Willkommen im Hirn des Schriftstellers Hoffmann

Oliver Meier, Berner Zeitung (08.09.2008)

Les Contes d'Hoffmann, 06.09.2008, Bern

Saisonauftakt nach Mass: Das Stadttheater Bern zeigt Jacques Offenbachs «Les Contes d’Hoffmann». Regisseur Johannes Erath pflanzt die Populäroper in die Gegenwart und inszeniert sie als alptraumartigen Bilderreigen.
Kunst oder Liebe? Das wäre hier die Frage. Denn Hoffmann ist ein romantischer Dichter par excellence. Und als solcher tappt er über die Bühne, gebeutelt vom Leben, zerrissen zwischen den hehren Idealen. Drei Akte lang breitet er seine Enttäuschungen aus in Sachen Frauen, lässt in einem Bierkeller seine Liebschaften noch einmal aufleben: Da ist Olympia, die bizarre Automatenpuppe, wie sie nur das 19.Jahrhundert erfinden konnte. Da ist Antonia, die sanfte Sängerin, die am eigenen Gesang zu Grunde geht. Und da ist schliesslich Giulietta, die teuflische Dirne, die Hoffmann schnöde das Spiegelbild klaut. Alle drei sind skurrile Projektionen, romantisch verbrämt, genauso wie seine wahre Angebetete, auf die sie verweisen: Stella, die unerreichbare Starsängerin, die Liebe an sich. Sie steht im Wettstreit mit der Kunst, die als Muse durch die Oper geistert, um den Dichter am Ende für sich zu gewinnen.

Verblüffende Ideen

«Les Contes d’Hoffmann» von Jacques Offenbach ist ein Paradewerk der französischen Oper. Als solches wird sie gerne aufgewärmt – in einer Mischung aus tragischem Pathos und operettenhafter Komik, als gehobene Unterhaltung mit einer Fülle an Klischees. Vieles davon lässt die Berner Inszenierung hinter sich. Der deutsche Regisseur Johannes Erath holt das Werk vom 19. ins 21.Jahrhundert – und in die unromantischen Niederungen des (Ehe-)Alltags. Resultat ist eine symbolgeladene Inszenierung, die über weite Strecken überzeugt, gerade weil sie mit frappierenden Ideen aufwartet.
Schon der Beginn ist verblüffend: Nichts ist da zu sehen von einem versoffenen Musterpoeten, umtrieben von seiner Muse. Hoffmann liegt schlafend im Ehebett. Die Muse liegt wach daneben, als Gattin im Nacht-hemd, die in einem geflüsterten Monolog ihre Eifersucht ausmalt. Die intime Szenerie gibt den Rahmen vor für das, was sich in der Folge entfaltet: ein stilles Ehedrama, ein Trip durch die Seele der Protagonisten, inszeniert als alptraumhafter Bilderreigen, in dem Realität und Fantasie einander durchdringen.
Es ist ein düsteres Kammerspiel. Und die Kostüme von Eva Dessecker tragen dazu ebenso bei wie die Bühne von Kaspar Glarner: Sie zeigt einen kesselartigen (Innen-)Raum mit Industriecharme – rostig und bedrückend.

Zwiespältige Solisten

Offenbachs Musik ist die grosse Erzählerin. Sie lebt vom spannungsvollen Kontrast zwischen expressiver Dramatik und kammermusikalischer Schlichtheit. Beides wird vom Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Srboljub Dinic wunderbar umgesetzt. Durchzogen dagegen die Leistung der Solisten: Zu einem überragenden Auftritt kommt Hélène Le Corre als Antonia. Heidi Wolf hingegen fällt als Olympia gesanglich wie schauspielerisch ab. Weitgehend überzeugend zeigen sich Claude Eichenberger (Muse), Fabienne Jost (Giulietta) und Carlos Esquivel (Lindorf). Stimmlich stark, aber schauspielerisch eher blass bleibt Fabrice Dalis als verhärmter Hoffmann.