Archaisches Kettenhemd gegen Business-Anzug eingetauscht

Bruno Rauch, Die Südostschweiz (17.06.2008)

Rinaldo, 15.06.2008, Zürich

Jens-Daniel Herzog inszeniert Händels Kreuzritteroper «Rinaldo» als globalisierten Wirtschaftskrieg. Das wirkt absolut schlüssig, wie die Premiere am Sonntag im Opernhaus Zürich bewies.

«Rinaldo», 1711 uraufgeführt, ist die erste Oper, die Georg Friedrich Händel (1685-1759) kurz nach seiner Ankunft in England komponierte. Überraschende Bühneneffekte - darunter ein Schwarm echter Vögel - sowie eine glanzvolle Instrumentierung trugen damals zum grandiosen Erfolg bei.

Die aktuelle Produktion im Zürcher Opernhaus steht da nicht zurück, wenn sie auch andere Mittel einsetzt. So wird die Kreuzritterthematik zwischen Christen und Heiden, zwischen West und Ost, durch den Kampf der Kulturen als globalisierter Wirtschafts-Clash ersetzt. Dazu hat Bühnen- und Kostümbildner Christian Schmidt auf der Drehbühne die typischen Unorte multikultureller Begegnung geschaffen: Hotellobby, Konferenzzimmer, Transithalle, wo Menschen im Business-Look und zuweilen orientalisch gekleidet mit Aktenkoffern unterwegs sind.

Auf erfrischende Weise aktualisiert

Da der vorgesehene Regisseur Claus Guth krankheitsbedingt ausfiel, übernahm Jens-Daniel Herzog die Regie für die Zürcher Inszenierung. Ihm ist, trotz bereits bestehenden Grundkonzepts, eine überzeugende Eigenleistung gelungen. Seine Aktualisierung ist nicht einfach modische Zutat. Da agieren moderne - oder zeitlose - Charaktere, die durch Loyalität und Verrat, wechselnde Allianzen und fiese Deals ihre Ziele durchsetzen wollen.

Herzog spart auch den Humor nicht aus, indem er immer wieder archaische Momente in die rational durchgestylte Welt einbrechen lässt. So befragt beispielsweise einer der christlichen Kontrahenten schon mal die Auguren mittels heidnischer Leberschau oder lässt das Pendel kreisen. Die Gegenseite dagegen setzt auf verführerische Hostessen und Vernebelungspetarden.

Choreografischer Blickfang

Umwerfend komisch sind die Bewegungsstatisten, die das coole Business-Gehabe persiflieren und entlarven - eindrücklich choreografiert von Ramses Sigl. Hier wandern Akten sinnlos von Hand zu Hand, dort gehts auf Rolltreppen und in Liften auf und ab. Einmal tobt gar ein musikalisch-gestischer Sturm, der die Bühne buchstäblich leer zu fegen droht. Das ist sinnliche Bebilderung und intelligente Ausdeutung gleichzeitig, barocke Augenlust, mit heutigen Mitteln umgesetzt, und höchst musikalisch gedacht. Denn: In keinem Moment ist das Primat der Musik in Frage gestellt.

Die hausinterne Barockformation «La Scintilla» unter William Christie bringt die prächtige Partitur zum Blühen und Leuchten. Die Musik atmet und pulsiert, stockt und fliesst, dass sich die Sänger wunderbar von ihr tragen lassen können. War am Premierenabend am Sonntag das Grundtempo etwas gar zügig - was da und dort zu minimen Koordinationsproblemen führte - so wird sich das mit Sicherheit einpendeln.

Starke internationale Besetzung

Malin Hartelius, für einmal blond, ist eine hinreissend furiose Zauberin, eine Frau mit vielen Gesichtern, erotisch von den makellosen Spitzentönen bis hinunter zu den roten Highheels. Ihr nimmt man die verführerischen Kräfte in Stimme und Spiel jederzeit ab. Ruben Drole stattet den streitbaren Sarazenenfürsten Argante mit opulentem und doch agilem Bariton aus; ein orientalischer Macho erster Güte, der auch über leise Töne verfügt. Juliette Galstians Stimme, die sich nahtlos zwischen den Registern entfaltet, bleibt der ursprünglichen Kastratenpartie Rinaldos nichts schuldig. Die Sängerin gestaltet den Kreuzritter als eine zwischen Heldentum und Verletzlichkeit schwankende Figur. Ann-Helen Moen als Rinaldos Braut Almirena zeichnet das Bild einer schwärmerischen jungen Frau, deren grosse Trauerarie im 2. Akt buchstäblich den Atem stocken lässt. Katharina Peetz und Liliana Nikiteanu schliesslich verstärken das Christenheer mit spielerischem Einsatz und stimmlicher Eloquenz.