Torbjörn Bergflödt, Aargauer Zeitung (17.06.2008)
Händels «Rinaldo» wird aus der mittelalterlichen Kreuzzugszeit in die Kampfzone globalisierter Wirtschaftskapitäne gehievt.
Barockopern sind schön. Meistens jedenfalls. Aber wie inszenieren? Was tun zum Beispiel, wenn sich die Wiederholung des A-Teils einer Da-capo-Arie trotz Auszierungen in die Länge zieht? Das moderne Regietheater scheint zwei probate Mittel gefunden zu haben. Erstens die wurzeltiefe Verpflanzung in die Jetztzeit. Zweitens die Aufbietung von Menschengruppen, die immer wieder bestimmte Dinge verrichten und den Horror vacui bannen sollen. Das Verfahren kann sich durchaus bewähren.
Nach einem Konzept von Claus Guth, der die Regie krankheitshalber kurz vor Probenbeginn abgeben musste, hat nun Jens-Daniel Herzog am Opernhaus Zürich den «Rinaldo» von Händel gemäss dieser Doppelstrategie inszeniert. In dem Dreiakter kämpft die Titelfigur gegen die Sarazenen und vor allem für die geliebte und von einer Zauberin geraubte Tochter des Anführers der christlichen Armee. Den Gattungskonventionen der Opera seria entsprechend, gibt es ein «lieto fine», also ein Happy End.
Statt in einem Jerusalem der Zeit um 1100 spielt die Handlung beim Ausstatter Christian Schmidt in Räumen, die bald an eine Hotellobby oder den Durchgangsraum in einem Flughafenkomplex gemahnen. Die Kreuzritter und Sarazenen kämpfen nicht nach alter Manier gegeneinander, sondern stehen für einen globalisierten Krieg von Wirtschaftskapitänen.
Die vom Choreografen Ramses Sigl geführte Gruppe von Männern und Frauen trägt bei den Christen Busi-nessanzüge anstelle von Rüs-tungen und hält Aktenkoffer statt Speere in den Händen. Die Zauberin Armida treibt als erotisch aufgemachte «Woman in Red» Domina-Spielchen mit dem Sarazenenführer Argante im Nadelstreifenanzug, bevor sie Rinaldos Verlobte Almirena - Gruss vom barocken Maschinentheater - unter Beigabe von Rauch und Blitzen durch eine Tür entführt.
Raffiniert werden per Drehbühne die wechselnden Spielorte herangefahren. Der Abend wächst vor dem kräftig mit Ironie abgeschmeckten (glücklichen?) Ende in ein albtraumhaftes Vexierspiel hinein. Die sterilen Stätten der Öffentlichkeit werden als bedrückende Un-Orte erkennbar. Das Tänzerkollektiv bewegt sich auch etwa in Slow Motion oder gefriert zum Standbild. Zu all dem tritt eine bekömmliche Humor-Portion.
Die armenische Mezzosopranistin Juliette Galstian in der Titelrolle singt mit Espressivo-Hingabe die Klagearie «Cara sposa» mit den chromatischen Aussenteilen und dem erregten Allegro-Mittelabschnitt. Malin Hartelius ist eine in jedem Belang agile Armida. Ann Helen Moen als Almirena lässt der Lamento-Arie «Lascia ch’io pianga» jede Feinnuancierung angedeihen. Ruben Drole gibt sängerisch und darstellerisch ein spannendes Porträt des Argante. Liliana Nikiteanu und Katharina Peetz überzeugen als Kreuzrittergeneral und dessen Bruder.
Im hochgefahrenen Orchestergraben verströmt die mit historischen Instrumenten spielende Spezialformation La Scintilla der Oper Zürich unter William Christie eine Fülle des Wohllauts mit herauspräparierter Affektrhetorik, klangfarblichem Reichtum und wach ausmusizierter (Konstrast-)Dynamik.