Lachen verboten

Frank Gerber, Blick (08.09.2008)

Der Graf von Luxemburg, 05.09.2008, Winterthur

Wir werden erzogen. Wir werden gebildet. Wir erfahren alles über alle menschlichen Abgründe. Nur unterhalten will das Theater immer weniger.
Wo es eine Nachfrage gibt, gibts bald ein Angebot. Diesen Lehrsatz verkleckern Leute, die an «den Markt» glauben. Doch so einfach funktioniert die Welt nicht. Manchmal gibt es eine grosse Nachfrage, aber kein Angebot.
Operetten-Tickets gehen weg wie warme Weggli - doch Operetten werden kaum gespielt. Das widerspricht der ökonomischen Logik, ist aber mit dem Denken von Intendanten und Dramaturgen sehr wohl zu erklären.
Spielpläne werden oft nicht fürs Publikum gemacht, sondern für die Kollegen an andern Theatern. Nur ein Intendant, der sich möglichst abgehoben profiliert, kriegt nach Ablauf seines Vertrags einen neuen Job.
Das beschwingte Musiktheater jedoch gilt als Opium fürs kleine Volk, als zuckersüsse Unterhaltung für die Putzfrau, die sich einen schönen Abend machen will.
Diese Haltung ist erstens arrogant und zweitens musikgeschichtlich falsch. Die Operette ist mehr als rosarote Schrumm-Schrumm-Watte. Die «Kleine Oper» ist in ihrem Wesen umstürzlerisch. Sie hinterfragt Herrschaftsverhältnisse, gibt die Obrigkeit - ob König oder Bankdirektor - der Lächerlichkeit preis. Und sie sprengt die Grenzen des erotisch Schicklichen.
Ein Paradebeispiel ist «Der Graf von Luxemburg» (1909) von Franz Lehár. Ein Fürst liebt eine Tänzerin. Überhaupt nicht standesgemäss. Deshalb bezahlt er einem armen Grafen viel Geld, damit dieser die Tänzerin vorübergehend heiratet und so zur Gräfin macht. Nach drei Monaten soll geschieden werden.
Spitzer kann die Kritik am Dünkel nicht formuliert werden: Eine bürgerliche Tänzerin, das geht nicht. Aber wenn die gleiche Frau eine geschiedene Pseudogräfin ist, steht einer Heirat mit dem Snob nichts mehr im Wege.
Es ist dem Opernhaus hoch anzurechnen, dass es ab und zu eine Operette spielt. Doch ganz scheint es der leichten Muse nicht zu trauen. Dem Werk wird der Humor ausgetrieben. Man lauscht den schönen Melodien, man bewundert die Kostüme. Aber lachen? Nein. Diese durchaus angenehme menschliche Äusserung ist nicht ein einziges Mal zu vernehmen im Publikum.
Das liegt einerseits an der schlechten Textverständlichkeit. Genuschelt, akzentbelastet, nach hinten gesprochen: Wer die Geschichte nicht schon kennt, kann ihr nicht folgen. Und folglich auch nicht darüber lachen.
Andererseits keimt der Verdacht, die Entlustigung hätte System. Neue Prüderie und zwanghaft intellektueller Anspruch machen sogar aus der Operette eine protestantisch-trockene Chose.
Dabei würden wir so gerne mal wieder richtig lachen im Theater.