Die Macht des Kollektivs

Sigfried Schibli, Basler Zeitung (08.09.2008)

Carmina Burana, 06.09.2008, Basel

«Carmina Burana» im Theater

Was zum Open-Air-Spektakel in Augusta Raurica werden sollte, schrumpfte zum Chorkonzert im Theaterfoyer: Das Regenwetter verdarb dem Theater den Saisonstart.
Es war wie ein Symbol des Zusammenwirkens der Kantone in der Theaterfinanzierung, auf das mit der Saisoneröffnung in Augusta Raurica ein Licht hätte geworfen werden sollen: So, wie die Partnerschaft nicht vom Fleck kommen will, wollte es am Samstag nicht aufhören zu regnen. Mit dem Unterschied, dass einmal unbeeinflussbare klimatische und das andere Mal veränderbare politische Faktoren ausschlaggebend sind.
Der Raum war gefüllt mit 200 Choristen, der «basel sinfonietta» und tausend Premierengästen. Entsprechend trocken die Akustik: Kein Hall hüllte die kleinen rhythmischen Unregelmässigkeiten in Chor und Orchester ein (Dirigent: Bartholomew Berzonsky). Freilich minderte dies nicht die Sogkraft des riesigen und entsprechend lauten Chors, der von Henryk Polus auf messerscharfes Skandieren getrimmt worden war (Knabenkantorei: Leitung Markus Teutschbein). Vom populären «O Fortuna» an herrschte eine Disziplin, die einem durch Mark und Bein fuhr. Sogar das Trinklied (Nr. 14) fiel durch Kontrolliertheit auf. Der Riesenchor nahm die Impulse des Orchesters zum rhythmischen Pulsieren etwa in «Ecce gratum» auf und wurde nur durch den Schwächeanfall einer Sopranistin leicht verunsichert.

anmut. Während der Chor den Kollektivismus der Dreissigerjahre heraufbeschwor, zeigten die Solisten ein differenziertes Bild der Musik: Nikolay Borchev mit kleinem, aber sehr kultiviertem Bariton, den er bis in tenorale Höhen führte, Karl-Heinz Brandt als gequälter Schwan und Maya Boog mit Piano-Anmut und Höhenkultur in der Sopranpartie, die sie kurzfristig übernahm. Man mag kritisieren, dass das subventionierte Theater die Saison mit einem Stück eröffnet, das sonst Laienchören und kommerziellen Veranstaltern gehört. Vielleicht gibt ihm der Erfolg Recht: Alle geplanten Aufführungen sind ausverkauft, für Mittwoch wurde eine Zusatzvorstellung angesetzt. Mal sehen, ob die Botschaft im Landkanton ankommt: dass das Theater Basel nicht nur Elitäres bietet, sondern auch eine Nase fürs Populäre hat.