Mondsüchtig

Bettina Kugler, St. Galler Tagblatt (08.09.2008)

Il mondo della luna, 05.09.2008, St. Gallen

Ein Haydn-Spass: Mit «Il mondo della luna» hebt das Theater St. Gallen in die neue Spielzeit ab

Keine Gelegenheit für spielwitzige Ideen lässt Aron Stiehl in seiner leicht psychedelischen Inszenierung der Haydn-Oper «Il mondo della luna» verstreichen. David Stern am Dirigentenpult pariert mit präzisem Swing.
Grosse Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, runde Gedenktage ebenso. Im nächsten Jahr ist es der 200. Todestag Joseph Haydns, der dem Musikbetrieb jetzt schon Beine macht. Gut, wenn es da neben der Überdosis an sattsam Bekanntem noch Nischenprodukte eines immensen Œuvres an die Frau oder den Mann zu bringen gibt. Und so kündigen sie sich allerorten auf Spielplänen und bei Festivals an: die vergessenen Perlen des auf Schloss Esterhaza aufgeführten Repertoires, darunter Meisterwerke wie «Armida», aber auch Eintagsvergnügen wie «Il mondo della luna».
Schwerkraft und Schweben
Natürlich darf man bei einem Gelegenheitswerk für aristokratische Hochzeitsfeierlichkeiten nicht allzu viel Tiefgründigkeit erwarten; keinen zeitlos universalen Anspruch, nicht die Geschlossenheit einer Mozart-Oper. Was nicht heissen soll, dass es sich David Stern für seinen Einstand als neuer Chefdirigent des Sinfonieorchesters St. Gallen leicht gemacht hätte: Ein «Maximum an Phantasie und Raffinesse» sei nötig für Haydns Opern, so Alte-Musik-Spezialist René Jacobs, was auch für die Inszenierung gelte. Stern pflegt im Orchestergraben die raffinierte Spielart der Farce um eine eingebildete Mondfahrt: flexibel im Ton, präzise in den schnellen Temperamentumschwüngen – als sei er nicht eben erst in St. Gallen gelandet. Hinreissend spielt das Orchester unter seiner musikalischen Regie mit Schwerkraft und Schwebezuständen; es agiert elastisch und transparent im Klang, was den Sängern zugute kommt.
Zumindest punkto Phantasie bleibt auch Regisseur Aron Stiehl dem Dreiakter nach Goldoni nichts schuldig. Mit schrägem Humor zeichnet Stiehl das Personal um den lüsternen Geizkragen Buonafede, der seinen Töchtern die Mitgift verweigert, sich aber von Möchtegern-Schwiegersohn Ecclitico eine bessere Welt auf dem Mond vorgaukeln und sich mit Hilfe eines «Zaubertranks» dorthin versetzen lässt. Hier wie dort schöpfen Stiehl und Ausstatter Jürgen Kirner aus dem Vollen. Schauplatz ist eine Sternwarte, Museumsshop und Golfanlage inklusive. Über der Szenerie baumelt ein gigantisches Teleskop – dessen es freilich nicht bedarf, um Buonafede zu übertölpeln.
Sex, Drogen, Menuett
Dabei lässt sich Paolo Bordogna sängerisch nichts vormachen. Mit Leib, Seele und überaus potenten Stimmbändern, mit reicher Farbpalette zwischen Einfalt und aufbrausender Wut erweckt er die schablonenhafte Figur zum Leben und beherrscht die Szene, mag auch Riccardo Botta als sein Gegenspieler Ecclitico noch so schlitzohrig ans Werk gehen. Bella figura macht dieser vor allem in den Rezitativen (subtil am Cembalo: Christian Schumann); sein lyrischer Schmelz aber hält sich in Grenzen, während Gregory Warren als Cecco geschmeidig zu Diensten ist, ebenso wie Katja Starke als selbstbewusste Lisetta. Nicht durchweg trittsicher wirbt Thierry Félix als Ernesto um die in höchsten Sphären unerschrockene Flaminia (Andrea Lang).
Deren Rollenkorsett hat die Regie grosszügig aufgeschnürt, was die reichlich vorhandenen Koloraturen und Spitzentöne ins Laszive rückt. Dagegen hat Evelyn Pollock als Clarice mit ihrem flexiblen, leicht ansprechenden Sopran die Hosen an und den Schalk im Nacken.
Gags und Swissness
Um die Intrige nicht allzu dämlich erscheinen zu lassen, setzen Kirner und Stiehl auf Gags, Swissness, Drogen und einen alten Theaterzaubertrick: die Verschachtelung der Illusionsebenen. Erst bringt die Statisterie Folklore ins Spiel, dann wird der Mondsucht nachgeholfen mit Tröpfchen, Joints und anderem halluzinogenem Treibstoff; schliesslich haben die Sänger buchstäblich alle Hände voll zu tun: Mit Stabpuppen (Puppenspiel: Kurt Fröhlich) führen sie als vermeintliches Mondvolk Buonafede an der Nase herum – in psychedelisch beleuchteter Mondschlaraffenlandschaft. Der Mondkaiser hat das Knautschgesicht von dem Ausserirdischen E. T., vorbei schweben Astronaut und Mary Poppins. Fehlt nur noch das Sandmännchen.
Swingende Popos
Doch an Schlaf ist in Aron Stiehls lebhafter Inszenierung nicht zu denken. Zumindest bis weit in den zweiten Akt hinein lässt er boshaft-vergnügt die Puppen tanzen, die Popos und Hüften wackeln, als sei nicht schon genug Swing in der Musik, als brauche es die albernen Ensemblechoreographien (Pascale Sabine Chevroton) und Buonafedes Tutti-Frutti-Erotik, um das Ganze in Schwung zu halten. Irgendwann kommt es dann doch: das Heimweh nach irdischem Boden unter den Füssen. Nicht gerade im Haydn-Vollrausch lassen Stiehl und Stern ihr Publikum nach Hause wanken. Eher mit einem harmlos beschwingten Schwips. Dafür ersparen sie uns Nebenwirkungen wie Kopfzerbrechen am nächsten Morgen.