Rinaldo, der Kreuzritter der globalisierten Wirtschaft

Thomas Meyer, Tages-Anzeiger (17.06.2008)

Rinaldo, 15.06.2008, Zürich

Mit Händels «Rinaldo» zeigt das Zürcher Opernhaus fulminantes und unterhaltendes Barocktheater.

«Rinaldo», nicht «Ronaldo» heisst die Händel-Oper, die am Sonntag parallel zum letzten Schweizer EM-Spiel im Zürcher Opernhaus Premiere hatte. Und im Gegensatz zum Portugiesen, der sich schonen durfte, wird der Kreuzritter fast gleichen Namens stark gebeutelt, denn seine Gegnerin Armida ist im Besitz von Zauberkräften, wie man sie Köbis Mannen auch gewünscht hätte.

Armida dirigiert ein Team von Sirenen und Geistern, entführt so Rinaldos Geliebte Almirena - kein Model, sondern eher ein Heimchen, das gern in Zeitschriften für Hochzeitsausstattung blättert -, sie bringt schliesslich den Helden selber in ihre Gewalt, verwandelt sich in Almirena, um ihn zu verführen, und kämpft bis zuletzt. Umsonst.

Am Ende wird sie von den Kreuzfahrern besiegt und zum Christentum bekehrt, zusammen mit ihrem Verbündeten (und Geliebten) Argante. So weit der Schlussstand, der in der Zürcher Inszenierung freilich nicht so eindeutig ist.

Händels erster Erfolg in England

Georg Friedrich Händel, gerade aus Italien kommend, startete mit «Rinaldo» 1711 in London seine einzigartige England-Karriere. Der Erfolg war der Musik zu verdanken. Dass Stücke daraus später in der «Beggar’s Opera» parodiert wurden, zeugt von der Popularität. Der mittelalterliche, nach Torquato Tassos «La Gerusalemme liberata» sehr frei ausgestaltete Stoff, das Rittergepränge und die effektvollen Zauberszenen machten bei der Uraufführung wenig Effekt. Und auch in Zürich ist nun davon wenig zu erleben. Wer Schild und Stock sehen möchte, ist vor dem Opernhaus bei der Bereitschaftspolizei besser bedient.

Jens-Daniel Herzog, der die von Claus Guth konzipierte Inszenierung übernahm, siedelt das Stück in der jüngsten Zeit an: zwischen Geschäftsanzug, Büroinventar, Zimmerpflanze, Rolltreppe und Flughafenterminal (Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt). Er aktualisiert, inszeniert den Kampf zwischen Christen und Muslimen eher als den Übernahmekampf zwischen Firmen, was sich zwar bei diesem Stoff nicht sauber durchführen lässt, aber doch eine weit gehend stimmige Projektionsfläche ergibt. Gerade da setzt auch die Freiheit im Umgang mit dem Stoff ein, kommen Witz und Fantasie zum Zug. Die barocke Bühnenmaschinerie wird zurückgefahren, gerät etwa zu einem changierenden Airlineplakat; der christliche Zauberer (Irène Friedli) zum Beispiel arbeitet beim Putzpersonal des Flughafens. Das wirkt alles nüchterner - und schafft doch verblüffende Bilder, vor allem aus zwei Gründen: der Spielfreude der Akteure und der Choreografie wegen.

Wie so oft verlieren auch hier jene, die eigentlich die interessantere Partie liefern: die Bösewichte. Der Auftritt von Ruben Drole, der den Sarazenen Argante mimt, bringt zum ersten Mal nach vier Arien so viel Schwärze und Kraft ins musikalische Geschehen, dass das Spiel, wie man so sagt, lanciert ist. Der Anfang zuvor wirkt - abgesehen von der furiosen Ouvertüre - noch etwas brav. Leben kommt erst recht mit Armida ins Stück. Das ist vor allem dem musikalischen und schauspielerischen Temperament von Malin Hartelius zu verdanken. Sie ist es, die die Fäden in der Hand hält, die - ohne viele Zaubertricks - Bewegung hineinbringt, die Mitspieler rotieren lässt und wunderbar leichte vokale Dribblings hinlegt.

Freilich stimmt das Schema Gut-Böse respektive Okzident-Orient längst nicht mehr so klar. Die Regie entwickelt Sympathien für die beiden Sarazenen und zeigt die christlichen Kreuzfahrer durchaus nicht nur nett. Rinaldo ist nicht wenig angetan von den Verführungskünsten Armidas, sondern zeitweise verwirrt. Und wenn Almirena (Ann Helen Moen) die schönste Arie des Werks, das innige «Lascia ch’io pianga», wunderbar zart singt, um Argante zu erweichen, so ist diese Innigkeit doch Mittel zum Zweck. Die Gefühle werden nicht eindimensional dargestellt; das macht das Zusehen spannend. Die Inszenierung hat bis in den Schluss hinein eine manchmal versteckte, manchmal offenkundige belustigende Hinterhältigkeit. Das allein vermöchte den Stoff aus aller Betulichkeit herauszureissen.

Wie klug das ist, zeigt sich sogar dort, wo Sänger vergleichsweise blass bleiben, Liliana Nikiteanu erreicht als Goffredo zwar nicht die gewohnte Frische, mimt aber hier gerade den schwächlichsten der Kreuzfahrer - was ebenso stimmig wirkt wie die Kühle ihres Gefährten Eustazio (Katharina Peetz). Rinaldo schliesslich wirkt beim Auftreten von seinem Heldentum fast gefangen - ein spannungsvoller Widerspruch zu den rasanten Tongirlanden, die Juliette Galstian virtuos singt.

Alle Schattierungen

So viel Ironisierung könnte leicht den musikalischen Gehalt untergraben, hier freilich hält sie das Spiel ganz leicht in der Schwebe. Hinzu kommt als etwas Zentrales die Bewegung der Figuren, die Körperlichkeit, die mit der Körperhaftigkeit und Wucht, der Feinheit und dem Affekt der händelschen Musik in eins geht, denn diese Körperlichkeit gerade ist jene Qualität, dank der Händel seine Zeitgenossen überragt. Der Choreograf Ramses Sigl führt das auf fulminante Weise mit einer kleinen Truppe von Tänzerinnen und Tänzern vor, am eindrücklichsten wohl zur Arie Rinaldos «Venti turbini, prestate» am Ende des ersten Aktes. Auf der sich hinter der Sängerin drehenden Bühne kämpfen Menschen eben gegen diese Wirbelwinde an und werden teilweise weggerissen. In solchen Momenten scheint das Zaubertheater der Barockbühne auf neue trickfilmhafte Weise wieder auf, und sie verstärkt die Wirkung der händelschen Musik, die genau solche Stürme anzettelt.

Freilich wäre das nicht möglich ohne die musikalische Gestaltung. William Christie hat das Orchester La Scintilla prächtig einstudiert, lässt es farbenfroh und kraftvoll aufspielen und kann den Klang doch fein bis zum Verstummen hin ausdünnen. Die Extreme werden ausgelotet. Es mag sein, dass an ein paar Stellen noch Probleme in der Koordination zwischen Sängern und Instrumenten zu lösen sind.

Man nimmt es in Kauf, weil das Werk hier in einem grossen Bogen erscheint, jenseits der etwas statischen Folge von Rezitativ und Arie, hineingezogen in ein bewegtes dramatisches Leben, das sich vor uns vollzieht. Ein echter Match, ja ein musikalisches Drama mit wirklich allen Schattierungen.