Wie es immer war

Thomas Schacher, Neue Zürcher Zeitung (08.09.2008)

Der Graf von Luxemburg, 05.09.2008, Winterthur

Lehárs «Graf von Luxemburg» am Theater Winterthur
Die zweite Saisonpremiere des Opernhauses Zürich, die traditionellerweise am Theater Winterthur stattfindet, bringt mit Franz Lehárs Operette «Der Graf von Luxemburg» ein Stück voller Komik und Walzerseligkeit auf die Bühne. Dass ihr Inhalt auch etwas mit der heutigen Zeit zu tun hat, scheint den Regisseur Helmuth Lohner nicht zu interessieren.
Die Story gibt einiges her: Da ist ein pleitegegangener Lebemann in Paris, der den Titel «Graf von Luxemburg» trägt. Der trifft auf einen russischen Oligarchen, der im Geld schwimmt, der aber keinen Adelstitel besitzt. Der Oligarch, nennen wir ihn Basil Basilowitsch, tut sich also mit dem Grafen, mit bürgerlichem Namen schlicht René, zusammen. Basil überredet René dazu, mit der Nachtklub-Sängerin Angèle Didier für eine halbe Million Franc eine Scheinehe einzugehen. Nach drei Monaten soll wieder geschieden werden, Basil wird die zur Gräfin beförderte Angèle selber ehelichen und dadurch ebenfalls in den Adelsstand erhoben werden. Einen Strich durch diese Rechnung macht die unerwartet auftretende Fürstin Stasa, die resolut Basils Heiratsversprechen einfordert. Luxemburg als Finanzplatz, die russische Geldaristokratie, Titelsucht, Scheinehe, Frauenhandel im Red Light District: Was für Anknüpfungspunkte für eine Regie, die den Bezug zur heutigen Welt darstellen möchte.

Zaghafter Versuch zur Aktualisierung

Franz Lehár lebte in einer anderen Welt. Als im Jahr 1909 im Wiener Theater an der Wien seine Operette «Der Graf von Luxemburg» uraufgeführt wurde, lebte man noch in der Donaumonarchie, und die Oktoberrevolution hatte noch nicht stattgefunden. Später entschloss sich Lehár zu einer aktualisierten Fassung der Operette, die 1937 im nationalsozialistischen Berlin erstmals gespielt wurde. Für die neue Produktion des Zürcher Opernhauses am Theater Winterthur wurde mit Helmuth Lohner ein beschlagener Sänger und Schauspieler engagiert, der in den letzten Jahren vermehrt als Regisseur hervorgetreten ist. Einen zaghaften Versuch zu einer Aktualisierung unternahm er mit der Überarbeitung der Dialoge und in der Neutextierung zweier Couplets. Im Couplet der Fürstin Stasa im dritten Akt ist die Anspielung an die russischen Oligarchen sogar topaktuell: «Macht und Reichtum heisst das Lebensziel, den FC Chelsea kauft man zum Dessert.» Doch in seiner Inszenierung führt Lohner, unterstützt von dem Ausstatter William Orlandi und der Choreografin Beate Vollack, den Weg fort, den er schon 1997 in seiner Zürcher Inszenierung von Lehárs «Lustiger Witwe» eingeschlagen hat. Gezeigt wird eine ganz traditionelle Operettenwelt mit rühriger Bohémien-Szene, leicht verruchter Moulin-Rouge-Ambiance und Grand- Hotel-Scheinwelt.
Sängerisch und schauspielerisch fällt die Bilanz vorwiegend positiv aus. Nicht restlos überzeugt Johan Weigel als Graf von Luxemburg, dessen Tenor in der Höhe stets angestrengt wirkt. Die Rolle des berauschten Karnevalskönigs steht ihm besser als jene des geschniegelten Vornehmen, der sich in die Sängerin Angèle verliebt. Über einen leuchtenden Sopran verfügt Christiane Kohl als Angèle Didier. Ihre Rolle verkörpert sie anfänglich etwas verhalten, aber im Moulin-Rouge-Akt blüht sie zusehends auf. Das erste Liebespaar dieser Operette verwandelt sich im Verlauf des Stücks immer mehr in ein ernstes Paar, parallel zur Handlung, in der eine Scheinehe in echte Liebe umschlägt.
Umso komischer wirkt dann das zweite Paar. Peter Straka gibt Basil Basilowitsch mit einem voluminösen, baritonal gefärbten Tenor. Er trägt sehr dick auf, scheint sich aber nicht immer im Klaren zu sein, ob er nun den Jovialen, den bösen Erpresser, den Clown oder den Salonlöwen spielen soll. Den Nagel auf den Kopf trifft Liuba Chuchrova als ihre Rechte einfordernde Gräfin Stasa. Zigarrenrauchend und gläserweise Wodka trinkend fährt sie im Grand-Hotel ein und lässt auch stimmlich niemanden daran zweifeln, wer hier das Sagen hat. Ein vergnügliches Komödiantenpaar sind auch Andreas Winkler als sensibler Maler Armand und Rebeca Olvera als sein lebenslustiges Modell Juliette.

Szenischer und musikalischer Glanz

Einen sicheren Wert bedeutet der von Ernst Raffelsberger einstudierte Zusatzchor der Oper Zürich. Als ausgelassene Bohémiens, als Gäste und Personal im Kabarett verleihen die Choristinnen und Choristen den einschlägigen Nummern szenischen und musikalischen Glanz. Anfänglich verläuft die rhythmische Koordination mit dem Orchester noch etwas wacklig, was sich mit der Zeit bessert. Als Begleitkörper steht das von Ralph Weikert dirigierte Musikkollegium Winterthur zur Verfügung. Dank der grossen musiktheatralischen Erfahrung des Dirigenten fühlen sich die Musikerinnen und Musiker in der galanten Welt der Tänze und Chansons schnell zurecht. Einzig die Walzer dürften etwas wienerischer daherkommen.