«Tutto è fumo a questo mondo...»

Werner Pfister, Zürichsee-Zeitung (12.09.2006)

Gianni Schicchi, 09.09.2006, Zürich

Zwei Operneinakter, komödiantische Leichtgewichte unterschiedlicher Façon, hat sich der Dirigent Nello Santi zu seinem 75. Geburtstag gewünscht. Ein szenisches Schmunzel-Fest, aber nicht unbedingt ein sängerisches.

Seit der Saison 1958/59 ist Nello Santi dem Zürcher Opernhaus eng verbunden. Bis zu vier Neuinszenierungen pro Spielzeit hat er musikalisch betreut, insgesamt sind es über 80 geworden. Damit hat er das künstlerische Profil des Hauses entscheidend mitgeprägt; «seine» Sänger und auch das Orchester wissen es zu schätzen, und eine entsprechend grosse Fan-Gemeinde hält ihm seit Jahren unwandelbar die Treue - diesmal mit besonders frenetischem Beifallsjubel.

«Il segreto di Susanna» von Ermanno Wolf-Ferrari (sein Doppelname weist auf eine italienische Mutter und einen deutschen Vater hin) führt in der grossen Operngeschichte eher ein Fussnotendasein; zu leichtgewichtig, zu «unschuldig» wirkt das Stück heute, wo das bürgerlich-naive Schmunzeltheater längst zum Fernsehen abgewandert ist - leider oft unter dem Verlust seiner Unschuld.

Rauchzeichen

Umgekehrt, wie lässt sich allen Ernstes eine Geschichte inszenieren, die eigentlich nur auf einer Vermutung beruht? Ein jungvermählter Graf nimmt in seinem Haus und an den Kleidern seiner jungen Frau plötzlich Tabakgeruch wahr. Statt auf das Naheliegendste zu schliessen, dass diese nämlich heimlich raucht, vermutet er, dass sie einen heimlichen, rauchenden Liebhaber habe. Mehrmals überrascht er sie nun in unerwarteten Momenten, um sie - das heisst: die beiden - in flagranti zu ertappen.

Als er schliesslich entdeckt, dass es nicht eine verboten-heimliche Liebschaft ist, die da im Versteckten glüht und glimmt, sondern ein kleiner, rauchender Stengel, vergibt er ihr. Und beide stecken sie sich nun friedenspfeifenmässig eine Versöhnungszigarette an: «Tutto è fumo a questo mondo...», derweil aus dem Orchester in kringelnden Arabesken der Soloflöte feine Rauchzeichen aufsteigen. Oh, du gute alte, Zeit, als noch nicht auf jeder Zigarettenschachtel zu lesen war: «I fumatori muoiono prima» respektive «Il fumo uccide».

Tempi passati - und genau dort setzen Regisseur Grischa Asagaroff und Ausstatter Luigi Perego an, nämlich in der Lebensgegenwart Ermanno Wolf-Ferraris. Eine Glaswand mit schönem Jugendstil-Dekor grenzt den Raum ein, drei Türen ermöglichen mal exaltierte, mal heimliche Auftritte und Abgänge. Zu spielen gibt es nicht eben viel, da es an Handlung mangelt, und so behilft sich Susanna wiederholt mit stereotypem Händeringen oder hält sich dekorativ an einer Stuhllehne fest, derweil ihr eifersüchtiger Gatte sich (zu) oft zum vordergründigen Poltern verleiten lässt, was die Wirkung zusehends schmälert. Zuweilen klebt das alles ein bisschen und will nicht so recht vom Fleck kommen, trotz der vitalen und gleichzeitig äusserst kunstvollen Musik. Ein schauspielerisches Kabinettstückchen liefert Timo Schlüssel als stummer Diener.

