Bier statt Buh!

Frank Gerber, Blick (29.04.2008)

Boris Godunow, 27.04.2008, Zürich

Folklore ist doch eh nur Klischee. Richtige Innovationen finden im Regietheater am Opernhaus statt. Wirklich?

Die Bäuerin sitzt in traditioneller Tracht vor einem Heustock. Neben sich ein paar Hühner. Sie singt ländlich.

Diese Szene stammt nicht vom Striichmusigtag in Urnäsch AR, sondern aus «Boris Godunow» am Opernhaus Zürich. Regisseur Klaus Michael Grüber lässt auch sonst keine Klischees aus. Die trauernde Zarentochter wird mit einem blauen Schleier als Mutter Gottes verkleidet. Und der Schriftstellermönch hat in seiner Klause einen Totenkopf auf dem Schreibtisch. Faust lässt grüssen.

Solch abgedroschene Halbideen sind immerhin ärgerlich. Der Rest ist dreieinhalb Stunden Langeweile. Eine Aneinanderreihung von Bildern ohne Zusammenhang, ohne Aussage. Die Oper von Modest Mussorgskij (1839 - 1881) über den Zaren, der ein Kind ermordet, um selber auf den Thron zu kommen, und jetzt an Gewissensbissen leidet, zieht Fäden. Das Regieteam wird ausgebuht. In der Pause wird trotzdem Champagner getrunken.

Am 8. Striichmusigtag am gleichen Wochenende gibts Appenzeller-Schnaps und Bier. Aber keine Buhrufe! Dafür den Beweis: Tradition lässt sich leben, nicht nur konservieren. Zwölf Formationen mit Hackbrett und Streichern, manche mit Klavier und Handorgel, spielen in allen Beizen. Und das Publikum - mit Autonummern aus der ganzen Schweiz - kennt in den übervollen Stuben kein Halten mehr.

Beide Veranstaltungen wollen «alte» Musik, Musik jenseits des Pop-Mainstreams, attraktiv für heutige Ohren darbieten. Dem Striichmusigtag ist das gelungen. Der Vorteil im Opernhaus: Man braucht am nächsten Morgen kein Alcaseltzer.