Ein Ball unter Halbtoten

Werner Pfister, Basler Zeitung (01.04.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

Opernhaus Zürich: Michael Sturminger inszeniert «Die Fledermaus» von Johann Strauss

Der Champagner fliesst reichlich in dieser neuen «Fledermaus». Aber auch Blut, nämlich an einem transsilvanischen Vampir-Ball. Ob es damit zusammenhängt, dass die Aufführung so blutleer daherkommt?

Wie oft wurde sie schon tot gesagt, die Operette, und überlebt hat sie dennoch, eine Oper quasi im Diminutiv, wo statt grosser Gedanken kurzgeschürzte Gefühle den Ton angeben, mehr Anspielung als Spiel. Leicht muss sie sein, mit leichtem Herzen und leichtem Schwung. Dieser aber liess sich in der neuen Produktion am Opernhaus Zürich allenfalls im Orchestergraben ausmachen, wenn Generalmusikdirektor Franz Welser-Möst mit leichter Hand dem Sentiment sein Recht (aber nicht mehr!) einräumte, wenn er immer wieder auf die verhalteneren Klänge und vielschichtigen Gefühle setzte statt auf das einsilbig Emotionale. Vielleicht tat er da gar etwas zu viel; jedenfalls gelang es auch ihm nicht, den Langatmigkeiten der szenischen Realisation irgendwie Flügel zu verleihen.

Dieser fehlte von allem Anfang an das spielerische Temperament. Das Wiener Bürgerhaus im ersten Bild (Ausstattung: Renate Martin und Andreas Donhauser) war hier gleichsam symptomatisch: grosse Fassade, kleine Bürgerlichkeit. Und dazu schneite es herzbewegend. Nur schwerfällig liess sich das von Michael Sturminger inszenierte Spiel an; kein Funke sprang im ersten Akt, nichts wollte zünden.

Halbtote. Im zweiten Akt stiegen Orlofskys Gäste aus schwarzen Särgen nochmals ins Leben: Wenn wir Toten erwachen, Dracula und Konsorten. Blutsauger waren sie alle, und der Wink mit dem Zaunpfahl war denn auch klar: Genau so saugt die Upper class die Lower class aus. Ein Ball unter Halbtoten der High Society, und vielleicht hat es genau damit zu tun, dass Michelle Breedt in der Rolle des Gastgebers Orlofsky so blass wirkte: sängerisch sicher korrekt, aber kaum mehr.

Oliver Widmer als Eisenstein und Gabriel Bermúdez als Dr. Falke waren liebenswerte, sängerisch versierte, aber auch etwas harmlose Spassmacher. Christoph Strehl gestaltete einen Alfred, dem man den «Tenor» nicht wirklich abnahm; und Reinhard Mayr als Gefängnisdirektor und Martin Zysset als Dr. Blind (der einmal auch fast mit Dr. Blocher verwechselt wurde) gaben ihren Rollen ungefähr das, was das Klischee so verlangt. Mit Karl Markovics stand zwar ein schauspielerisch potenter Frosch auf der Bühne, aber da er stockbesoffen zu sein hatte, konnte er auch nur einen Stockbesoffenen mimen, meistens laut und zunehmend langweilig.

Lichtblicke. Das alles wäre eine Neuinszenierung wohl kaum wert gewesen – wenn es nicht Eva Liebau als hinreissend verspielte Adele gegeben hätte, die ohne Soubrettengehabe mit augenzwinkernder Doppelbödigkeit die Unschuld vom Land spielte, sowie Emily Magee als Rosalinde, resolut in Stimme und Statur, mit herrlich weich gerundetem Timbre und gleichzeitig dramatischer Stimmfülle. Dieser Rosalinde bei ihrem ersten Seitensprung zuzuschauen respektive bei all den Komplikationen und Verwechslungen, die es schliesslich doch nicht so richtig dazu kommen liessen, das machte Spass.