Mit Händel auf der Rolltreppe

Verena Naegele, St. Galler Tagblatt (17.06.2008)

Rinaldo, 15.06.2008, Zürich

Barocke Zauberoper im modernen Globalisierungs-Gewand: Das Opernhaus Zürich bietet Händels «Rinaldo» szenisch burlesk und musikalisch furios.

«Rinaldo» war ein Oper-Bestseller. 1711 als Werbeoper für sein Début in London geschrieben, geizen Händel und Librettist Giacomo Rossi nicht mit glanzvollen Bühnenzaubereien: Armidas Flug im ersten Akt, Rinaldos pompöse Meeresfahrt im zweiten oder ein Schwarm lebender Spatzen zu Almirenas Vogelgezwitscher-Arie. Auch Action-Szenen wie Mordversuche und Schlachtengetümmel gehören dazu.
Krieg der Wirtschaftskapitäne

Eine schwierige Aufgabe für die Regie, diese effektgeladene Zauberoper des Barocks in die heutige Zeit zu übersetzen. In Zürich kam dazu, dass Regisseur Claus Guth absagen musste und Jens-Daniel Herzog innerhalb eines bestehenden Konzepts und Bühnenbildes agieren musste. Zuweilen spürt man eine gewisse Heterogenität, und einiges ist etwas gar «klamaukig» geraten. Trotzdem glückt der Abend, auch dank dem grossartigen William Christie mit dem Orchestra «La Scintilla».

Herzog macht aus der Kreuzfahrerstory «Christen gegen Sarazenen» einen Krieg der Kulturen und Wirtschaftsmagnaten. Beide Seiten erscheinen mit servilen Geschäftsleuten im Schlepptau, den Unterschied macht die moslemische Kopfbedeckung. Und was einst die Seefahrt war, das ist bei Guth/Herzog das Fliegen: Wir befinden uns in kühlen Geschäftsräumen oder auf dem Flughafen mit Rolltreppe und Werbeplakat (Ausstattung Christian Schmidt). Eine raffinierte Szenerie, die es erlaubt, in den statischen Arien-Ablauf Bewegung zu bringen.

Anrührend ist etwa die Arie «Cara sposa»: Rinaldo beklagt die Entführung seiner Geliebten, gleichzeitig bewegen sich die Menschen auf der Rolltreppe in Zeitlupe. Scheint hier die Zeit stillzustehen, so bewegen sich andere Szenen dank der Drehbühne gleichsam im Zeitraffer. William Christie unterstreicht musikalisch diese Affektdramaturgie, legt in den Rachearien ein horrendes Tempo vor und scheint bei den Trauerarien fast stillzustehen.
Der Abend der Frauen

So entwickelt sich das Menschliche, Allzumenschliche. Einen grossen Abend hat Malin Hartelius als Armida, furios in feuerrotem Cocktailkleid, Verführerin und Verführte zugleich, die zusammen mit Ann Helen Moen als Almirena im 2. Akt ein brillant inszeniertes Vexierspiel bietet. Ihnen stehen vier um sie buhlende Männer gegenüber, wobei Christie konsequent auf Frauenstimmen setzt. Liliana Nikiteanu als Goffredo und Katharina Peetz als dessen Bruder Eustacio steigerten sich nach anfänglicher Nervosität. In der Titelrolle blieb Juliette Galstian mit ihrer kehlig-kernigen Stimme etwas zwiespältig.

Die Koloratursicherheit des gesamten Ensembles und der Klangfarbenreichtum der «Scintilla» gaben dem Abend Glanz.