Gefahr, hinausgeworfen zu werden

Christian Berzins, Aargauer Zeitung (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

«Die Fledermaus» von Johann Strauss erhält durch Regisseur Michael Sturminger ein Pseudokorsett: Der Abend demaskiert das «System Pereira».

«Herr Direktor, das wäre etwas für Ihre Oper: Jeder der sich langweilt, wird hinausgeworfen!» Eisenstein ruft den Satz zur Direktionsloge hoch, zu Alexander Pereira -- der innere Pereira-Kreis schlägt sich mit der Hand aufs Knie. Schade, ist der Direktor nicht auch Gast beim ausgelassenen Fest des Prinzen Orlofsky, er würde bestens in die Szenerie passen. Wir sind in Johann Strauss' Operette «Die Fledermaus» -- ein Heidenspass ist das. Die neu eingebauten Witze zeigen das Niveau: Nachdem die «Ungarin» (Emily Magee) Eisensteins Uhr geklaut hat, sagt er über sie: «Ich hätte mehr auf Polen getippt.»

Man könnte über solcherlei Plattheiten hinweghören, wenn wenigstens das Original flott über die Bühne sausen würde: Doch die Hilflosigkeit der Protagonisten ist blamabel. Um von den Schwächen abzulenken, wird von Regisseur Michael Sturminger eine Pseudohandlung eingeführt: Doktor Falke, der sich für eine drei Jahre zurückliegende Schmach rächen will, tut dies als blutsaugender Vampir auf Orlofskys Dracula-Schloss. Wer nicht sehr achtgibt, wie etwa der Wiener in Reihe elf, merkt davon nichts, und schnarcht vor sich hin.

Wie wenig der Abend fertig einstudiert ist, zeigt sich in vielen Details. Oliver Widmer (Gabriel von Eisenstein) zückt sein Damenührchen erst, nachdem ihm das Orchester längst signalisiert hat, dass es dafür Zeit gewesen wäre. Der Schweizer Bariton hat es sowieso schwer: Weder das Österreichische, das zum Teil gesprochen wird, liegt ihm auf der Zunge, noch das professionelle Bühnendeutsch. Am schlimmsten wirkt sich das im französischen Dialog mit «Chevalier Chagrin» (Richard Mayr) aus. Obwohl wir auf eine deutschsprachige Bühne schauen, stehen dort neben Deutschen eine Amerikanerin, ein Spanier und eine Mexikanerin, die den genuinen Operetten-Sprachfluss empfindlich stören. Eva Liebau als österreichisch sprechende Adele fällt geradezu positiv aus dem Rahmen.

Für diese billige Unfertigkeit zwischen 45 und 320 Franken zu verlangen, ist kühn beziehungsweise die Folge des perfektionierten «System Pereira»: Warum nach acht Jahren wieder eine neue «Fledermaus» (die dritte in Pereiras Intendanz)? Pereira sagt, dass die Zürcher Neues sehen wollen. Vielleicht hat er damit Recht. Dumm nur, sieht diese «Fledermaus» aus, als wäre sie 20 Jahre alt. Der Grund für die Neuinszenierung liegt in der vermeintlichen Stärke Pereiras: Teufelskreis Sponsorengeld. Pereira erhält es bloss für Neuproduktionen -- und nur damit kann er sein eigenes Konto anwachsen lassen. Kein Wunder sagt Pereira immer wieder: «Zürich ist die beste meiner Welten.» Ex-Operndirektor Claus Helmut Drese hat vor kurzem über Zürich in dieser Zeitung gesagt: «Der Betrieb ächzt und stöhnt; er wird auf eine tiefere Premierenzahl zurückgedreht werden müssen. Wer auch immer das Haus übernimmt, ist gezwungen, ein strukturveränderndes System zu finden.»

Eine Änderung ins Leere steht schon im September an, fehlt dem Haus dann nämlich ein Chefdirigent -- oder zaubert ihn noch jemand aus dem Hut? Pereira will offenbar keinen: Warum auch jemanden ans Haus holen, der ihm Vorgaben machen könnte, wie das der tapfere Franz Welser-Möst gemacht hat? Welser-Möst hat die Konsequenzen aus dieser One-Man-Show gezogen, wird wegen Pereira das Haus in vier Monaten Richtung Wien verlassen. Jetzt studiert er noch zwei Werke neu ein, die ihn später an der Staatsoper beschäftigen werden.

Was sein Opernhausorchester in der Ouvertüre an sehnsuchtsvollem Klang, kombiniert mit einem nüchternen Zug nach vorne, erreicht, ist famos. Nie wird die Musik bei Welser-Möst schnulzig, immer bleibt eine Spur stolze Eleganz. Auch später empfiehlt es sich, mehr ins Orchester hineinzuhören als dem Geblödel auf der Bühne Beachtung zu schenken: Der Detailreichtum verblüfft. Doch eine «Fledermaus» kann nur Wirkung zeigen, wenn Bühne und Graben eins werden, wenn die Dialoge in die Musik überfliessen. Das gelingt nicht.

Fazit? Sollte Pereira umsetzen, was ihm Eisenstein vorschlug, werden sich die Reihen im in den nächsten Tagen schnell leeren.