Der Kreuzritter auf dem Flughafen

Oliver Schneider, DrehPunktKultur (17.06.2008)

Rinaldo, 15.06.2008, Zürich

Eigentlich hätte Claus Guth Händels "Rinaldo" inszenieren sollen. Krankheitsbedingt fiel er kurz vor Probenbeginn aus. Jens-Daniel Herzog rettet die vorletzte Zürcher Neuproduktion der Saison.

Jens-Daniel Herzog, der in dieser Saison bereits ein überzeugendes Plädoyer für Richard Strauss' "Intermezzo" abgeliefert hatte, sprang kurzfristig ein und entwickelte das von Guth und seinem Regieteam entwickelte Konzept durchdacht und glaubwürdig weiter.

Der Kampf des Kreuzritters Rinaldo gegen die heidnischen Sarazenen vor den Toren Jerusalems und das Schicksal der Zauberin Armida, die um die Liebe des standhaften Ritters buhlt: Das waren vor allem im Barock und in der Klassik beliebte Opernsujets, die auf Torquato Tassos Epos "La Gerusalemme liberata" zurückgehen. Mittelalterliche Kreuzfahrer stehen in Zürich zwar nicht auf der Bühne. Stattdessen transportieren Herzog und Ausstatter Christian Schmidt die Botschaften Händels und seines Librettisten Giacomo Rossi mit aktuellen Bildern.

Die Geschehnisse spielen an Orten, an denen sich Christen im Business-Look und Muslime treffen: in einer zweistöckigen Hotellobby in warmen Brauntönen und am Flughafen, beides vielleicht in Israel. Immer wieder sorgen die Tänzer im Laufe des kurzweiligen Abends für ein Bebildern der Arien, mal feiner, mal mit Nachdruck , so wenn Rinaldo am Ende des ersten Akts die Wirbelwinde anruft, die ihn zu Almirena tragen sollen und welche die Menschen am Flughafen förmlich in die Ecken blasen (Choreographie: Ramses Sigl, der im Sommer auch bei Guths Salzburger Festspiel-"Don Giovanni" mitarbeiten wird).

Detailreich schildern Regisseur und Choreograph nicht nur das Handlungsumfeld. Herzog verleiht auch den Protagonisten Profil, vor allem Rinaldo, und seiner Gegenspielerin, der in verführerischem Rot gekleideten Zauberin Armida, die Malin Hartelius darstellerisch wirkungsstark und musikalisch mit Temperament und einer facettenreichen Bandbreite an stimmlichen Farben gibt. Denn Armida ist nicht nur die Femme fatale, sondern auch eine Frau, die echte Gefühle für Rinaldo hegt. Über eine ebensolche Palette an Stimmfarben und gut verblendete Register verfügt Juliette Galstian als Rinaldo, die einen kongenialen Antihelden gibt. Ann Helen Moens Almirena schwingt nicht nur in ihrem "Lascia ch’io pianga" beseelt aus.

Bei Herzog kommt auch das Komische nicht zu kurz. Der Christen-Anführer Goffredo (rollendeckend Liliana Nikiteanu) ist ein sympathisches Grossväterchen und sein Bruder Eusebio (Katharina Peetz mit Mühen im tiefen Register) ein Wunderdoktor, der eine Katze sezieren muss und Rinaldo mit einer Schlange aus einer Kühlbox aus einer Ohnmacht "wiedererweckt". Gutmütig wirkt auch der Sarazenenkönig Argante, mit dem der junge Schweizer Ruben Drole nicht nur dank seiner Koloraturgewandtheit eine Visitenkarte für sich abgibt.

Wie zu erwarten überzeugt auch das, was aus dem Orchestergraben erklingt. William Christie steht bereits in der vierten Händel-Produktion am Pult des Opernhaus-eigenen Barockensembles La Scintilla. Je nach musikalischer Stimmungslage animiert er die Musiker zu temperamentvollem oder beseeltem Spiel, gepaart mit Prägnanz, Durchsichtigkeit und wunderbaren Soli. Musizierlust voller Intensität und Frische und eine prickelnde Spannung sind so von Anfang bis Ende spürbar.

Wie zu Händels Zeiten üblich endet "Rinaldo" mit einem obligaten, aber utopischen Lieto fine. Jens-Daniel Herzog drückt ihm gegenüber sein Misstrauen doppelt aus: "Christen" und "Muslime" werden nach einer Vertragsunterzeichnung doch noch handgreiflich, bevor sich die Paare finden: Rinaldo und Almirena sowie Armida und Argante. Doch zumindest zwischen den beiden Frauen hält der Friede nur kurz, denn im Schlusschor balgen sie schon wieder miteinander.