Auch Füchse haben Migräne

Chantal Steiner, VOX SPECTATRITIS (16.10.2006)

Príhody Lisky Bystrousky, 15.10.2006, Zürich

Die gestrige Premiere von Janáceks „Das schlaue Füchslein“ endete mit lautstarken Beifallskundgebungen des entzückten Publikums.

Dies, obwohl die Musik von Janácek sich einem nicht auf den ersten Augenblick erschliesst. Die letzte Produktion im Opernhaus fand 1988/89 statt, somit dürfte ich vielleicht nicht die Einzige sein, der dieses Werk zum ersten Mal begegnete. Aus diesem Grund werde ich mich heute vor allem auf mein „Bauchgefühl“ verlassen müssen, da ich mich ausserstande fühle, musikalische Wertungen abzugeben, weil mir Vergleichsmöglichkeiten fehlen.

Janácek vertonte vier Jahre vor seinem Tod das Libretto von Rudolf Tesnohlídek. Dieser war eher widerwillig an die Aufgabe gegangen, einige Skizzen aus dem Leben eines Fuchses – welche ein Zeichner namens Lolek auf die Redaktion einer Brünner Zeitung brachte – mit Texten zu versehen. Aber bei Waldspaziergängen sprang der Funke über, und ein Textbuch entstand, in dem die Atmosphäre des Lebensraums Wald hervorragend eingefangen wurde. Als Janácek durch Zufall der Text in die Hände fiel, gab er keine Ruhe, bis dieser für die Oper umgestaltet worden war und er ihn vertont hatte. Er selbst hielt diese Oper für sein bestes Werk.

Die Tiere besitzen alle sehr menschliche Züge, obwohl sie sich „tierisch“, d.h. der Vernunft gehorchend, benehmen. Füchslein Schlaukopf wird in jungen Jahren vom Förster gefangen und mit nach Hause genommen, wo sie sich gegen die Avancen des Dackels wie auch gegen die Hiebe der Försterin zur Wehr setzen muss. Später politisiert sie und versucht, die Hennen zur Rebellion gegen Mensch und Hahn aufzustacheln und ihnen ein Leben in Würde zu verschaffen; die Hennen gehen jedoch nicht darauf ein. Füchslein stellt sich tot und kann so den eingebildeten Hahn und die dummen Hennen töten und flüchten. Im Wald ergreift sie von der Wohnung des Dachses kurzerhand Besitz, indem sie ihn verscheucht, was ihr die Bewunderung der Waldbevölkerung verschafft.

Währenddessen sitzen der Förster, der Schulmeister und der Pfarrer in der Gaststube und sinnieren über eine junge Frau namens Terynka (die nie auftaucht), die ihr seelisches Gleichgewicht durcheinander gebracht hat.

Bei einem nächtlichen Spaziergang (Füchslein hat Migräne!) begegnet sie einem stattlichen Fuchs, beide verlieben sich ineinander. Die neidische Eule zetert über die Unmoral, so dass sie vor den Specht treten müssen, um sich trauen zu lassen. „Nach einigen Jahren“ ist eine ansehnliche Anzahl kleiner Füchse auf der Bühne zu bewundern. Leider tritt der Landstreicher Haraschta auf, der vor seiner Hochzeit mit Terynka eingekauft hat. Die Füchse spielen ihm einen Streich; wütend erschiesst der Landstreicher die Füchsin in einem Moment der Unaufmerksamkeit.

Im Gasthaus sitzen heute nur der Förster und der Schulmeister, beide zwischenzeitlich arg in die Jahre gekommen. Alle anderen sind an der Hochzeit. Die Wirtsfrau erzählt, dass Terynka einen wunderschönen Fuchspelz erhalten hat – da weiss der Förster, dass seine Füchsin tot ist. Er geht in den Wand, gibt sich den Erinnerungen hin und gewahrt ein Füchslein, das der „Mutter ganz aus dem Gesicht geschnitten ist“. Auch einem Frosch begegnet er wieder, wie zu Beginn des Stückes; es ist aber der Enkel des damaligen Frosches. So bleibt der Förster in nachdenklicher Pose zurück: Auch wenn die Menschen in der Natur etwas zerstören, so geht das Leben im Walde weiter – es erneuert sich stets. Ein Perpetuum mobile.

