Wenn der Maestro den Ton angibt

Alfred Zimmerlin, Neue Zürcher Zeitung (11.09.2006)

Gianni Schicchi, 09.09.2006, Zürich

Einakter von Puccini und Wolf-Ferrari mit Nello Santi im Opernhaus Zürich

Dramatisch beginnt die Musik aus dem Orchestergraben zu sprechen und das Bühnengeschehen mit ihren kleinen Fingerzeigen hintersinnig zu bestimmen und aufzuschlüsseln. Wenn Nello Santi Giacomo Puccinis einzige komische Oper, die genialische einaktige Erbschaftskomödie «Gianni Schicchi», dirigiert, kommt gerade diese Qualität der Musik in grossem Ausmass zum Tragen. Vom ersten bis zum letzten Ton ist die Partitur durchgestaltet, ausgehört darauf, was sie der Bühne bringt. Ironie wird wohldosiert und mit einem Raffinement sondergleichen eingesetzt.

Vergnüglicher Erbschaftsstreit

Einmalig die Szene der stummen Lesung des Testaments. Phantastisch, wie Santi die Turbulenzen bei der Suche nach dem Testament oder bei der Verfolgungsjagd am Schluss plastisch und handfest, aber immer durchsichtig darstellt. Wie er den Klang des Orchesters der Oper Zürich zum Blühen bringt und die Sängerinnen und Sänger stützt. Maestro Nello Santi kann demnächst seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag feiern. Seit 1958 hat er in jeder Spielzeit am Opernhaus Zürich mindestens zwei, meist aber vier bis sechs Opern dirigiert. Er ist ein profunder Kenner des italienischen Repertoires, und das ist zu spüren. Zu seinem Geburtstag gab es nun im Opernhaus Zürich die Premiere von «Gianni Schicchi», gepaart mit Ermanno Wolf-Ferraris kurzem Intermezzo «Il segreto di Susanna».

Nello Santi und der künstlerische Betriebsdirektor der Zürcher Oper, der Regisseur Grischa Asagaroff, sind nach zahlreichen gemeinsamen Unternehmungen ein eingespieltes Team. Ihnen geht es nicht darum, ein Stück neu zu lesen, sondern es so bühnenwirksam wie möglich im Sinne des Autors (und meist auch der Entstehungszeit) zu realisieren. Asagaroff reagiert mit Phantasie in der Personenführung, vielen witzigen Details und Pointen auf Santis Sicht der Partituren und übersetzt sie gleichsam auf die Bühne, ohne aber allzu viel zu verdoppeln. So erhält seine gelungene Inszenierung des «Schicchi» einen Sog, der einen von Anfang an packt und keinen Augenblick loslässt.

Die Bühne und die Kostüme hat Luigi Perego entworfen, ein anderer langjähriger Vertrauter des Teams. Im Hintergrund ist das Panorama von Florenz zu sehen. Das Interieur, in dem die Handlung spielt, ist mit zeitlosen Antiquitäten möbliert und erinnert an die Epoche des Geschehens, die Renaissance, während die Kostüme eher an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert anzusiedeln sind. Hier weinen die Erben des soeben verstorbenen Buoso Donati ihre falschen Tränen, entdecken sie die Tatsache, dass Donati sie enterbt hat, und jagen einer betrügerischen Lösung nach. Der verliebte Rinuccio (Fabio Sartori) schmachtet mit schönem, hellem Tenor. Und der als geckenhafter, ältlicher Dandy gekleidete Schlaumeier Gianni Schicchi, Vater von Lauretta, dem Objekt von Rinuccios Sehnen, findet die Lösung des Problems und holt sich ein hübsches Startkapital für die beiden Verliebten heraus. Grandios, wie Leo Nucci diesen Schicchi spielt und sängerisch gestaltet - eine Rolle, die ihm auf den Leib geschrieben scheint. Wunderbar auch der Verein der Erben, unter anderen mit Cornelia Kallisch (Zita), Margaret Chalker (Nella), Giuseppe Scorsin (Simone) oder Peter Keller (Gherardo).

Blauer Dunst

Adriana Marfisi gibt der Lauretta mit leicht geschärfter Stimme weniger Sinnlichkeit als Kindlichkeit. Sie, die Tochter Nello Santis (vgl. NZZ 7. 9. 06), ist im ersten Teil des Abends die heimlich mit Lust rauchende Contessa Susanna in Ermanno Wolf-Ferraris «Segreto di Susanna», einem sich auf Pergolesis «La Serva Padrona» beziehenden Dreipersonenstück. Eine grosse Rolle, die sie auf sympathische Weise dem Publikum nahe bringt. Ihr zur Seite stehen der alle Register seines Könnens bestens präsentierende eifersüchtige Paolo Rumetz als Conte Gil und Timo Schüssel, der den stumm agierenden Diener Sante herrlich verschmitzt gibt. Hier begegnen wir einem Jugendstil-Interieur, im selben Halbrund angeordnet wie danach die Bühne des «Schicchi». Der Vorhang zeigt das Design einer bekannten Zigarettenpapierchen-Marke. Wolf- Ferraris Intermezzo hat leider ein in seiner Substanz mehr als bescheidenes Libretto: pure, dramaturgisch nicht einmal geschickt aufgebaute Unterhaltung.

Wenn da nicht die reizvolle Musik - und Santis Dirigat - wären. Denn die Partitur glänzt mit Einfallsreichtum und Witz, schon in der Ouverture. Die Musik geht leicht ins Ohr, man erfreut sich daran - und kann sie am Ende wieder loslassen. Delikat, wie der Komponist bei Susannas Arie, wenn sie den Genuss des blauen Dunstes preist, die Orchesterfarben mit Solovioline, Harfe und Celesta mischt. Grischa Asagaroff zeigt auch hier eine ausgesprochen witzige Personenführung. Und er legt den Keim für etliche Gags, die er danach im «Schicchi» genüsslich zelebriert. «Il segreto» ist ein hübscher, amüsanter Werbespot für das Rauchen. Konsequenterweise ist am Schluss auch auf der Übertitel-Projektion zu lesen: «Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit».