Fast ein Tanz der Vampire

Herbert Büttiker, Der Landbote (31.03.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Doktor Falke schwebt über das Haus der Eisensteins: Im Opernhaus ist «Die Fledermaus» transsilvanisch angehaucht – und doch vergnüglich harmlos. Das Vampirgebiss ersetzt den satirischen Biss und behindert die schönen Stimmen nicht.

Grosse Garderobe, grosse Ausstattung, Champagnergläser im Mittelakt, häuslich ehrbare Fassade im ersten, schmuddeliges Gefängnis und Katerlaune im dritten: So kennt man die «Fledermaus» und so erlebt man sie jetzt auch im Opernhaus Zürich wieder: Opulent und souverän inszeniert, vier Bilder allein für den ersten Akt – das Haus aus Gründerzeiten von aussen, modern möblierter Salon, Baderaum in Marmor, gestyltes Schlafzimmer –, im zweiten aller barocke Schwulst von Palastkulissen, im dritten der kantige Beton eines heutigen Gefängnisses (Renate Martin, Andreas Dornhauser).

Trotzdem ist alles ein wenig anders. Denn: Dialogfassung von Michael Sturminger (der Regisseur der Neuinszenierung) und Karl Markovics (Gefängniswärter Frosch) steht auf dem Programmzettel, und das heisst so viel wie: Achtung, Blutsauger am Werk! Ihre «Fledermaus» hat das Zeug zu einem Tanz der Vampire – nur ist leider das Ballett dazu gestrichen. Sonst aber ist alles da: Prinz Orlofsky als Fürst der Dunkelheit, Doktor Falke als sein dienstbarer (Un-)Geist und als grosse Chorparade die Party der bleichen Gesichter in der schwarzen Ausstattung. Nur um Adeles Hals funkelt der Schmuck furchtbar rot, und auch Rosalindes Inkognito als ungarische Gräfin im blutroten Kleid lässt ein Verwandlung der anderen Art erahnen. Kein Wunder, hat dann das Finale des dritten Aktes etwas Blutsaugerisches.

Eine eigene Sicht auf die gierige Spezies im Frack hat der Gefängniswärter, der als «real existierender Frosch» zur gesellschaftspolitisch tiefschürfenden Erkenntnis gelangt: «Proletarier aller Länder vereinigt in mir!» – Die Figur mit all ihren vertrauten und immer wieder köstlichen Kalauern und Running Gags erhält mit Karl Markovics ein völlig neues Gesicht – und bleibt doch, Slibowitz sei Dank, die alte. Das gilt für die Inszenierung insgesamt: Bei allem Vampirismus und Treiben der Untoten bleibt es doch bei der vertrauten «Fledermaus«und den unsterblichen Figuren von Straussens Gnaden. In deren Adern fliesst mehr Champagner als Blut: letztlich ein sicherer Schutz wie Kreuz und Knoblauch.

Das alles ist schön gedacht, schön gemacht, zum Glück nicht tierernst gemeint und blutleer schon gar nicht. Und da ist ja auch die Musik. Franz Welser-Möst spürt ihrem geschmeidigen Charme fast akribisch nach, treibt ein subtiles Spiel mit ihren rhythmischen Energien und pflegt die klanglichen Valeurs. Das Zusammenspiel mit der Bühne gestaltet sich dabei nicht immer mit lockerer Selbstverständlichkeit. Ein bisschen mehr spontaner Biss könnte dem Fledermaus-Personal zuweilen nicht schaden. Aber es steht mitten im Leben, in dem die Musik pulsiert, und agiert klangvoll.

Mit goldener Stimme gibt Emily Magee eine recht seriöse Rosalinde, hintergründig im Ineinander von echtem und falschem Pathos. Damit fasziniert sie ebenso wie mit dem souverän gesungenen Csárdás, der nur von der Inszenierung her zu brav aufgezogen ist. Die grosse Abräumerin des Abends ist aber ohnehin Eva Liebau, deren Adele nun wirklich mit allen Wassern einer perfekten Stimme und darstellerischen Durchtriebenheit gewaschen ist. Sogar im Falschsingen («Spiel ich die Unschuld vom Lande») ist sie unübertrefflich. Hervorragend auch Michelle Breed, die den unfassbaren und düsteren Prinzen Orlofsky mit präziser Gestik und irritierendem Augenspiel ins Vampirische zieht. Rollengerecht etwas nebenbei rundet Rebeca Olvera, die Repräsentantin der viel beschworenen Ballettratten, das Team der Frauen ab.

Im Vergleich verdienen die Männer, die immer mal wieder ohne Hosen dastehen, das Attribut fade – und das ist hier durchaus ebenfalls rollengerecht. Schön dass Christoph Strehl nicht die schmalzige «Alfredo»-Charge bedient, sondern mit seinem feinen Tenor einen eigenen Typ entwickelt, in sich versponnen, draufgängerisch nur im Griff zur Flasche. Auch Oliver Widmers Eisenstein ist in seiner spröden Art eine neue Figur, nicht der Operettenlebemann, sondern der Büromensch, ein mürrischer Langweiler, aber zum Lachen. Das gilt ähnlich für Reinhard Mayr als Gefängnisdirektor Frank und für Martin Zysset als Doktor Blind. Da braucht es wirklich den Intriganten mit den scharfen Zähnen, den Gabriel Bermudez als Doktor Falke wendig und eben flugtauglich gibt.