Als ich die Geschichte las, fragte ich mich, wie man so etwas heutzutage auf die Bühne bringen könne. Muss man dies chiffrieren? Getraut sich heute noch jemand, dem Publikum diese Oper als Parabel mit kostümierten Sängern vorzusetzen, und wenn ja, geht das auf? Es geht!

Katharina Thalbach und ihr Ausstatter Ezio Toffolutti verstanden es, den Mikrokosmos Wald von der riesigen Bühne der Deutschen Oper Berlin (wo diese Inszenierung bereits mit Erfolg aufgeführt wurde) auf das kleine Opernhaus Zürich zu redimensionieren. Alles ist sehr detailgetreu – in der Art eines Zeichentrickfilms – wiedergegeben, bisweilen mit einem Hauch Skurrilität. Eine riesige Schnecke kriecht über die Bühnenumrandung, Fliegen surren herum, Stechmücken treiben ihr Unwesen, Libellen und ähnliches Getier fliegt durch die Luft (leider sieht man vom 2. Rang aus wiederum nur zappelnde Beine), Raupen, Eichhörnchen, Igel vergnügen sich… Kurz, alles ist da. Liebevoll gezeichnet, hervorragend umgesetzt. Das Libretto strotzt vor leiser Ironie, die hervorragend in die Inszenierung implementiert wird. Herrlich sind z.B. die Hühner gezeichnet, die lebensechter kaum sein könnten. Eine Inszenierung, die einfach nur Spass macht, und die das Ganze zu einem sehr vergnüglichen Abend werden lässt.

Auf der Bühne bewegen sich Unmengen von „Menschen“; es würde den Rahmen sprengen, diese alle namentlich aufzuführen. Für die homogene – wenn auch nicht überragende – sängerische Ensembleleistung seien deshalb nur einige der Hauptakteure herausgepickt: Für mich wurde die beste Leistung von Valeriy Murga als Landstreicher geboten. Sein wohlklingender, farbenreicher, runder Bass begeisterte mich vom ersten Augenblick an. Ebenfalls hervorragend war der Fuchs von Judith Schmid, mit warmem Mezzosopran gesungen. Martina Jankovás Füchsin war zwar zauberhaft gezeichnet, mit Leichtigkeit gesungen, allerdings fehlte mir etwas die Innigkeit, die Tiefe der Gefühle. Oliver Widmers Förster war darstellerisch ansprechend, allerdings ist seine Stimme sehr eindimensional und langweilig geworden, die Geschmeidigkeit geht ihm zwischenzeitlich fast gänzlich ab. Einzig in den paar wenigen lyrischen Momenten blitzte auf, was diese Stimme früher ausgezeichnet hat. Seinem Schlussmonolog fehlte leider ebenfalls jegliche Innerlichkeit. Entzückend waren die vielen Kinderrollen, allen voran der Frosch von Marlon Götz (mit perfekter Diktion bei seinen (gesprochenen) Einführungen vor dem Vorhang).

Das Orchester spielte – sofern ich das überhaupt beurteilen kann – unter Adam Fischer gewohnt souverän, mit Engagement und Differenziertheit. Ob es am Werk oder am Dirigenten lag, dass bisweilen Längen zu verzeichnen waren und mir der grosse Bogen etwas fehlte, vermag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Trotz dieser kleinen Negativpunkte: Endlich kam ich wieder einmal befriedigt aus einer Premiere heraus. Das Publikum war ebenfalls einhellig der Meinung, dass sich dieser Abend gelohnt hat!