In Dur und Moll

Um einen Fall ganz anderer Art handelt es sich beim Einakter «Gianni Schicchi», Giacomo Puccinis einziger Musikkomödie und gleichzeitig seinem letzten vollendeten Werk. Statt unschuldig verspielter Eindimensionalität gibt hier, szenisch wie musikalisch, Doppelbödigkeit den Ton an. Denn der Witz dieser liebenswerten Florentiner Erbbetrugs-Geschichte besteht darin, dass es sich um einen doppelten Betrug handelt: Die Betrüger werden selber betrogen. Am Ende geht es nicht um Recht oder Unrecht, denn nicht das Gute siegt über das Böse, sondern das Bauernschlaue über das Strohdumme.

Hier, in dieser vielleicht raffiniertesten Partitur Puccinis, die ganze fünfzehn Rollen vorsieht, vom 7-jährigen Gherardino bis zum 70-jährigen Simone, fühlt sich Regisseur Grischa Asagaroff sichtlich in seinem Element. Gekonnt setzt er szenische Kontrapunkte: wenn die erbschleicherische Verwandtschaft, in Dur und Moll klagend, sich um das Bett des verstorbenen Buoso Donati schart und der kleine Gherardino, zum Entsetzen aller, auf dem Dreirad unschuldig seine Kurven dreht.

Die Szenerie - das Schlafzimmer des Verstorbenen - ist diesmal durch Wandschirme eingegrenzt (eine feine Parallele zu den Glaswänden); im Hintergrund leuchtet Florenz wie ein fantastischer Bilderbogen. Mit Tempo und Witz entwickelt sich das Geschehen, lassen die erbschleichenden Verwandten ihre aufgesetzten Trauermienen fallen und machen gute Miene zum bösen Spiel. Es darf geschmunzelt werden - und es wird gelacht.

Funkelnde Finessen

Was die musikalische Seite dieser beiden Neuinszenierungen anbelangt, wacht Maestro Nello Santi wie ein Erzvater über den Partituren und dürfen sich die Sänger sicher fühlen wie in Abrahams Schoss. Rührend, wie er die musikalischen Finessen in Wolf-Ferraris Musik zum Funkeln bringt, wie er dieser quecksilbrig-elastischen Musik mit einer dem Komödienstoff perfekt angemessenen Leichtigkeit zu schönster Wirkung verhilft. Handfester und direkter geht es bei Puccini zu, als würde das Orchester seine eigenen, spitz satirischen Bemerkungen zum abstrusen Spiel auf der Bühne abgeben. Und die Musiker tun das mit souveräner Meisterschaft.

Indes, für die Sänger kann ich bei weitem nicht so einhellige Begeisterung empfinden. Sicher, Leo Nucci ist ein stimmlich imposanter Gianni Schicchi, aber irgendwo fehlt seinem Gesang die Vis comica. Das ist alles sehr vordergründig ausgespielt, ohne Augenzwinkern. Noch gravierender fällt die vokale Einsilbigkeit von Adriana Marfisi ins Gewicht. Eine Stimme, die meistens scharf klingt und nicht frei ist von einem leicht sägenden Beiklang. Keine Rede von einem fantasievollen Umgang mit vokalen Farbvaleurs; ob Marfisi die edle Genussraucherin Susanna singt oder die jungverliebte Lauretta, das tönt immer gleich.

Paolo Rumetz verkörpert den eifersüchtigen Grafen Gil mit viel exaltierter Emphase, lässt sich aber auch zum Forcieren verleiten, was dem stimmlichen Ausdruck nicht wohl bekommt. Fabio Sartori verleiht dem tenoralen Liebhaber Rinuccio feurige Inbrunst, womit er sich wirkungsvoll gegenüber seiner mal keifenden, dann wieder aufbegehrenden, mal spöttischen, im Handumdrehen auch eifersüchtigen Verwandtschaft abhebt, die sich sängerisch entsprechend profiliert. Viel Applaus zum Schluss, und zwar für alle Beteiligten; am meisten aber für Maestro Santi.