Don Giovanni stürzt auch in Luzern in die Tiefen der Hölle

Reinmar Wagner, Die Südostschweiz (09.09.2008)

Don Giovanni, 07.09.2008, Luzern

Stephan Müller hat Mozarts «Don Giovanni» am Luzerner Theater inszeniert. Die Premiere am Sonntag bestach durch viele gute Inszenierungsideen und eine solide musikalische Gesamtleistung unter John Axelrod.
Am laufenden Band hat Stephan Müller witzige Ideen, unverbrauchte Einfälle, neckische Details in seine Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts «Don Giovanni» eingestreut und sie mit einem schauspielerisch begabten Ensemble sorgfältig und genau ausgearbeitet. Aber wie sich am Sonntagabend bei der Premiere im Theater Luzern gezeigt hatte, ist ihm gegen Ende die Fantasie ausgegangen: Für den Höllensturz des Titelhelden gibt es keine Geschichte, keine Überraschung, keine Chiffre mehr: Don Giovanni bleibt einfach am Boden liegen. Punkt. Das wirkt hilflos.
Für solches Wirken irgendwelcher überirdischer Mächte gab es davor keinerlei Anzeichen, für medizinische Probleme eines athletischen Don Giovanni auch nicht. Auch aus der Tatsache, dass der serbische Bariton Boris Petronje sowohl den Masetto wie den Komtur singt - und für beide Rollen die passenden Töne findet - hat Müller kein Kapital geschlagen. Die Musik dieser Schlussszene wäre wohl auch zu stark für irgendeine Maskerade des eifersüchtigen Masetto. Aber ein Don Giovanni von heute - und da ist er dezidiert angesiedelt - fällt nicht einfach ohne Grund tot vom Stuhl. Das war kein Höllensturz, sondern ein Regie-Absturz.

Starke Bilder

Im klaustrophobisch kahlen, hermetischen, hohen Bühnenbild von Werner Hutterli, das praktisch ohne Möblierung auskommt, konzentriert Müller manche Aktionen, stilisiert sie, überhöht sie ins Abstrakte, was meistens für starke Bilder sorgt und gleichzeitig der Musik mehr Raum gibt. Trotz einer engagierten Personenführung überfrachtet er das Stück nicht mit szenischer Aktion und den sonst in «modernen» Inszenierungen so gerne gepflegten Versatzstücken aus dem Erotik-Versandhaus-Katalog. Eine - bis auf das unbefriedigende Finale - gelungene Umsetzung von Mozarts populärer Tragikomödie.
Dieser weitgehend gelungenen Inszenierung stand am Sonntagabend auch eine beachtliche musikalische Realisierung gegenüber. John Axelrod steckte viel Energie und anfeuerndes Temperament in sein Dirigat. Oft hätte man ihm ein doppelt so grosses Orchester gewünscht, so engagiert versuchte er, das Letzte an Klang und Emphase herauszuholen. Seine Tempi waren straff, das Klangbild orientierte sich an historischen Spielweisen. Lyrische Momente zog er mit weicher Wärme, aber ohne jedes Schwelgen und Schleppen durch.

Beeindruckende Bühnenpräsenz

Die musikalische Gangart kam bei der Premiere auch Tobias Hächler sehr entgegen: Er sang und spielte einen jugendlich-athletischen Don Giovanni, einen skrupellosen Genussmenschen, der am Leiden der anderen noch seine sadistische Freude hat. Die Bühnenpräsenz des jungen Basler Baritons war beeindruckend und auch sängerisch fehlte ihm nichts zur mitreissenden Darstellung dieser ambivalenten Heldenfigur. In Marc-Olivier Oetterli als Leporello hatte er einen fast ebenso souveränen Widerpart, was die Rezitativ-Dialoge der beiden jeweils zu einem besonderen Genuss machte.
Auch Madelaine Wibom als szenisch sehr überzeugende Elvira, deren Sopran in der Höhe zu Schärfe neigt, kam mit diesem Klangbild besser zurecht als Simone Stock in der Rolle der Donna Anna, die eher farblos blieb und mit ihrer Koloratur-Arie zu kämpfen hatte. Sumi Kittelberger sang die Zerlina mit der geforderten Leichtigkeit, der Figur vermochte sie aber nicht immer die nötige szenische Präsenz zu geben. Tomasz Zagorski als Don Ottavio schliesslich, der per definitionem eine blasse Figur abzugeben hat, erfüllte diese Aufgabe souverän. Sängerisch hingegen gefiel sich der Pole mit seiner strahlkräftigen Stimme manchmal in unnötigen Kraftmeiereien, die nicht so recht zu Mozart passen wollten.