Eine Fledermaus-Inszenierung auf der Suche nach Biss

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Die Operette «Die Fledermaus» von Johann Strauss wird am Opernhaus Zürich in einem ungewöhnlichen, aber nahe liegenden Setting gezeigt.

Dass vorher niemand darauf gekommen ist! «Die Fledermaus», das ist in der Handlung dieser berühmtesten Operette zwar eine Verkleidung, derentwegen der Notar Dr. Falke einst zum Gespött wurde. Und diese Blamage wiederum wird nun zum Auslöser für die Rache eben dieser Fledermaus. Soweit ist die Intrige bekannt. Aber Fledermäuse sind ja auch Vampire, und so sehen wir diesen Dr. Falke eingangs auf einem Dach, nächtlich elegant im Frack und Umhang. Und gleich darauf wird er - eine echte Fledermaus - davonfliegen, ein Vampir auf der Suche nach Blut. Gabriel Bermúdez tut das sehr würdevoll, und wunderschön kann er auch seine Augen ins Weisse verdrehen.

Das hält man zunächst für einen Scherz am Anfang. Warum aber sticht sich denn alsbald der Tenor Alfred (Christoph Strehl) an einer Rose, so dass er sich den blutenden Finger verbinden muss? Warum beharrt Falke so ängstlich darauf, dass jener Ort, an dem er einst der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, nicht Heiligenkreuz, sondern Heiligenblut heisst? Spätestens im zweiten Akt ist allen klar, was hier vorgeht, denn der gelangweilte Prinz Orlofsky (Michelle Breedt) bekommt nun tatsächlich einen Grund für seinen Überdruss: Seit Jahrhunderten schon feiert er, eine Art Dracula, seine Feste, begierig nach jungem Blut. Seine Abendgesellschaft versammelt die Perücken tragenden Untoten, jener in Polanskis «Tanz der Vampire» nicht unähnlich.

Bedrohungen aus der Unterwelt

So zieht Regisseur Michael Sturminger, der die Dialoge stark bearbeitet hat, vom Titel ausgehend eine Blutspur durch «Die Fledermaus» von Johann Strauss. Er baut eine Subebene, eine regelrechte Unterwelt auf und steigert das von der blossen Vorahnung bis zur Gewissheit auf durchaus subtile Weise. Keine Blutorgie wird gefeiert, allenfalls rot verschmierte Münder sind zu sehen; und die Zähnchen blitzen nur selten auf. Eine untergründige Bedrohung also.

Dass der stets betrunkene Gefängniswärter Frosch (ein amphibischer Kaltblütler halt) als Einziger den Blutsaugern widerstehen kann, entbehrt so nicht der Logik. Der an der Neufassung des Textes beteiligte Wiener Schauspieler Karl Markovics, der übrigens im gerade oscargekrönten Film «Die Fälscher» die Hauptrolle spielt, macht ihn zu einer neuen, proletarischen Figur, versieht ihn aber virtuos mit dem alten Witz und den gewohnten Volten gegen die Society.

Das Konzert der Zürcher Neuinszenierung ist neuartig und weit gehend plausibel umgesetzt. Das viel gespielte Stück verträgt eine solche Umdeutung ohnehin problemlos. Bloss: Was geschieht dabei mit der Satire? Das Stück wurde ja damals nach der Uraufführung 1874 sofort in seiner Boshaftigkeit verstanden: «Glaubten die Herren Librettisten, damit Personen unserer hochachtbaren Wiener Bürgergesellschaft diffamieren und der Lächerlichkeit preisgeben zu können?», hiess es im «Wiener Generalanzeiger für die gebildeten Stände». Man erkannte sich in diesem Spiegel. Seither hat man das Stück häufig verharmlost und es zum zwar unmoralischen, aber letztlich versöhnlichen Operettchen gemacht - oder es zur Gesellschaftsgroteske verzerrt.

Aufgemöbelte Fledermaus-Staffage

Und dieses Mal? Seltsamerweise hat diese Inszenierung, wie das Eingangsbild andeutet, fast etwas Märchen-, ja sogar Kinderopernhaftes. Das Stück, wie es das «Opernhaus-Magazin» ankündigt, durch Kostüme und Bühnenbild (verantwortlich für die Ausstattung sind Renate Martin und Andreas Donhauser) in eine Gegenwart zu rücken, gelingt kaum. Wir erleben die alte, etwas modern aufgemöbelte Fledermaus-Staffage. Die eigentliche Intrige aber gewinnt dadurch wenig, nein: Sie verliert konsequenterweise (aus Anämie) an Lebhaftigkeit. Diese Gesellschaft ist ja nicht einmal mehr richtig morbid, sondern untot. Die Sehnsucht nach Lebensfreude, die Dirigent Franz Welser-Möst im Stück entdecken will, dringt kaum durch; die von Sturminger versprochene Melancholie bleibt Statik. Unbeholfen wirkt in vielem die Personenführung, sie hat kein Tempo. Zu unguter Letzt hatte die Regie den Einfall, Theater im Theater zu betreiben. Die Sänger wenden sich ans Publikum, so Rosalinde, indem sie die Damen im Parkett auf die Nervosität vor dem ersten Seitensprung hinweist. Und der wunderschöne Csárdás wird zu einer Primavista-Übung der Rosalinde degradiert. Das wirkt aufgesetzt, und vor allem, es hemmt: Das Stück kommt nicht auf Touren.

Kein musikalischer Drive

Gewiss haben wir hier ein sicheres Ensemble beisammen. Am erfolgreichsten schlägt sich Eva Liebau als Kammerzofe Adele. Emily Magee (Rosalinde) singt kraftvoll, aber bei Csárdás kommt sie erst spät ins Feuer. Oliver Widmer als Eisenstein, Reinhard Mayr als Gefängnisdirektor Frank, Martin Zysset als stotternder Advokat: Sie singen und spielen engagiert, aber so richtig zu begeistern vermögen sie an diesem Abend nicht. Am markantesten schliesslich ist das Fehlen des musikalischen Drives. Franz Welser-Möst, der doch schon auf 2010 als künftiger Generalmusikdirektor an die Wiener Staatsoper bestellt ist, entwienert das Stück geradezu; er nimmt es zwar nicht langsam, aber ohne Schwung und Charme. Es gibt schöne Details, die er mit den Musikern des Opernhausorchesters herausschält, er hatte etwas im Ohr, das er umsetzen wollte, und doch wirkt das Ganze seltsam blass, unrhythmisch und blutarm. Kein musikalisches Tollhaus ist hier zu erleben. Die Melodien wollen sich an diesem Abend nicht im Kopf festbeissen, nein: Bisse bleiben eine blosse Andeutung.