Eine starke Besetzung, ein schwaches Stück

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (25.05.2008)

Clari, 23.05.2008, Zürich

Cecilia Bartoli ist dieses Jahr auf dem Malibran-Trip. Das bescherte dem Opernhaus Zürich am Freitag die Premiere von Halévys Oper «Clari». Eine Ausgrabung, die ohne Bartoli kaum, und auch mit ihr nur mässig interessant ist.

29 Jahre alt war Jacques Fromental Halévy, als er am Pariser Théâtre italien seine Oper «Clari» herausbrachte. Immerhin konnte er dafür die schillernde Maria Malibran gewinnen, in Paris damals der Superstar unter den Sopranistinnen, und schrieb ihr virtuose Koloraturgirlanden auf die Stimme. Bei seinen Aufenthalten als Rompreisträger hatte Halévy den italienischen Belcanto-Stil studiert und schwelgte jetzt selbst darin.

Uninspirierte Längen

Aber die Musik hat Schwächen. Das Opernhaus hat eine Aufführungsversion aus dem Autograph hergestellt, die Adam Fischer durchaus mit Engagement und Können umsetzte. Aber auch damit lassen sich die Mängel nicht kaschieren, selbst dann nicht, wenn die auf historischen Instrumenten spielende Barockformation «La Scintilla» des Zürcher Opernorchesters sich besser in der Partitur ausgekannt hätte als an der noch sehr wackligen Premiere. Vor allem im ersten Akt begegnen dem Zuhörer fast auf Schritt und Tritt kompositorische Ungeschicklichkeiten. Immer wieder zwar blitzen hübsche Momente auf, lassen gekonnte klangliche Mischungen kurz aufhorchen, bis sie wieder von Opernkonventionen, uninspirierten Längen oder melodischen Platitüden abgelöst werden.

Entlarvend die grosse Harfen-Arie der Desdemona aus Rossinis «Otello», welche Cecilia Bartoli nach dem Vorbild der Malibran in den zweiten Akt einfügte: Da stellten sich all die vorher vermissten Qualitäten - Atmosphäre, Poesie, musikalische Souveränität - sofort ein. «Clari» ist nicht mehr als eine Talentprobe Halévys, gerade auch im Vergleich zur wesentlich besseren, vielfältigeren, souveräneren und originelleren «Juive», die im Dezember auch schon am Opernhaus Zürich zu hören war, auch sie dank einer herausragenden Sängerpersönlichkeit: Neil Shicoff.

Haarsträubendes Libretto

Zum ersten Mal inszenierten die belgisch-französischen Regie-Zwillinge Moshe Leiser und Patrice Caurier am Zürcher Opernhaus. An ihnen und ihren vielen lustigen Ideen lag es nicht, dass das Stück nur mässig überzeugte. Farbig, witzig, manchmal heftig ironisch spielten sie mit den Versatzstücken, welche das haarsträubende Libretto über das Märchen vom Landmädchen und dem Herzog hergibt, versetzten die Geschichte in unsere Zeit, wo man Bekanntschaften per Internet schliesst und sich ein Playboy der Jeunesse dorée per Mail ein Landei anlacht, das sich ihm, geblendet von Macht und Reichtum, an den Hals wirft. Dass daraus Liebe entstehen soll, das konnten die Regisseure auch nicht in die Geschichte hineininszenieren, zu hanebüchen kommt diese daher. Aber sie haben es immerhin mit Nachdruck behauptet. Und vielleicht sollte man nicht überheblich sein: Unsere TV-Soaps sind sicher nicht intelligenter gestrickt.

Bartoli zeigt ihr ganzes Können

Bleibt: La Bartoli. Sie zieht alle Register, hat einen grossen Abend, schwelgt in Koloraturen, gurrt, lacht und kokettiert mit den virtuosesten Notengirlanden, legt aber auch Dramatik, Wut und Entrüstung in ihre Stimme. Das ist Paganini für die Opernbühne und hat durchaus seinen Reiz. Umso mehr, als die Zürcher Oper eine sehr gute Besetzung um sie herum aufgestellt hat: Der Tenor John Osborn gibt den Herzog nicht minder virtuos, makellos, mit der geforderten Agilität und einigem Schmelz, Eva Liebau in der Dienerinnen-Rolle singt ihr neapolitanisches Lied allerliebst, und Carlos Chausson zeigt sich einmal mehr als umwerfender Komödiant.