Einfach zu schön, der Kerl!

Werner Müller-Grimmel, Stuttgarter Zeitung (17.06.2008)

Rinaldo, 15.06.2008, Zürich

Händels "Rinaldo" am Opernhaus Zürich

Während in diesen Tagen der Fußball die Bregenzer Seebühne erobert hat, ist es momentan gar nicht so einfach, zum Opernhaus Zürich vorzudringen. Es ist weiträumig abgeschirmt vom Autoverkehr und umzingelt von den hermetisch dichten Zäunen der EM-Fanmeile und Hunderten von schwerbewaffneten, grimmig dreinschauenden Wachleuten. Auch um das Opernhaus selbst posieren breitbeinig gepanzerte Security-Männer, als habe es eine Bombendrohung gegeben. Wollten früher noch avantgardistische Komponisten Opernhäuser in die Luft sprengen, ist das heute eher von Fanatikern zu befürchten, denen Inszenierungen mit religiöser Thematik ein Dorn im Auge sind.

Das Sujet von Händels frühem Kreuzritterstück "Rinaldo" könnte derlei brisanten Deutungen immerhin Stoff bieten. Die Geschichte der orientalischen Zauberin Armida, die dem Kreuzritter Rinaldo den Kopf verdreht, letztlich aber mit ihrem Eros der Ratio der Eroberer aus dem christlichen Abendland erliegt, basiert auf einer Episode aus Torquato Tassos "Gerusalemme liberata" von 1575. Der bis vor zwei Jahren als Mannheimer Schauspielchef tätige Regisseur Jens-Daniel Herzog lässt Händels Zauberoper in Zürich nach einem Konzept seines kurz vor Probenbeginn erkrankten Kollegen Claus Guth in modernen Räumen spielen. Ein drehbarer Gebäudekomplex (Bühnenbild und Kostüme: Christian Schmidt) suggeriert abwechselnd eine Hotellobby mit Hostessen, Ledersesseln und Gummibäumen oder eine Abflughalle mit Rolltreppen und Gepäckwägen.

Im Gegensatz zu den in Berufsrüstungen steckenden Wachposten vor dem Opernhaus sind Händels Kreuzritter hier smarte Geschäftsleute mit Anzug und Krawatte, die ihre Schlachten auf dem Feld knallharter Verhandlungen schlagen. Den Sängern ist eine Truppe von grotesk herumwirbelnden Tänzern im selben Habit zur Seite gestellt (Choreografie: Ramses Sigl). Die Realität eines Transitraums zwischen Orient und modernem Westen driftet immer wieder in Fantasiewelten ab. Die Toilettentür dient als Eingang zur Zauberwelt, zu einem Labyrinth unheimlicher Nebenzimmer mit Ölscheichs, verschleierten Frauen, Opiumrauchern und finsteren Mafiagestalten.

Herzog begnügt sich aber nicht mit adrettem oder gruseligem Bebildern von Händels Arien. Gespenstische Szenen und dezenter Humor schließen sich bei ihm nicht aus. Ein plötzlicher Sturm reißt alle Akteure nach links, ein Erdbeben lässt sie durcheinanderpurzeln, Aufzugstüren spucken Leute aus oder verschlingen sie, minutenlang bewegen sich auf einmal alle bis auf den aktuell singenden Solisten in extremer Zeitlupe. Etwas Gefährliches liegt dann in der Luft, eine schwarz vermummte Gestalt hat sich unter andere Passanten gemischt und nähert sich langsam Rinaldo.

Armida ist in diesem Kontext eine gewiefte Geheimagentin, die als Luder im roten Kleid eiskalt ihren Sexappeal einsetzt, um Rinaldo auszuschalten. Sie kann sich verdoppeln, vervielfachen, in gegnerische Personen verwandeln und Räume unter viel Qualm und zuckenden Lichtblitzen verzaubern. Höfliche Stewardessen entpuppen sich im Handumdrehen als ihre Assistentinnen. Nur gegen Rinaldo bleibt sie am Ende machtlos, weil er einfach "troppo bello" ("zu schön") ist.

Sängerisch wartet die Zürcher Produktion mit einer Traumbesetzung auf. Malin Hartelius begeistert als stimmlich wie schauspielerisch brillante Armida. Ruben Drole beeindruckt mit klangsattem, beweglichem Bass als bärtiger Argante mit Fes und Nadelstreifenanzug. Überzeugende Rollenporträts bieten auch Juliette Galstian (Rinaldo), Anne Helen Moen (Almirena) mit berückend pianissimo gesungenem Arienhit "Lascia ch"io pianga", Liliana Nikiteanu (Goffredo), Irène Friedli als Magier in Pennergestalt und Katharina Peetz (Eustazio). William Christie, in Zürich bestens eingeführt als Barockdirigent mit Opern von Rameau und Händel, bietet mit dem Orchestra "La Scintilla" der Oper Zürich eine subtile Interpretation. Bezaubernd gelingen besonders die kammermusikalisch reduzierten Nummern, die im Verein mit dem Bühnengeschehen eine bezwingende Atmosphäre entstehen lassen.