Tanz der Vampire

Torbjörn Bergflödt, Südkurier (01.04.2008)

Die Fledermaus, 29.03.2008, Zürich

"Ich versuche es traditionell modern!", antwortet Notar Falke auf die Frage, wie er das vielgespielte Stück "Die Rache der Fledermaus" anlegen wolle. Für den Gastgeber des Balls, den Prinzen Orlofsky, bedeutet dies den Versuch, "es allen recht zu machen". Die Stelle aus der ungeniert freien Dialogbearbeitung des Librettos durch Regisseur Michael Sturminger verweist selbstironisch auf die Inszenierung. Sie bedeutet freilich eine ziemlich genaue Diagnose dessen, was Sturminger und sein Ausstatter-Duo Renate Martin und Andreas Donhauser mit der als Nonplusultra des Genres gehandelten Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß Sohn auf der Bühne des Opernhauses Zürich angestellt haben. Wenn dann Sturminger Orlofsky auch gleich schon die Langeweile-Alarmglocke ziehen lässt, darf hier allerdings widersprochen werden. Der Abend ist oft witzig gemacht. Das Inszenierungs-Team findet einen gangbaren Weg zwischen den Fährnissen von zopfigem Operettenamüsement und bemüht Abgründe aufreißen wollendem Regietheater-Murks. Grundlegend neue Einsichten in das Werk ergeben sich freilich keine.

Sturminger verpasst dem Dreiakter immerhin einen Dreh, indem er das titelgebende Tier zum Vampir schärft. Als Nutztier der Filmbranche gut eingeführt, lässt der Regisseur Gabriel Bermudez als Notar Falke, der die Rache-Intrige gegen Eisenstein steuert, filmreif vom Dach der Eisensteinschen Villa gen Schnürboden wegfliegen. Bleich im Gesicht, das Kinn vorgereckt und die Augen verzückt verdreht, lauert Falke-Bermudez in der Folge wie Graf Dracula immer wieder über Nahrung versprechenden Halsschlagadern.

Der Tenor Alfred blutet sich wund an Rosen, die auf dem Souffleurkasten blühen; Eisenstein schneidet sich bei der Rasur: Das Motiv Blut wird mehrfach ins Libretto eingeschleust. Auf dem Ball im zweiten Akt, der als eine nachtschwarze Gothic Party ausgestattet ist, blecken Gäste ihre Vampirgebisse, und am Ende hat das transsylvanische Fieber alle erfasst. Das Thema gibt auch noch etwas Passendes her für eine gesellschaftskritische Attacke des Gefängniswärters Frosch gegen licht- und arbeitsscheues Blutsauger-Gesindel.

Flink auf Neues hin sich öffnend, zeigt die Bühne manche Dekorationsversatzstücke aus der Operettenwelt, derweil die Kostüme etwas großbürgerliche Grandeur zitieren. Nicht nur, weil Adele die Einladung zum Ball per SMS erhält, Frosch in der Pendlerzeitung liest oder der Name "Blocher" fällt, werden die Figuren als Menschen von heute erkennbar. Und der Ball ist eigentlich ein Opernball des Sponsoren pflegenden Orlofsky (alias Pereira). Jokes können auch mal in Richtung direktorialer Loge oder zum Dirigenten hin entsandt werden. Nicht jede Pointe an diesem Abend zündet.

Oliver Widmer als Eisenstein verfügt nicht nur über einen warm timbrierten Bariton, sondern beweist einmal mehr sein komödiantisches Spieltalent. Von Emily Magee in ihrem Rollendebüt als Rosalinde ist ein gut ansprechender Sopran zu hören. Die vergleichsweise ausgedehnten Sprechpartien lassen freilich den amerikanischen Akzent durchhören. Akzentfreiheit kann auch Gabriel Bermudez nicht für sich beanspruchen, was aber bei der verrätselten Beschaffenheit seines Doktor Falke weniger ins Gewicht fällt.

Erstaunlich, wie Bermudez seine Figur drakulös anzulegen vermag. Besonders herzlich applaudierte das Premierenpublikum Eva Liebau, die dem Stubenmädchen Adele mit Aspiration auf Höheres eine vital durchpulste Soubrettenleichtigkeit lieh. Christoph Strehl überzeugte als tenoraler Liebhaber Alfred. Michelle Breedt war ein androgyn schillernder Orlofsky. Reinhard Mayr legte die in der Partie des Gefängnisdirektors Frank geborgenen Komik-Kräfte frei. Der hochprozentigem Slibowitz zusprechende Frosch von Karl Markovics hätte einem Vampir wohl nur noch ein paar Promille Blut zu saugen gelassen. Martin Zysset war ein pointensicherer Advokat Doktor Blind. Ernst Raffelsberger hat den Chor überzeugend präpariert.

Nikolaus Harnoncourt hat wiederholt plädiert für einen Johann Strauß ohne allzuviele "Schmähs", will heißen: ohne zu dick aufgepflästerte Dialektraffinessen. Dieses Bemühen, Strauß nicht an billige Effekte zu verraten, wurde jetzt auch bei Franz Welser-Möst hörbar. Der Dirigent hielt die Partitur frei von Sentimentalitäten. Der Vergleich mit einer Liveaufnahme mit den Berliner Philharmonikern unter Harnoncourt von vor bald zehn Jahren offenbart immerhin, dass Welser-Möst sich in der Ouvertüre denn doch etwas stärkere Ritardandi gönnt und, im Walzertakt, ein engeres Heranziehen des zweiten Schlags an den ersten.