Tönen, als Königin mit Pathos oder als Pariser Lebedame mit kokettem Charme dem Gefängnisdirektor ohne Beisshemmung den Kopf verdrehte.

Der Einzige, der ihr Paroli zu bieten vermochte, war der Gefängnisdiener Frosch in der Gestalt von Karl Markovics, dem soeben Oscar-gekrönten Schauspieler im österreichischen Film «Die Fälscher». Freilich, eher als Horrorfilm-Parodie legte er die Rolle an, und auch die Erkenntnis, als Kaltblut Frosch wohl immun zu sein gegen die grassierende Dracula-Welle, konnte ihn nicht beruhigen: Wer tut dann alle Arbeit? «Proletarier aller Länder, vereinigt euch - in mir.» Oscar-würdig! Vielleicht bietet ihm Hollywood zur Abwechslung die Rolle des Blutsaugers.

Ein armseliger Stotterer

Eher anämisch blieb der Rest der Besetzung. Emily Magee immerhin bewies stimmlich das Rosalinde-Format. Ihr Csardas war musikalisch die erhoffte Glanznummer. Aber als Figur blieb sie noch zu sehr Behauptung, obwohl sie trotz leichtem amerikanischem Akzent sprachlich mithalten konnte. Auch Oliver Widmer als Eisenstein mit Eisenmangel und Gabriel Bermudez als flügellahmer Dr. Falke holperten mehr durch ihre Rollen, als dass sie mit ihnen spielten. Michelle Breedt als Orlofsky schwitzte Blut, und der Anwalt Martin Zysset war sogar für Operettenverhältnisse ein armseliger Stotterer. Weit besser spielte Reinhard Mayr den besoffenen Gefängnisdirektor, und Christoph Strehl als Alfred gab den tenoralen Liebhaber mit so viel gutmütigem Charme, mit Schmelz und straffen Waden, dass man ihn einfach mögen musste.