Vergnügliches Handlungs-Nichts

Verena Naegele, Basler Zeitung (27.05.2008)

Clari, 23.05.2008, Zürich

Cecilia Bartoli gurgelt nach Herzenslust in der Oper «Clari» am Opernhaus Zürich

Das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier macht aus der Geschichte des Bauernmädchens Clari einen kitschigen Fotoroman. Doch trotz slapstickartiger Überzeichnung wird die Inszenierung nie zum Klamauk.

Maria Malibran heisst das Zauberwort zur Ausgrabung «Clari» von Jacques Fromental Halévy. Cecilia Bartoli ist die treibende Kraft dahinter. Im Zuge des Revival-Projekts zum 200. Geburtstag dieser Primadonna stiess Bartoli in der Bibliothèque Nationale in Paris auf die «Clari»-Partitur, ein Werk, das Halévy speziell für die Malibran komponiert hatte. Zum Vorschein gekommen ist ein Handlungs-Nichts, wobei es dem Inszenierungsteam um Moshe Leiser und Patrice Caurier gelungen ist, daraus trotzdem einen vergnüglichen Abend zu gestalten.

«Clari» wird im Zyklus «Französische Oper» angeboten, eine irreführende Kategorisierung, denn komponiert hat Halévy die Semi-Seria 1828 für das Théâtre Italien in Paris und damit in italienischer Tradition mit Secco-Rezitativen und geschlossenen Formen von der Arie bis zum Ensemble.

Die Musiksprache des jungen Halévy erinnert an Rossini, erreicht aber dessen sprudelnden Melodienreichtum und Tempo nicht. Halévys Stärken liegen im typisch französisch-lyrischen Klangfarbenreichtum, der aus dem Orchester blüht, in der subtilen Behandlung der Holzbläser etwa, sowie im Auskosten der vokalen Virtuosität. Adam Fischer und das Orchestra «La Scintilla» auf historischen Instrumenten begleiten klangschön, aber etwas gar gesittet.

BAUERNMÄDEL. Interessant ist die Partie der Clari, die einen Tonumfang von fast drei Oktaven umfasst und gespickt ist mit rasend schnellen Läufen und verrückt grossen Sprüngen. Ein gefundenes Fressen für Cecilia Bartoli, die keine Schwierigkeiten kennt, nach Herzenslust gurgelt und koloriert und dabei noch eine verblüffende Tiefe präsentiert.

Schablone zum Zweck ist der Plot: Das Bauernmädel Clari wird vom Duca auf sein Schloss eingeladen, doch er will sie nicht heiraten. Entehrt flieht Clari zu den Eltern, wo sie vom reumütigen Fürsten aufgestöbert wird – Happy End.

INTERNETFREAK. Das Regiegespann Leiser und Caurier erzählt die Geschichte als Fotoroman mit schrillfarbigen Bildern (Bühne: Christian Fenouillat), doch trotz zahlreichen Slapsticks driftet die Oper nie in den Klamauk ab. Da ist etwa die Bildergalerie im Schloss mit witzigen Bildprojektionen, dann ein kahler Krankenhausflur mit grün «behaubten» Schwestern oder der Bauernhof mit schlafendem Schweinchen und zappelig choreografiertem Chor der «Bauerntölpel».

In diesem Ambiente können sich die Figuren bestens entfalten. John Osborn, ein Vollblut-Belcantotenor mit beweglicher Stimme gibt einen Internetfreak-Duca, der im Geländewagen seinem Mädel nachjagt. Witzig ist das Dienerpaar Germano und Bettina, Oliver Widmer mit sonorem Buffotimbre und ernsthaft-komischer Mimik, Eva Liebau mit balletösem Gehabe und quirlig hellem Soubrettensopran. Carlos Chausson gelingt das Kunststück, zehn Minuten lang über die Entehrung seiner Tochter zu jammern, ohne dass man sich nervt.

Schade, dass Bartoli im 2. Akt nach Primadonnenmanier die Desdemona-Arie von Rossini einfügt. Sie stört damit den Spielfluss und macht überdeutlich, dass Clari über Rossini-Epigonentum nicht hinauskommt. Halévys Wechsel ins französische Metier ist vorgezeichnet.