Der «Freischütz» trifft das Publikum mitten ins Herz

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (14.04.2008)

Der Freischütz, 12.04.2008, St. Gallen

Carl Maria von Webers romantische Oper «Der Freischütz» wurde am Samstag in St. Gallen zu einem Saisonhöhepunkt. Eine beeindruckende Inszenierung, ein kompaktes, tadelloses Sängerensemble und viel orchestrale Delikatesse.

Fast ist die Welt wieder in Ordnung am Ende dieses St. Galler «Freischütz»: Agathe lebt, Kaspar tot, die Schrift an der Wand «Auf G ... vertraut, gut gebaut» ist von Kuno ergänzt worden. Bloss das zweite «t» hat er verkehrt herum aufgehängt: Das verkehrte Kreuz, ein Symbol des Teufels.

Und so stehen sich auch Samiel und der Eremit am Schluss auf der leeren Bühne im Theater St. Gallen gegenüber: Protagonisten im ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, der diesmal in letzter Sekunde für die Guten ausgegangen ist, und dies, obwohl bei ihm Samiel, der Böse, viel Raum und viel Text (von Steffen Kopetzky) erhält. Die übrigen Sprechtexte aktualisierte der Regisseur Anthony Pilavachi selbst.

Weisse Hirsche, dunkle Dämonen

In der St. Galler Inszenierung von Carl Maria von Webers romantischer Oper «Der Freischütz» ist der deutsche Wald Protagonist des Bühnenbilds von Bettina Neuhaus. Weisse Hirsche prägen die Dekors, sogar das Bett von Agathe zieren weisse Geweihe. Aber das Böse, Abgründige, die Welt Samiels und Kaspars ist nicht weit, lauert schon hinter den Wänden, die unversehens zur Seite gleiten und die Dämonenwelt hinter der Fassade offenbaren. Immer wieder greift Samiel selbst ins Geschehen ein, ohne dass er von den Menschen gesehen werden könnte. Faszinierend, wie der Schauspieler Christian Hettkamp diese starke Figur verkörpert: Das Böse erhält regelrecht Grandezza und die kunstvollen Kostüme von Cordula Stummeyer tun ihr Übriges dazu. Kein Wunder, braucht es das Theaterwunder, um ihm seinen Triumph streitig zu machen.

Liebevolle Aufmerksamkeit

Regisseur Pilavacchi hat aber nicht nur diese Ebene der grossen Auseinandersetzung mit einer wirklich eindrucksvollen Wolfschlucht-Szene in St. Gallen auf die Bühne gebracht. Auch die kleinen alltäglichen Gesten und Aktionen sind ihm viel Mühe und liebevolle Aufmerksamkeit wert, womit er eine sehr detaillierte, personenbezogene, immer ereignisreiche und oft witzige Inszenierung geschaffen hat, die auch klar aufzeigt, wie die Mechanismen von Ausgrenzung und Herdentrieb funktionieren, die schliesslich zum fast verhängnisvollen Pakt mit dem Teufel führen.

Auch musikalisch liegt diese St. Galler Produktion in guten Händen: Jiri Kout stand zum letzten Mal als Chefdirigent bei einer Opernpremiere am Pult in St. Gallen. Entsprechend viel Herzblut legte er in eines seiner Lieblingsstücke, und das Orchester zog mit: Von den Solobläsern bis zum Streichertutti herrschte Engagement, Disziplin und Können. Kout blieb in seiner Interpretation in der Mitte: Weder zu viel Volkstümlichkeit noch zu viel getragene Romantik. Hautpsächlich pflegte er einen kammermusikalisch durchsichtigen, aus den leisen dynamischen Regionen aufblühenden Orchesterklang, der viel Stilgefühl und klangfarbliche Finesse bewies.

Bestechendes Ensemble

Mit seiner Art liess Kout auch die Solisten nicht im Regen stehen. Im insgesamt überzeugenden Ensemble gab es keinen einzigen Ausfall. Thomas Mohr war ein umfassend prägnanter Max mit schönen lyrischen Linien und strahlenden Höhen. Ralf Lukas als Caspar stand ihm kaum nach, füllte die dunkle Figur mit vibrierender Kraft und einer potenten Stimme. Astrid Weber als Agathe war szenisch wie stimmlich die perfekte Chiffre von Unschuld und Reinheit, aber wusste auch die Unruhe und Besorgnis ihrer Figur sehr überzeugend über die Bühne zu bringen. Quirlig und locker sang Evelyn Pollock ihre Freundin Ännchen. Aber auch der Eremit von Tijl Faveyts bewies sowohl stimmlich wie darstellerisch Würde und Grösse.