Zwischen Bonsai-Rambo und Travolta-Parodie

Irene Widmer, Die Südostschweiz (28.04.2008)

Il Barbiere di Siviglia, 26.04.2008, Bern

Begeisterten Applaus hat am Samstag Mariame Cléments Inszenierung von Gioacchino Rossinis «Il Barbiere di Siviglia» im Stadttheater Bern geerntet: sanft modernisiert, witzig und mit hervorragenden Akteuren.

Der beste Interpret ist zugleich der unauffälligste: Robin Adams wirkt als Figaro in der Berner Inszenierung von Gioacchino Rossinis «Il Barbiere di Siviglia» wie der gute Kumpel von nebenan. Mit Lederjacke, Dreitagebart und selbstgedrehten Zigaretten kauft man ihm den «Alleskönner», das Faktotum, sofort ab. Und es ist eine Wohltat, dass er im Gegensatz zu den übrigen Figuren nicht so buffo-mässig chargiert.

Wie man weiss, kann man sich auf Figaros Problemlösungsstrategien verlassen - sofern seine kleinen grauen Zellen mit hinlänglich Barem geschmiert werden. Das werden sie vom Grafen Almaviva, den Figaro beim nächtlichen Pinkeln an die Hausmauer kennen lernt. Der Adlige liebt Rosina, kommt aber nicht an sie heran, weil ihr Vormund, der alte Bartolo, sie ihres Geldes wegen einsperrt und zu heiraten gedenkt. Figaro weiss Rat: Da gerade Militär in der Stadt ist, soll der Graf als Soldat verkleidet bei Bartolo und Rosina sein Recht auf Einquartierung einfordern. Das geht leider schief.

Ein zweiter Versuch als angeblicher Stellvertreter des Musiklehrers erlaubt Almaviva immerhin, sich mit der Angebeteten zur gemeinsamen Flucht zu verabreden. Das geht dann nur noch beinahe schief - das Ende ist bekanntlich glücklich.

Arie unter Schmerzensschreien

Im Berner «Barbiere» bekommen die Lachmuskeln reichlich zu tun. Wenn sich beispielsweise Rosina die Beine mit Kaltwachs enthaart und die Koloraturen ihres «Una voce poco fa» punktgenau mit Schmerzensschreien synchronisiert, ist das umwerfend komisch. Auch dass Almaviva als Soldat wie ein Bonsai-Rambo aussieht und als Musiklehrer wie ein «Saturday Night Fever»-Travolta, wirkt lustig.

Zu lachen gab sogar das Bühnenbild von Julia Hansen - überhaupt ein Highlight. Hansen hat einen drehbaren, vierfach aufklappbaren Haus-Kubus mit einigen raffinierten Details angereichert, etwa mit einer Drehbühne in der Drehbühne oder mit Möglichkeiten des Perspektivenwechsels. Erklären lässt sich das fast nicht, das muss man gesehen haben.

Hommage an «Kaktusblüten»-Film

Clément hat neben eher gröberen Scherzen wie der Beinenthaarung und der Travolta-Kopie auch feinere Querbezüge ausgelegt, beispielsweise eine versteckte Hommage an den Film «Kaktusblüte» von Gene Saks (1969). Wie damals Walter Matthau ist auch Bartolo ein Zahnarzt, der eine wesentlich jüngere Frau umwirbt. Aus seiner Haushälterin Berta hat Clément eine Sprechstundenhilfe gemacht - in «Kaktusblüte» war es Ingrid Bergman. Deren seltsames Tänzchen aus dem Film taucht im «Barbiere» auf während des wunderbaren Quintetts am Ende des ersten Akts.

Ein spielfreudiges und stimmkräftiges Rudel setzt alles aufs Schönste um. Besonders Claude Eichenberger überzeugt als Rosina, wenn man sie sich auch vielleicht zeitweise etwas mädchenhafter gewünscht hätte. Mit dem erst 26-jährigen Tenor Alexey Kudrya als Almaviva hat das Stadttheater ausserdem einen Gast mit einem aussergewöhnlich klaren, frischen Tenor engagiert. Von ihm wird man noch viel hören.