Tobias Gerosa, Der Bund (17.06.2008)
Am Opernhaus Zürich macht Händel Spass: Alles dreht sich in der Zauberoper «Rinaldo», und für einmal überzeugt die Inszenierung mehr als die musikalische Umsetzung.
Auf dem Zürcher Bellevue besiegte am Sonntagabend eine vielhundertköpfige Fussballschweiz Portugal auf Grossbildschirm. Gut 70 Meter entfernt, inmitten der Fanmeile, besang gleichzeitig eine feine Stimme in zartem Piano ihre verlorene Liebe: Neue Schallschutzfenster machen es möglich. Ein einsamer «Hopp Schwiiz»-Schal im Opernhaus schuf am Sonntag eine Verbindung der beiden Welten.
Szenisch ist die witzig-ironische Umsetzung von Georg Friedrich Händels «Rinaldo» die richtige Konkurrenz für den omnipräsenten König Fussball, musikalisch braucht es dazu aber noch eine deutliche Spannungssteigerung.
Vielleicht kann man auch zu entspannt musizieren – diesen Eindruck vermittelte an der Premiere William Christie, der sich noch verwundert-vorwurfsvoll nach einem plappernden Kind umdrehte, bevor er mit der aus dem Opernhausorchester gebildeten Spezialformation «La Scintilla» die Ouvertüre begann, sich dann aber kaum je vom Cembalostuhl erhob. Natürlich modelliert Christie die Partitur mit viel Stil und Eleganz. Unüblich oft stimmten aber Einsätze nicht und waren Bühne und Orchester nicht zusammen, eigenartige Pausen zwischen Rezitativ und Arie stoppen den Fluss und immer wieder wünscht man sich mehr Temperament und Feuer in die wohlige Schönheit und Ausgewogenheit von Christies ziselierter Händel-Interpretation. Schade auch, dass Christie alle vier Kastratenpartien mit Frauen besetzt, Countertenöre für die eine oder andere Rolle hätten zusätzliche Stimmfarben einbringen können.
Wer zaubert heute?
Dabei böte das Stück doch Feuer und Effekte genug, ist «Rinaldo» doch das Stück, mit dem Händel 1711 das Londoner Publikum für die italienische Oper gewann. Spektakuläre Bühneneffekte und Arien waren dafür wichtiger als eine schlüssige Handlung. Der Konflikt zwischen Christen und Moslems bleibt blosse Hintergrundfolie für die Liebeswirren und Zauberkünste auf beiden Seiten, die sich am Schluss von gut drei Stunden Oper in drei Minuten auflösen: Der christliche Held Rinaldo bekommt seine Almirena, der böse Argante und seine Armida konvertieren und dürfen dann auch heiraten, alle Unsicherheiten sind vergessen. Wenigstens fast, denn die Regie traut dem natürlich und zum Glück nicht.
Jens-Daniel Herzogs «Rinaldo» ist seine dritte Inszenierung in dieser Saison in Zürich – an andern Häusern wäre das die halbe Spielzeit. Die ersten beiden («Königskinder» und «Intermezzo») waren geplant, für Rinaldo sprang er kurz vor Probenbeginn ein, weil Claus Guth erkrankt war. Bühnenbild und Kostüme lagen bereits vor, und Herzog übernahm auch das Grundkonzept, das den Zauber mehr ironisiert als psychologisiert und ihn in die heutige Wirtschaftswelt versetzt.
In Christian Schmidts Drehbühne leben beide Seiten längst in praktisch identischen, gesichtslosen Räumen: kalte Büros, sterile Warte- und Durchgangsräume. Die Überraschung ist perfekt, wenn nach einer Drehung plötzlich eine riesige Rolltreppe erscheint. Wie das Stück beide Seiten musikalisch gleich behandelt, kommen bei Herzog auch beide nicht sonderlich gut weg. Als Manager-Fussvolk haben Regisseur Herzog und Choreograf Ramses Sigl einen Tanzchor in die Inszenierung eingebaut, der mit seinen schrägen Bewegungsmustern immer wieder witzig interveniert, Personen doubelt oder vervielfacht. Die Tänzer geben der Inszenierung einen spielerisch-leichten Touch, der ihr guttut. Dabei werden die Affekte durchaus ernst genommen, und mit fortschreitendem Abend gewinnen die Figuren zunehmend an Profil.
Blasser Rinaldo
Der Besetzung fehlt diesmal ein grosser Name, wie es sonst am Opernhaus üblich ist. Bei Malin Hartelius als kämpferische Zauberin Armida und Helen Ann Moen, die die Arien «Lascia ch’io pianga» und «Augelletti che cantate» mit grosser Intensität singt, ist das kaum ein Mangel. Auch die beiden Anführer Goffredo und Argante sind bei Liliana Nikiteanu und Ruben Drole (er allerdings hörbar nicht barock-erfahren, dafür mit viel Spielwitz) gut aufgehoben. Das Problem liegt bei der Titelfigur. Juliette Galstian singt den Rinaldo zwar korrekt und bemüht sich um Differenzierung, trotzdem bleibt sie vokal blass und fühlt sich in der Hosenrolle darstellerisch sichtbar unwohl.
Die Chance, dass sich Orchester und Sänger in den weiteren Vorstellungen noch zu steigern vermögen, ist gross. Und dann kann aus der spannungsarmen Premiere durchaus noch eine gelungene Produktion werden.