Ein Tänzchen gefällig mit Rambo?

Maria Künzli, Berner Zeitung (28.04.2008)

Il Barbiere di Siviglia, 26.04.2008, Bern

Liebestoller Graf trifft entfesselten Zahnarzt: «Il Barbiere di Siviglia» feierte am Samstag im Stadttheater Bern Premiere. Mariame Cléments Inszenierung sprüht vor witzigen Ideen – und lebt von einem grossartigen Ensemble.

Ein klapperndes Gebiss hier, ein rasierter Teddy dort, ein viriles Pinkeln da: Die französisch-persische Regisseurin Mariame Clément ist die Königin der witzigen Details. Ihre Interpretation von Rossinis Oper «Il Barbiere di Siviglia», die am Wochenende im Stadttheater Premiere feierte, ist ein Funken sprühendes und fantasievolles Ereignis.

Listiger Helfer

Im Zentrum des Geschehens auf der Bühne steht ein beigefarbenes quadratisches Haus (Bühne: Julia Hansen). Es ist das Domizil des habgierigen Arztes Doktor Bartolo (Lionel Peintre). Bei ihm wohnt sein Mündel Rosina (Claude Eichenberger), die er wegen der grosszügigen Mitgift selbst heiraten möchte. Dazu muss er die anderen Verehrer aus dem Weg räumen, vor allem den hartnäckigen Grafen Almaviva (Alexey Kudrya), der sich vor Rosina als armer Student Lindoro ausgibt. Doch dieser meint es ernst und hat einen listigen Helfer: Figaro, den Barbiere (Robin Adams). Nach einigem Hin und Her, Irrungen, Wirrungen und diversen Verkleidungsaktionen hat es Figaro geschafft: Graf Almaviva und Rosina sind verheiratet.

«Il Barbiere die Siviglia» aus dem Jahr 1816 ist wegen der vielen Ohrwürmer, der Leichtigkeit des Stoffes und der beschwingten Rhythmen ein sicherer Publikumsmagnet. Doch Mariame Clément, die zum dritten Mal in Bern inszeniert, ruht sich nicht darauf aus – den stilisierten Charakteren der Opera Buffa gibt sie ein eigenes, modernisiertes Gesicht: Der als Musikschüler verkleidete Graf Almaviva tritt als machoider Elvis und als testosterongeschwängerter Rambo auf, Doktor Bartolo ist ein entfesselter und lausiger Zahnarzt, Rosina ein naives Mädchen, das gelangweilt seinen Teddy rasiert. Wer jetzt die Hände verwirft und «Hilfe, Klamauk!» schreien möchte, tut dies zu Unrecht. Jede Pointe, jeder Einfall nimmt auf intelligente Weise Bezug auf Rossinis Werk. Nur hin und wieder erlaubt sich Clément auch ein keckes Filmzitat.

Die Ideen der 33-Jährigen sind geschickt inszenierte Brüche: Zum Beispiel, wenn Figaro seine eigene Grossartigkeit besingt – und gleichzeitig an die Wand pinkelt. Solche Aktionen sind subtile Kommentare, die das Gesungene gekonnt relativieren. Gerade so, wie auch das in fast alle Richtungen drehbare Haus die eigene Wahrnehmung relativiert.

Kokette Rosina

Getragen wird die Inszenierung von einem gesanglich wie schauspielerisch exzellenten Ensemble. Claude Eichenberger ist eine kokette Rosina mit einem enorm wandelbaren Mezzosopran. Alexey Kudrya verfügt über einen klaren und kraftvollen Tenor. Am Anfang etwas wenig differenzierend, steigert sich Robin Adams als Figaro zunehmend und schöpft schliesslich das Potenzial seiner Rolle mit sichtlichem Vergnügen aus. Auch das Berner Symphonie-Orchester zeigt sich unter der Leitung von Srboljub Dinic in Bestform: differenziert, energiegeladen und engagiert.

Den Frust und die Angst vor dem Zahnarzt vermag diese Aufführung zwar nicht zu lindern, dafür steigert sie die Lust – auf ganz grosse Oper.