Wenn wir Toten erwachen

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Der Champagner fliesst zwar reichlich in dieser neuen «Fledermaus». Aber auch Blut, nämlich an einem transsilvanischen Vampir-Ball. Ob deshalb die Aufführung so blutleer daherkommt?

Wie oft wurde sie schon totgesagt, die Operette, und überlebt hat sie dennoch. Eine Oper quasi im Diminutiv, wo statt grosser Gedanken kurz geschürzte Gefühle den Ton angeben, mehr Anspielung als Spiel. Leicht muss sie sein, mit leichtem Herzen und leichtem Schwung. Was allerdings nicht heisst, dass ihr die Tiefe fehlte. Nur ist diese kunstvoll versteckt, nämlich an der Oberfläche. Darin hat sie, bei aller vorgespielten Wirklichkeitsbezogenheit (mit der sie dann aber recht freizügig umgeht), etwas schwebend Symbolisches. Und vielleicht ist es, um weiter mit Hofmannsthal zu reden, tatsächlich «die Schwäche der jetzigen Menschen, dass sie sie analytisch behandeln und dadurch das Zauberische auflösen».

Zauberisches aber liess sich in dieser Aufführung allenfalls im Orchestergraben ausmachen. Wenn Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst mit leichter Hand dem Sentiment sein Recht (aber nicht mehr) einräumte, wenn er immer wieder auf die verhalteneren Klänge und vielschichtigen Gefühle setzte statt auf das einsilbig Emotionale. Vielleicht tat er da gar zu viel; jedenfalls gelang es auch ihm und dem durchaus stilsicher musizierenden Orchester der Oper Zürich letztlich nicht, den Langatmigkeiten der szenischen Realisation irgendwie Flügel zu verleihen.

Dieser fehlte von allem Anfang an das spielerische Temperament respektive das temperamentvolle Spiel. Das Wiener Bürgerhaus im ersten Bild (Ausstattung: Renate Martin und Andreas Donhauser) war hier gleichsam symptomatisch: grosse Fassade, aber kleine Bürgerlichkeit. Und dazu schneite es herzbewegend. Als wäre die Luft davon schwer geworden, liess sich auch das von Michael Sturminger inszenierte Spiel schwerfällig an. Kein Funke sprang im ersten Akt, nichts wollte zünden.

Im zweiten Akt stiegen Orlofskys Gäste aus schwarzen Särgen nochmals ins Leben: Wenn wir Toten erwachen, Dracula und Konsorten. Statt dass man sich auf die Wangen küsste, biss man sich in die Halsschlagader. Blutsauger waren sie alle, und der Wink mit dem Zaunpfahl war denn auch klar: Genau so saugt die Upper class die Lower class aus. Ein Ball unter Halbtoten der High Society, und vielleicht hat es genau damit zu tun, dass Michelle Breedt in der Rolle des Gastgebers Orlofsky so blass wirkte: sängerisch sicher korrekt, aber kaum mehr.

Zwei Lichtpunkte

Oliver Widmer als Eisenstein und Gabriel Bermúdez als Dr. Falke waren liebenswerte, sängerisch versierte, aber auch etwas harmlose Spassmacher. Christoph Strehl gestaltete einen Alfred, dem man den «Tenor» nicht wirklich abnahm; und Reinhard Mayr als Gefängnisdirektor und Martin Zysset als Dr. Blind (der einmal auch fast mit Dr. Blocher verwechselt wurde) gaben ihren Rollen ungefähr das, was das Klischee so verlangt. Mit Karl Markovics stand zwar ein schauspielerisch potenter Frosch auf der Bühne, aber da er stockbesoffen zu sein hat, konnte er auch nur einen Stockbesoffenen mimen, meistens laut und zunehmend langweilig.

Das alles, möchte man sagen, wäre eine Neuinszenierung wohl kaum wert gewesen - wenn es nicht doch noch zwei Lichtpunkte gegeben hätte. Zum einen Eva Liebau als hinreissend verspielte Adele, die ohne alles Soubrettengehabe, dafür aber mit augenzwinkernder Doppelbödigkeit die «Unschuld vom Land» spielte, und Emily Magee als Rosalinde, resolut in Stimme und Statur, mit herrlich weich gerundetem Timbre und gleichzeitig dramatischer Stimmfülle. Ihr bei ihrem ersten Seitensprung zuzuschauen respektive bei all den Komplikationen und Verwechslungen, die es schliesslich doch nicht so richtig dazu kommen liessen, das machte Spass.