Ein modernes Märchen zum Mitschmunzeln

Oliver Meier, Berner Zeitung (26.05.2008)

Clari, 23.05.2008, Zürich

Herrlich kitschig: Mezzosopranistin Cecilia Bartoli brillierte bei der Schweizer Erstaufführung von «Clari» am Opernhaus Zürich.

Nach knapp drei Stunden ist die Welt wieder im Lot: «Ich bin ja so glücklich! Der Himmel gibt mir meinen Gatten und den Vater wieder!», singt Cecilia Bartoli alias Clari mit leuchtenden Au-gen. Hinter ihr eine geblümte Herz-Schablone im Grossformat, neben ihr die zwei stolzen Männer: Vater Alberto im Bauernlook und der Herzog, der bald schon in den finalen Glücksgesang einstimmt. Es ist ein Happyend der übelsten Sorte, so gnadenlos kitschig, dass man abermals zu schmunzeln beginnt an diesem Abend, entwaffnet von der Art und Weise, wie hier ein fast vergessenes Opernwerk zurück ans Bühnenlicht geholt wird.

Über 170 Jahre lag «Clari» des französischen Komponisten Jacques Fromental Halévy auf dem Schutthaufen der Musikge-schichte – zu Unrecht, wie Ceci-lia Bartoli fand, als sie in der Bibliothèque nationale in Paris auf die Partitur stiess. In Halévys Belcanto-Oper erkannte die Mezzosopranistin, wonach sie schon lange gesucht hatte: Ein Werk, das eigens für die spanische Starsängerin Maria Malibran (1808-1836) geschrieben worden war. Malibran gilt als «erste Operndiva überhaupt», eine schillernde Persönlichkeit, die mit ihren Auftritten den Musikbetrieb der Zeit aufmischte. Und Bartoli hat sich in der laufenden Saison ganz der Sängerin verschrieben, die dieses Jahr ihren 200. Geburtstag hätte feiern können.

Aus der Klischee-Kiste

Mit «Clari» beschliesst Bartoli ihre ausgedehnte Tournee zu Ehren Malibrans – in einem stimmlich anspruchsvollen Part: Fast drei Oktaven umfasst die Titelpartie, durchsetzt von abenteuerlichen Läufen und abrupten Sprüngen. Sie spiegeln den emotionalen Parcours einer Figur, die direkt der Klischee-Kiste entsprungen scheint: Als unschuldiges Mädchen vom Lande verschlägt es Clari an den Hof des Herzogs Mevilla (John Osborn), der sie verführt und zu ehelichen verspricht. Trotz berechtigter Zweifel an den ernsthaften Absichten des Herzogs hofft sie auf eine glückliche Zukunft an seiner Seite – bis sie an einer Theateraufführung mit der eigenen Geschichte konfrontiert wird. Verzweifelt über ihr beschämendes Schicksal, flieht sie zurück in ihre Heimat, wo sie vom schwermütigen Vater (Carlos Chausson) verstossen wird. Erst als der reumütige Herzog im Elternhaus auftaucht und seine wahren Gefühle besingt, steht dem Happyend nichts mehr im Weg.

Zeitgenössisches Märchen

Es gibt leichtere Aufgaben, als dieses Werk zu inszenieren. Doch Moshe Leiser und Patrice Caurier erfüllen sie mit Bravour, auch wenn sich der erste Akt doch arg in die Länge zieht. Das belgische Regieduo verlegt den Plot in die Gegenwart und erzählt ein zeitgenössisches Märchen, in dem Clari als hoffnungsfrohes Landei ihren Angebeteten im Internet ausfindig macht. Resultat ist eine gewitzte Inszenierung, die sich von der Handlung distanziert, sie munter ins Kitschige überdreht, ohne die Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben.

Souverän gestaltet Cecilia Bartoli ihre Figur in einer Mischung Naivität und Stolz, wobei ihr die verzweifelte Clari allerdings weit weniger gut gelingt als die Überglückliche. Zum Höhepunkt des Abends wird ein Stück, das gar nicht in Halévey Oper gehört: Die Arie der Desdemona aus Rossinis «Otello», gesungen von Bartoli im Dialog mit dem ausgezeichneten Orchestra «la Scintilla», das den Belcanto-Abend mit einem historischen Klangkleid versieht.