Liebesglück und Schein-Ehe

Herbert Büttiker, Der Landbote (08.09.2008)

Der Graf von Luxemburg, 05.09.2008, Winterthur

Karneval, Moulin-Rouge und Grandhotel: Die Winterthurer Theater- und Orchestersaison beginnt frivol und mondän – und musikalisch beschwingt mit Franz Lehárs Operette «Der Graf von Luxemburg».
In den Strassen von Paris trifft man sich zum Botellón. «Karneval!» heisst der Ruf, aber auf der Bühne fliesst der Alkohol nur virtuell, dafür Lehárs Musik in Strömen, und Graf René wird zum König des Karnevals erkoren für seine tenorale Devise zur Stunde: «Das Leben, liri, lari, Lump, ist nur ein Pump!». Szenenwechsel: In Brissards Atelier, wo Juliette Modell steht, herrscht Bohème-Kälte. Der Ofen qualmt kläglich, aber ein neckisches Liebesduett gibt die Lizenz für eine Aufwärmaktion unter der Bettdecke – bis die Karnevalsgesellschaft hereindrängt und auch hier übereinanderpurzelt. Frauenbeine strampeln in der Luft.
Die Aufführung des Zürcher Opernhauses, mit der traditionellerweise die Theatersaison in Winterthur in Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium beginnt, zeigt Qualitäten und Schwächen schnell: Der Chorauftritt wirkt ein wenig plump, die Dialogregie könnte pointierter, der Klang leichter, prickelnder sein, aber Orchester und Ensemble bieten Ohrenschmaus, und William Orlandi präsentiert eine opulente Bühne, stimmungsvolle, sorgfältig ausgestattete Schauplätze, schöne, bunte Kostüme. Geradezu ein Zauberkünstler ist bei den offenen Szenenwechseln am Werk: Die Verwandlung des Foyers im Moulin-Rouge zur Lobby des Grandhotels zwischen dem zweiten und dritten Akt wird zusammen mit einem witzigen Ballett des Dienstpersonals zum szenischen Höhepunkt der Aufführung.
Hier folgen dann auch schauspielerische Kabinettstücke mit dem Auftritt des Hotelmanagers (Timo Schlüssel) und der wodkafesten russischen Fürstin (Liuba Chuchrova), die für ihr Couplet eigens die Akkordeonistin und den Balalaikaspieler mitgebracht hat. Zu den Attraktionen gehören auch die Variété-Damen im zweiten Akt, die auf dem Tresen tanzen, und anderes mehr. Es gibt etwas zu sehen und Lehárs süffige Musik schmeichelt sich ein, und dann erzählt «Der Graf von Luxemburg» ja auch noch eine Geschichte.

Liebe auf den ersten Blick

Eine Scheinehe, lernen wir in diesem Stück, ist nicht nur eine Ehe zum Schein, sondern auch eine, die durch Scheine und für Scheine zustande kommt. Der russische Fürst Basil Basilowitsch hat sich in Angèle, den Star des Moulin-Rouge, verliebt. Um sie heiraten zu können, will er ihr einen Adelstitel kaufen. René, der lebenslustige Graf von Luxemburg, kann Geld brauchen. Also wird er mit Angèle eine auf drei Monate befristete und natürlich auf Distanz gelebte gräfliche Ehe eingehen. Aber den Plan des Scheins und der Scheine durchkreuzt die Wirkung des ungetrübten Auges, und das bedeutet in der Operette Liebe auf den ersten Blick. Nur, so schnell geht es auch wieder nicht: Bei der Zeremonie im Atelier des Malers verstellt eine grosse Leinwand (eine «Venus» von Brissard) den Blick von Angèle auf Didier und umgekehrt, und drei Akte braucht es schon bis zum Happy End.
Das Dazwischen ist ein famoser Witz: Zwei verlieben sich, müssen sich aber leider gestehen, dass sie schon verheiratet sind – bis sie merken, dass sie ja miteinander verheiratet sind. Und jetzt gilt es, die vertraglich vereinbarte Scheidung abzuwenden – und, nota bene, dabei den für die Schein-Ehe erhaltenen Scheck zu retten.

Ironie und Sentiment

Da und dort harzt die boulevardeske Mechanik dieser Geschichte natürlich, so jedenfalls in der neuen Dialogfassung von Helmut Lohner und Walter Müller, die aus dem Fürsten einen Neureichen und Möchtegernadeligen macht, sonst aber die Vorlage nimmt, wie sie ist. Im Absehbaren zu überraschen, gelingt der Regie nicht über die Massen. Nachteilig hinzu kommt teilweise wenig prägnante Textartikulation. Doch in Spiel und Gesang erhalten attraktive Rollen ihre stimmige Präsenz zwischen Ironie und Sentiment.
Christiane Kohl gibt Angèle mit glänzender Höhe, Johan Weigel René mit wohlklingendem Tenor, und beide lassen Lehárs melodisches Sentiment prächtig und auch mit Augenzwinkern ineinanderfliessen. Peter Straka macht den Russen Basil mit bebendem Pathos und wackligen Beinen skurril zum komischen Mittelpunkt des Stücks. Mit neckischen Duetten geben Rebeca Olvera (Juliette) und Andreas Winkler (Armand) das leichtlebige Liebespaar Juliette und Armand. Reinhard Mayr ist der gekaufte Standesbeamte, Kresimir Strazanec und Miroslav Christoff sind Basils Bodyguards.
Sie alle haben es unter der Leitung von Ralf Weikert mit einem Orchester zu tun, das selber sehr in den Vordergrund rückt. Lehárs tänzerisch leichte Walzer- und Polkamelodik erscheint in üppiger Instrumentation, und zu hören sind viele geschliffene Einsätze der Bläser, die Flöten (samt Piccolo) vor allem sind viel beschäftigt, die Celesta streut ihren Zucker: Im Orchestergraben hat die optisch attraktive Bühne ihren Spiegel.