In der Operettenkonvention

Torbjörn Bergflödt, Südkurier (08.09.2008)

Der Graf von Luxemburg, 05.09.2008, Winterthur

Totzukriegen ist sie nicht. Und falls doch: Es wäre zu bedauern. Die Frage ist also, wie wir die Operette heute spielen wollen. Das Quidproquo in plüschiger Behaglichkeit abspulen? Die Lizenz zum Chargieren in dem Maße nutzen, dass auf der Bühne eine enthemmte Blödeltruppe agiert? Die oftmals schlimm entstellten Werke quellenkritisch befragen und dann authentisch hinstellen? Operetten dekonstruieren und ihre etwaige gesellschaftskritische Brisanz aktualisierend schärfen?

Zur Saisoneröffnung im Theater Winterthur hat sich das Opernhaus Zürich jetzt den "Grafen von Luxemburg" von Franz Lehár vorgenommen. Der 1909 in Wien in erster und 1937 in zweiter Fassung uraufgeführte Dreiakter erzählt davon, wie in Paris der finanziell abgebrannte junge Graf für ein fettes Honorar des russischen Fürsten Basil die Sängerin Angèle pro forma und sichtgeschützt ehelicht. Die bürgerliche Frau soll in den Adelsstand erhoben und nach drei Monaten vom Grafen wieder geschieden werden. Damit wäre sie präpariert für die Heirat mit dem angegrauten Basil. Aber die Happy-End-Paarungen fallen voraussehbarerweise anders aus als geplant.

Musikalisch wird in Winterthur kein schummriges Irgendwas gegeben. Wer bei der Premiere einen Blick aufs Dirigentenpult erhaschen konnte, sah dort entsprechend keinen Klavierauszug liegen, aus dem bei Operetten außerhalb des Kanons von Offenbach, Johann Strauß Sohn oder einer Lehárschen "Lustigen Witwe" gängigerweise dirigiert wird. Es war eine veritable Partitur, und das ist gut so. Denn es geht hier beileibe nicht nur um die melodienschöpferische Kraft von Lehár. Es geht auch um die Handwerkskünste eines Arnold Schönberg. Kein Geringerer nämlich war es, der in "Der Graf von Luxemburg" die Instrumentierung - und wohl da und dort noch mehr - besorgt hat.

Unter Ralf Weikert ließ das Orchester Musikkollegium Winterthur am Premierenabend der farbenreichen und momentweise geradezu irisierend fein gefächerten Partitur von einiger Puccini-Süße Sorgfalt angedeihen. Und (auch) sängerisch durfte sich die Interpretation hören lassen, selbst wenn der Tenor von Johan Weigel in der Titelpartie sich in der Höhe zuweilen etwas verengte. Christiane Kohl in der weiblichen Hauptrolle zeigte einmal mehr einen leicht ansprechenden und blühkräftigen Sopran. Peter Straka gab den Basil schauspielerisch mit einer robusten Typenkomik. Andreas Winkler war Armand, der mit einem Faible für Aktmalerei begabte Künstlerfreund des Grafen, Rebeca Olvera Armands Freundin und Liuba Chuchrova eine die Turbulenzen rabiat per Handstreich lösende ehemalige Geliebte von Basil.

In Helmuth Lohners Regie und in der wohl die 20er Jahre zitierenden Ausstattung von William Orlandi dominiert allerdings eine Operettenkonvention, die nun doch etwas angestaubt wirkt. Die Rezeptur ist bekannt: Eine Portion Frivolität, etwas ausgestellte Trinkfreudigkeit und dekorativ luxurierender Eskapismus auf der Bühne und in den Kostümen. Natürlich: Lohner ist ein Theaterfuchs. Bei dem spielfreudig agierenden Ensemble bleiben Spritzigkeit und Frische nicht weggesperrt an diesem Abend; die Singkomödianten kitzeln die Pointen gattungskonform heraus. Dass ein Tanztrüppchen in Chor und Statisterie eingeschleust worden ist, tut der Show gut, wobei ein von Beate Vollack ersonnener Tanz mit staubwedelnden Bediensteten den Charme einer köstlichen Busby-Berkeley-Choreografie im Westentaschenformat atmet.

Aber wenn das Bühnenbild, sei es in einer Ateliermansarde "sous les toits de Paris" oder in der Hotellobby, immer das volle ästhetische Verwöhnaroma gewährt, wenn Damen in Strapsen über die Bühne promenieren, wenn serienweise pokuliert wird und auch der Lustgreis in der Not seinen Flachmann zückt, muss man angeweht werden von einem Hauch gepflegter stadttheatraler Betulichkeit. Und solche Biederkeit kann sich, wenn es handfester wird in der Personenführung, zu einer - immerhin routinesicheren - Klamottigkeit steigern.